ARLINGTON (dpa-AFX) - Der kriselnde Flugzeugbauer Boeing
Die Boeing-Aktie legte kurz nach Handelsbeginn in New York um rund zwei Prozent zu. Seit dem Jahreswechsel hat sie jedoch mehr als ein Viertel an Wert eingebüßt.
Neben Calhoun treten auch Verwaltungsratschef Larry Kellner und der Chef der Verkehrsflugzeugsparte, Stan Deal, ab. Während Kellner bei der diesjährigen Hauptversammlung nicht mehr zur Wahl antritt, übergibt Deal seinen Posten mit sofortiger Wirkung an Stephanie Pope. Die Managerin hatte bei Boeing erst Anfang des Jahres die Leitung des Tagesgeschäfts übernommen. Bei der Bekanntgabe ihres Aufstiegs im Dezember wurde sie schon als mögliche Nachfolgerin Calhouns an der Konzernspitze gehandelt.
Calhoun selbst war Anfang 2020 auf den Chefposten gewechselt, nachdem sein Vorgänger Dennis Muilenburg infolge seines stark kritisierten Krisenmanagements nach den Abstürzen zweier 737-Max-Jets den Hut genommen hatte. Calhoun betonte nun, dass sein eigener Abschied seine persönliche Entscheidung gewesen sei. Er habe den Verwaltungsrat informiert, dass 2024 sein letztes Jahr als Konzernchef sein werde.
Wer Calhouns Nachfolge an der Spitze des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns übernimmt, steht noch nicht fest. Den Auswahlprozess soll der neue Verwaltungsratschef Steve Mollenkopf leiten. Der frühere Chef des Chipherstellers Qualcomm gehört dem Gremium seit dem Jahr 2020 an.
Bei dem Jet von Alaska Airlines war im Flug ein türgroßer Teil des Rumpfs herausgeflogen. Die mehr als 170 Insassen der Maschine kamen mit dem Schrecken davon. Die US-Luftfahrtbehörde FAA nimmt die Produktion von Boeing und seinem Rumpfzulieferer Spirit Aerosystems unter die Lupe, die Unfalluntersuchungsbehörde NTSB und das US-Justizministerium ermitteln. Die Ermittler vom NTSB geht nach ersten Erkenntnissen davon aus, dass an dem Rumpf-Fragment vier Befestigungsbolzen gefehlt hatten.
Auf Geheiß der FAA darf Boeing die Produktion der gesamten 737-Max-Reihe nun bis auf Weiteres nicht wie zuvor geplant ausweiten. Wegen der Verzögerungen in Boeings Produktion haben Fluggesellschaften wie der irische Billigflieger Ryanair und sein US-amerikanisches Pendant Southwest schon ihre Flugpläne gekappt.
Der Mittelstreckenjet 737 Max ist die Neuauflage der seit den 1960er Jahren gebauten Boeing 737 und das mit Abstand meistgefragte Modell des Herstellers. Schon 2019 war Boeing mit dem Typ in die schwerste Krise seiner Geschichte geraten. Nach den Abstürzen zweier 737-Max-Jets mit insgesamt 346 Toten hatten Luftfahrtbehörden in aller Welt Flugverbote für das Modell erlassen. Erst nach einigen technischen Verbesserungen wurde das Modell nach mehr als 20 Monaten schrittweise wieder für den Flugverkehr freigegeben.
Den Hersteller kostete das Desaster Milliardensummen. Auf einen Schlag verlor Boeing 2019 seine Position als weltgrößter Flugzeughersteller an den europäischen Konkurrenten Airbus und hinkt diesem seitdem weit hinterher. Inzwischen schrieb der US-Konzern fünf Jahre in Folge rote Zahlen. Die Folgen des jüngsten Zwischenfalls und die behördlichen Auflagen kosten Boeing weitere Milliarden, wie Finanzchef Brian West vor wenigen Tagen erklärt hatte.
Calhoun will den Konzern den Angaben zufolge nun weiter durch das Jahr führen, um die die Stabilisierung des Unternehmens und seine Positionierung für die Zukunft abzuschließen. "Wir müssen weiterhin mit Demut und vollständiger Transparenz auf diesen Unfall reagieren", schrieb der Manager an die Mitarbeiter. "Außerdem müssen wir auf allen Ebenen unseres Unternehmens ein umfassendes Engagement für Sicherheit und Qualität verankern."
Bei den jüngsten Untersuchungen hat Boeing laut der "New York Times" von 89 Überprüfungen einzelner Prozesse nur 56 bestanden. Insgesamt seien 97 Verstöße festgestellt worden, hatte die Zeitung Mitte März unter Berufung auf eine interne Präsentation berichtet. Wie schwerwiegend die Probleme waren, blieb dabei unklar. Die FAA teilte bisher lediglich mit, sie habe mehrfach Verstöße gefunden./stw/mne/mis
Quelle: dpa-Afx