MÜNCHEN (dpa-AFX) - Europa droht aus Sicht des Ex-Burda-Vorstands Stefan Winners eine "digitale Kolonie" der USA und vermutlich auch Chinas zu werden. So etwas wie Google
Frage: Millionen Deutsche nutzen Google und Facebook. US-Plattformen haben sich weltweit einen Riesenvorsprung erarbeitet, China hat nachgelegt - zum Beispiel mit TikTok. Kann Europa das alles jemals aufholen?
Antwort: Das wird ein langer und schwieriger Weg, der zehn bis fünfzehn Jahre dauern wird. Wenn wir es jetzt jedoch nicht anpacken, dann verändern wir nichts. Dann wird Europa eine digitale Kolonie von Amerika und zukünftig vermutlich auch von China.
Frage: An welche Stellschrauben muss Europa in den digitalen Märkten ran?
Antwort: Die Chinesen haben allen internationalen Digital-Playern weltweit den Markt verschlossen und daraufhin eine hochlebendige, starke Digitalindustrie geschaffen. Wir können natürlich nicht die Entwicklung des Internets zurückdrehen und sagen: "Wir verbieten Google in Europa." Wir müssen definieren, an welchen Stellen wir digital autonom werden wollen. Die europäische und auch die deutsche Politik müssen entscheiden, in welchen Bereichen Europa zukünftig technologisch und damit auch wirtschaftlich und politisch souverän bleiben möchte. Themen, die sinnvoll wären, sind beispielsweise Browser und Cybersecurity.
Frage: Sollte Europa eine gemeinsame eigene digitale Infrastruktur schaffen, als Gegengewicht zu großen Plattformen? Solche Ideen gibt es schon...
Antwort: Mein Eindruck ist, dass zu viele Einzelinteressen eine wirklich gemeinsame Lösung bei großen Infrastrukturthemen wie Browser, Suche oder Video verhindern. Der wichtigste Punkt für die Politik sollte sein: Die Märkte wieder öffnen und es ermöglichen, dass durch Wettbewerb neue Spieler an den Start kommen und sich ein erfolgreiches europäisches digitales Ökosystem entwickelt.
Frage: Wie könnte eine Regulierung aussehen - ganz konkret?
Antwort: Das könnten zum Beispiel Lizenzen sein, die mehrheitlich nur durch in Europa ansässige Firmen gehalten würden. Amerikanische Unternehmen müssten dann beispielsweise ihr Geschäft abspalten und es in Europa an die Börse bringen, um die Lizenz zu bekommen. Oder, dass zum Aufbau neuer Geschäftsmodelle keine Quersubventionierung stattfinden darf. Das heißt, dass Milliarden-Investitionen in neue digitale Geschäftsbereiche, die ein dominierender Konzern leicht tätigen kann, ab einem gewissen Unternehmensumsatz nicht mehr erlaubt wären. Und schließlich: So, wie die Deutsche Bahn das Schienennetz mit anderen Anbietern teilen muss, könnte man etwa Google und Facebook zwingen, ihre Daten und Archive zum Beispiel mit anderen Unternehmen zu teilen. Ich kann Brüssel nur ermutigen, diesen Weg zu gehen.
Frage: Medienunternehmen beklagen hierzulande eine Übermacht von großen US-Plattformen. Geld für Werbung, das früher in Printprodukte geflossen ist, geht inzwischen häufig auf das Konto von Internetkonzernen. Hat man hier zu lange gezögert?
Antwort: Medien und andere europäische Unternehmen, vor allem deutsche, haben unsere eigenen Technologien und damit die Haltbarkeit unserer existierenden Geschäftsmodelle überschätzt und die der Technologieunternehmen unterschätzt. Ich glaube, alle haben Fehler gemacht. Die enormen Netzwerkeffekte, die bei den Plattformen zur Wirkung kommen, waren damals von außen nicht zu sehen und es gab auch viel zu wenige Technologie-Experten, die verstanden haben, was technologisch bei den Plattformen passiert. Das ist heute anders.
Frage: Was empfehlen Sie deutschen Medienunternehmen?
Antwort: Konsequent digital und kundenorientiert denken, schneller transformieren.
Frage: In den USA läuft eine Klage gegen Google. Die US-Regierung wirft dem Internetkonzern unfairen Wettbewerb vor, Konkurrenten könnten im Markt nicht Fuß fassen. Google weist die Vorwürfe zurück. Welche Strahlkraft hat dieser Vorgang auf Europa und Deutschland?
Antwort: Große US-Techkonzerne wie Google, Apple
ZUR PERSON: Stefan Winners bringt eine langjährige Erfahrung aus dem Digital-, Tech- und Medienbereich mit. Seit Juli ist der 53 Jahre alte studierte Betriebswirt als Berater für das Venture Capital Unternehmen Lakestar tätig. Zuvor war er viele Jahre Vorstandsmitglied Digital des Medienkonzerns Hubert Burda Media und dort unter anderem für Xing sowie andere digitale Themen zuständig. Zu seinen weiteren früheren Stationen zählten auch die Tomorrow Focus AG und der Bertelsmann-Konzern./rin/DP/jha
Quelle: dpa-Afx