Bemühungen der türkischen Notenbank, am Devisenmarkt einzugreifen, laufen ins Leere. Eine überraschende Zinserhöhung im September verpuffte rasch, zumal vergangene Woche kein zweiter Schritt nach oben folgte. Der Verfall der Landeswährung bringt Land zunehmend in Bedrängnis. Allein seit Jahresauftakt hat die Lira mehr als ein Viertel an Wert verloren - seit Ende 2017 hat sich der Wert mehr als halbiert. Im Folgenden ein Überblick über die Konsequenzen, die sich daraus ergeben:
HOHE AUSLANDSSCHULDEN DER PRIVATWIRTSCHAFT
Die Staatsverschuldung der Türkei gilt allgemein als tragbar. Anders sieht es aber bei den Unternehmen und Finanzinstituten des Landes aus. Viele haben in den vergangenen Jahren Kredite im Ausland aufgenommen, weil sie dort häufig niedrigere Zinsen zahlen müssen. Auf sie kommen allein in den kommenden zwei Monaten Rückzahlungen im Volumen von fast zehn Milliarden Dollar zu. Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, bezifferte die Auslandsverschuldung auf 62 Prozent der Wirtschaftsleistung. "Eine weitere Abwertung der Lira würde die Bilanzen der Firmen weiter belasten und negative Auswirkungen auf die Investitionsaussichten haben", sagt Ugras Ulku, Chefanalyst für europäische Schwellenländer beim Institute of International Finance (IIF). Das komme ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo vermehrte Investitionen nötig seien, um die Produktivität zu steigern, die Arbeitslosigkeit abzubauen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Exporte in Schwung zu bekommen. Im Außenhandel allerdings kommt die schwächere Währung den Firmen zugute, weil sie ihre Produkte billiger im Ausland verkaufen können.
LEBENSHALTUNGSKOSTEN STEIGEN KRÄFTIG
Die Schwäche der Währung macht sich in den Geldbeuteln der Bevölkerung bemerkbar. Die Inflation ist ein wunder Punkt für die Türkei, die auf eine Geschichte sehr stark steigender Lebenshaltungskosten zurückblickt - die Zeit der Hyperinflation wurde erst vor 17 Jahren überwunden. Im September ging die Teuerungsrate leicht zurück, liegt mit 11,75 Prozent aber weit über der Zielmarke der Notenbank von fünf Prozent. Experten rechnen nicht damit, dass sich die Inflation bald beruhigt.
"Wir gehen davon aus, dass die Abwertung der Lira der Haupttreiber der Inflation ist", sagt Goldman-Sachs-Experte Kevin Daly. Verliert die Währung an Wert, verteuern sich Einfuhren. Daly verweist zudem darauf, dass die Inflation zuletzt auch durch Steuersenkungen gedrosselt worden sei und der Preisdruck in der Kernrate weiterhin hoch sei.
Der Notenbank gelingt es kaum, die Teuerungsraten in den Griff zu bekommen. Der Zinssatz liegt auch nach der überraschenden Zinserhöhung mit 10,25 Prozent unter der Teuerungsrate. Damit bietet er wenig Anreize für ausländisches Kapital und schwächt die Währung des Landes, das ohnehin unter einem Leistungsbilanzdefizit ächzt.
WAS KANN DIE NOTENBANK TUN?
Ein wichtiger Grund, warum Investoren das Vertrauen in die Lira verlieren, ist die Frage nach der Unabhängigkeit der Notenbank. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt als ein Verfechter niedriger Zinsen. Viele Investoren fürchten seinen Einfluss auf die Notenbank.
Die überraschende Zinserhöhung vom September wurde von Analysten begrüßt - doch nun kehrt wieder Ernüchterung ein, weil kein zweiter Schritt folgte. "Die Bank ist wieder zurück bei ihrer unvorhersehbaren und undurchsichtigen Geldpolitik", sagte Per Hammarlund, Chefstratege für Schwellenländer bei der schwedischen Bank SEB.
Die Notenbank hatte sich bereits mit Eingriffen am Devisenmarkt gegen den Verfall der Landeswährung gestemmt. Als Ergebnis schwinden jedoch die Devisenreserven. Goldman Sachs geht davon aus, dass die Türkei allein in diesem Jahr fast 80 Milliarden Dollar verbrannt hat, um die Währung zu stützen. Jüngsten Daten zufolge sind weniger als 20 Milliarden Dollar an Reserven übrig.
rtr