Das Reich der Mitte ist zu schnell gewachsen



Anfang der 90er Jahre hat alles angefangen. Zuerst wurde China zur billigsten Drehbank der Welt, dann zur Export- und anschließend so dynamisch wie kein anderes Land zuvor zum Industrie- und Hightech-Land. Aber ist in China tatsächlich alles Gold, was wirtschaftlich glänzt? Kann eine Volkswirtschaft wirklich 30 Jahre lang zwischen sechs und über 10 Prozent wachsen, ohne dafür einen hohen Preis zu bezahlen. Nicht umsonst sprach der deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard vom "Maßhalten", damit sich die deutsche Nachkriegswirtschaft nicht überhitzt.

Für seine Geschwindigkeit beim Aufschwung bezahlt China zunächst mit einer unglaublichen Umweltverschmutzung und Städten im Dauersmog, nicht im Nebel wie San Francisco. Hinzu kommt Chinas Gesamtverschuldung, der gegenüber Japan schon fast als Hort der Finanzstabilität gilt. Daneben gibt es viele Schattenbanken und Zombie-Staatsunternehmen, die künstlich am Leben gehalten werden, um Menschen in Lohn und Brot zu halten. Denn nichts fürchtet Peking mehr als soziale Unruhen von massenhaft Desillusionierten. Vor diesem Hintergrund kann sich Marktwirtschaft, bei der produktives Sterben verlustbringender Firmen oder ganzer Branchen stattfindet, nur verhalten entwickeln.

China ist in der schnöden Wirtschaftsrealität eines Industrielandes angekommen Ohnehin zeigen sich auf der Straße des chinesischen Aufschwungs mittlerweile Schlaglöcher. Die Wunderjahre der wirtschaftlich problemlosen Kinderzeit sind vorbei. China befindet sich in der Pubertät. Die Produktion im asiatischen Hinterland ist inzwischen vielfach günstiger als in China. Viele Industriefirmen haben rübergemacht. Als Schwellenland ist es eben einfach, über Billiglöhne Exportweltmeister zu werden. Als Industrieland jedoch eine stabile Binnenkonjunktur bei Beschäftigungsproblemen und zuschlagender Inflation zu erhalten, ist viel schwieriger. Dieses Schicksal ist nicht spezifisch chinesisch, sondern alle früheren Schwellenländer haben es erlitten.

Und so wundert es nicht, dass die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe auf eine Schrumpfung der chinesischen Industrie hindeutet. Auch die Dienstleistungsbranche glänzt weniger.



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Trump hat Chinas Wirtschaftsschwäche gewittert wie ein Fuchs seine Beute



In diese Kerbe der wirtschaftlichen "Verwundbarkeit" schlägt US-Präsident "Thor" Trump mit Freude und Schmackes, konkret mit dem Zollhammer. Die US-Importzölle haben Export-China nicht nur direkt, sondern über die handelsseitig eingetrübte Weltwirtschaftsstimmung ebenfalls indirekt zugesetzt. Die Gegenzölle haben zwar auch den Absatz von amerikanischen Smartphones und Autos sowie von Weizen, Mais und Soja aus dem Mittleren Westen geschwächt. Doch im Vergleich hat der Exportweltmeister China gegenüber dem handelsdefizitären Amerika mehr zu verlieren.

Sicherlich ist zu erwarten, dass in den nächsten Wochen ein Handels-Deal zwischen den USA und China zustande kommt. Doch wird China den USA u.a. in puncto Marktöffnung, Beteiligungen an chinesischen Unternehmen und deutlichen Importerleichterungen weit entgegenkommen müssen.

Auf dem Mist des transatlantischen Handelsstreits erblüht auch nicht automatisch eine eurasische Freundschaft. Zwar leidet Brüssel unter den abgekühlten Handelsbeziehungen zu Amerika. Doch weiß Europa umgekehrt auch, dass China bei der Verteidigung seiner Handelsinteressen nicht immer nur ein freundlicher Pandabär ist. Insgeheim freut sich Europa über die harte Gangart Trumps gegenüber China. Denn was Amerika über ein Handelsabkommen mit China erreicht, dürfte auch früher oder später zum Standard im Handel zwischen Europa und China werden. Insgesamt steht Europa für ein reines Bratkartoffelverhältnis mit China wohl kaum zur Verfügung.

Und ob Chinas Bemühungen zur Errichtung einer neuen Seidenstraße oder zur Rohstoffsicherung nachhaltig zum gewünschten Erfolg führen, ist auch nicht in Stein gemeißelt. In so manchem wenig demokratischen Staat kann die Regierung schneller wechseln als das Wetter. Ob sich dann die neue noch an die Absprachen der alten mit China hält? Und falls Peking dort zu forsch auftritt, könnte sich das ein oder andere Land hilfesuchend an Washington richten. Im geostrategischen Kampf zwischen Amerika und China um den ersten Platz an der Sonne gilt: Im Krieg sind alle Waffen erlaubt.

Wehe, wenn Chinas Wirtschaftswachstum nachlässt



Also muss Peking vor allem mit eigenen Bordmitteln gegen Wachstumsdellen vorgehen. Um der Handicaps Überschuldung, planwirtschaftlichem Ballast und der Gefahr sozialer Probleme Herr zu werden, ist China geradezu gezwungen, weiter stark zu wachsen. So erklärt sich auch die offiziell immer noch extrem anspruchsvolle Wachstumsprognose für 2019 von 6,0 bis 6,5 Prozent.

Um dieses Ziel zu erreichen, setzt Peking auf das ganze Arsenal an finanz- und geldpolitischen Waffen. Die Steuern sollen dramatisch im dreistelligen Milliardenbereich gesenkt werden, um Industrie, Transport und Baugewerbe anzukurbeln. Zusätzlich wird geplant, mit Investitionen in die Infrastruktur mehr als elf Millionen neue Arbeitsplätze in den Städten zu schaffen. Nicht zuletzt wird der Rüstungssektor aufgeblasen.

Nach Planungen der Regierung soll das Haushaltsdefizit von 2,6 im Jahr 2018 auf 2,8 Prozent in diesem Jahr steigen. Ein frommer Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen wird.

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Vollgas beim Wirtschaftswachstum, egal, was es kostet



Die Schuldenparty wird von der chinesischen Notenbank finanziert, die damit längst in einem Atemzug mit Fed, EZB oder Bank of Japan genannt werden kann. Wie in allen Industrieländern ist auch die People’s Bank of China zum Durchlauferhitzer von Schulden geworden Nicht zuletzt soll mit geringeren Zinsen und Reserveanforderungen die Kreditvergabe an kleinere und mittelständische Firmen angeschoben werden. Kommt einem alles bekannt vor!

Und wie in den USA und Europa werden sich auch die Aktienmärkte in China an dieser Liquiditätshausse zu erfreuen.

Insgesamt hat China also keinen Nimbus oder keinen Glorienschein und ist genau so wenig ein Wirtschaftsmythos wie einst Japan. China ist einer von uns, ein Industrieland mit all seinen typischen Problemen.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

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Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.