MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Energiekonzern Siemens Energy hat nach einem erfolgreichen Debüt als eigenständiges Unternehmen zunehmend mit Problemen zu kämpfen. Ausgerechnet die Windkraft-Tochter Gamesa , die eigentlich der Wachstumstreiber werden soll, bleibt das Sorgenkind bei den Münchnern. So bekommt auch das neue Management die Probleme mit Windkraftanlagen an Land nicht in den Griff. Auch im hauseigenen Geschäft mit Kraftwerks- und Energietechnik knirscht es: So scheiterten zuletzt Verhandlungen mit der Gewerkschaft über die konkrete Ausgestaltung des geplanten Stellenabbaus. Was bei Siemens Energy los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

LAGE BEI SIEMENS ENERGY:

Die Tochter Siemens Gamesa sorgt in München zunehmend für Katerstimmung. Musste Siemens Energy Anfang Mai bereits wegen des Windkraftanlagenbauers beim Umsatz für das laufenden Geschäftsjahr 2020/21 (per Ende September) zurückrudern, ist wenige Monate später auch die Ergebnisprognose nicht mehr zu halten. Siemens Gamesa kämpft weiter mit erheblichen Problemen mit seinem schwächelnden Onshore-Geschäft. Zudem verhageln hohe Preise für wichtige Materialien wie Stahl oder Kupfer die Bilanz.

Siemens Gamesa musste im dritten Quartal (per Ende Juni) überraschend Verluste hinnehmen. Beim seit längerer Zeit schwächelnden Windanlagengeschäft an Land (Onshore) kommt es zu höheren Anlaufkosten für die neue Plattform 5X. Insbesondere Brasilien, das viele Aufträge für die Plattform vergeben hat, ist dabei betroffen. Da es dort auch zu durch die Corona-Pandemie bedingten Lieferschwierigkeiten kommt, gibt es weitere Projektverzögerungen. Brasilien gehört zu den Wachstumsmärkten im Windgeschäft, ebenso wie Indien. Auch dort kämpft Siemens Gamesa mit erheblichen Problemen - da die Wende zu schaffen nannte Konzernchef Andreas Nauen zuletzt "herausfordernd". Weiter robust läuft dagegen das Geschäft mit Anlagen auf See (Offshore) sowie der Service.

Nauen musste einräumen, dass sich im Onshore-Geschäft die Rückkehr zur Profitabilität verzögern wird. Ursprünglich hatte Siemens Gamesa für das Geschäftsjahr 2021/22 wieder eine schwarze Null erreichen wollen. Der seit rund einem Jahr amtierende Konzernchef hatte sich vor allem die Sanierung des verlustreichen Windanlagengeschäfts an Land auf die Fahne geschrieben und ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm auf den Weg gebracht.

Für das Geschäftsjahr 2020/21 geht der Konzern nur noch im besten Fall von einer schwarzen Null aus. Beim Umsatz zeigte sich Siemens Gamesa erneut pessimistischer. Und auch die mittelfristigen Aussichten stehen unter Beobachtung: So könnten sich die Margenziele für 2022/23 verzögern.

Die Misere bei Gamesa ist für Siemens Energy ärgerlich. Der Dax -Konzern musste ebenfalls zurückrudern. Seine Margenziele wird das Unternehmen 2020/21 verfehlen. Der Konzern-Umsatzausblick bleibt jedoch unverändert. Siemens Energy verwies darauf, dass für die Sparte Gas & Power mit der Energieerzeugungstechnik der Ausblick bestehen bleibe und sich das Geschäft wie erwartet entwickle. Wegen der Schwäche bei Siemens Gamesa würden die Ergebnisse des Konzerns aus dem abgelaufenen Quartal aber voraussichtlich die Markterwartungen verfehlen, hieß es. Siemens Energy präsentiert seine Quartalszahlen am 4. August.

Bei der Restrukturierung von Gas & Power erlitt Siemens Gamesa Anfang Juli zudem einen Rückschlag. Die Verhandlungen mit der Arbeitnehmervertretung über die konkrete Ausgestaltung des Abbaus von rund 2900 Jobs in Deutschland sind vorerst gescheitert. Das Unternehmen ruft nun eine sogenannte Einigungsstelle an. Siemens Energy will weltweit 7800 Jobs streichen. Mit der IG Metall hat das Unternehmen dabei eine Zukunftsvereinbarung zum Umbau des Unternehmens geschlossen, die unter anderem vorsieht, "möglichst keine Standorte schließen zu müssen" und "notwendige Personalanpassungen" möglichst über freiwillige Maßnahmen zu ermöglichen, wie es damals hieß.

Siemens Energy ist vergangenes Jahr als Auskopplung der Energiegeschäfte von Siemens an die Börse gebracht worden. Das Unternehmen ist seit März im Dax, steht angesichts der Energiewende aber vor großen Herausforderungen, da es neben der Windkraft auch Produkte und Wartung für Strom aus fossilen Energieträgern liefert. Siemens Energy orientiert sich jedoch am Wandel des Energiemarktes hin zu erneuerbaren Energien. So hat das Unternehmen angekündigt, sich etwa nicht mehr an Neuausschreibungen für Kohlekraftwerke zu beteiligen. Hingegen sieht das Management um Konzernchef Christian Bruch große Chancen im Wasserstoffgeschäft.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Probleme bei Siemens Gamesa führten zu einer erheblichen Verstimmung der Marktexperten, die nach der Gewinnwarnung reihenweise ihre Kursziele senkten. Analystin Deepa Venkateswaran von Bernstein Research etwa zeigte sich sehr enttäuscht von der Nachricht. Sie werfe Fragen auf, ob das Gamesa-Management in der Lage sei, die angeschlagene Onshore-Windsparte zu sanieren. Die Expertin äußerte sich auch besorgt wegen offenbar fehlender Absicherungen am Rohstoffmarkt.

"Die erneuten Probleme bei Siemens Gamesa werfen Siemens Energy deutlich zurück", kritisierte NordLB-Analyst Wolfgang Donie. Er sieht bei dem Energiekonzern nun Fragezeichen sowohl hinter der Dividende als auch hinter den mittelfristigen Unternehmenszielen. "Andererseits rückt nun die Möglichkeit einer vollständigen Übernahme von Siemens Gamesa durch Siemens Energy wieder stärker in den Fokus, und das zu sicherlich günstigeren Konditionen."

Es würde kaum überraschen, wenn nicht nur die Kapitalmärkte die Geduld verlieren würden, kommentierte Sebastian Growe von der Commerzbank . Abzuwarten bleibe, welche Schritte Siemens Energy nun ergreift, um den schlechten Nachrichten im Onshore-Geschäft ein Ende zu bereiten. Der Rückschlag bei der Windkrafttochter mache den Investmentansatz für den Energietechnik-Konzern noch komplizierter, hieß es von JPMorgan -Experte Andreas Willi. Goldman-Sachs-Analyst Ajay Patel monierte zudem die sich abzeichnende Verschiebung der Mittelfristziele.

Gelassener äußerte sich Thorsten Reigber von der DZ Bank. Er nannte die Probleme bei Gamesa einen "herben Rückschlag". Auf kurze Sicht müsse das Unternehmen die Herausforderungen in den Griff bekommen. Dies ändere jedoch nichts an seiner positiven Einschätzung der langfristigen Perspektiven von Siemens Energy inklusive Siemens Gamesa.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Aktie hat nach den jüngsten schlechten Nachrichten ihren seit dem Frühjahr bestehenden Abwärtstrend fortgesetzt. Von den Anfang des Jahres erreichten Höhen von 34 Euro ist der Kurs aktuell weit entfernt. Das Papier war vor wenigen Tagen auf ein Tief von etwa 21 Euro gefallen. Mit knapp 23 Euro zeigte sich der Kurs zuletzt wieder leicht erholt. Damit liegt der Kurs jedoch nur wenig über dem Börsendebüt von September. Die Bilanz fällt in diesem Jahr daher trotz des guten Starts mit einem Minus von knapp einem Viertel tiefrot aus. Die Marktkapitalisierung lag zuletzt bei 16,5 Milliarden Euro.

Auch die Papiere der separat in Madrid notierten Siemens Gamesa haben in diesem Jahr erheblich an Wert eingebüßt. Nach ordentlichen Kursgewinnen in den vergangenen drei Jahren, ist die Aktie in diesem Jahr bislang um fast 30 Prozent gesunken.

Siemens Energy hat sich dabei seit dem Debüt an der Börse sehr volatil gezeigt. Dies ist bei einer Abspaltung zu Beginn nicht ungewöhnlich. So haben Siemens-Aktionäre das Papier in ihr Depot gebucht bekommen. Investoren mit einem anderen Anlagefokus oder Fonds, die etwa bestimmte Indizes nachbilden, haben daher zunächst ihre Anteile verkauft. So startete Siemens Energy mit einem Kurs von rund 22 Euro. Nach einem Anstieg auf mehr als 23 Euro ging es bis Ende Oktober deutlich abwärts, das Papier fiel bis auf 18,36 Euro. Dann griffen Anleger aber mehr und mehr beherzt zu, bis zum Hoch Anfang Januar.

Siemens hält nach dem Spin-off noch 35 Prozent der Anteile, weitere knapp zehn Prozent beim Pensionsfonds der Münchener. Siemens hat bereits angekündigt, die Beteiligung weiter reduzieren zu wollen./nas/knd/he

Quelle: dpa-Afx