Zum Thema VW-Aktionärsklagen erreichen die boerse-online.de-Redaktion viele Zuschriften.
Rechtsanwalt Dietmar Kälberer, Experte für Kapitalmarktrecht, nimmt zu sechs aktuellen Leser-Fragen Stellung Von Stefan Rullkötter
1. Der Kursdifferenzschaden soll 61,80 Euro pro VW-Aktie betragen. Ist das zutreffend - und was kann ich als betroffener Aktionär tun?
Dietmar Kälberer: Der Kursdifferenzschaden wird verbindlich im Kapitalanlegermusterprozess geklärt werden. Obige Zahlen sind deshalb nur Schätzungen. Der einfachste und günstigste Weg ist, sich am Kapitalanlegermusterverfahren in Deutschland zu beteiligen. Die hierfür nötige Anmeldung muss ein Anwalt durchführen, da hier Anwaltszwang besteht. Das ist auch gut so, da hier einige Formalien und inhaltliche Vorgaben zu beachten sind. Geschädigte Aktionäre sollten sich an einen Fachanwalt für Kapitalmarktrecht wenden, der einerseits mit Musterverfahren Erfahrung hat und andererseits auch wegen der VW-Abgasmanipulation auch schon Klagen eingereicht hat.
2. Wann ist eine konkrete Aussage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zum Thema VW zu erwarten?
Dietmar Kälberer: Von der BaFin können Anleger erfahrungsgemäß nicht viel erwarten - in Sachen effektiver Anlegerschutz ist die Behörde meiner Meinung nach ein Papiertiger. Mit Informationen von Anlegern sieht es noch schlechter aus. Da verhinderte die BaFin aus meiner Sicht eher, als dass sie wirklich half .
3. Sollten betroffene VW-Aktionäre, wie verbreitet empfohlen, zunächst die weitere Entwicklung abwarten - und falls ja, bis wann?
Dietmar Kälberer:Nein, das ist gefährlich. Diese Empfehlungen waren eher der Hoffnung geschuldet, dass sich der VW-Kurs mittelbar und dauerhaft wieder erholen könnte. In diesem Fall hätte man sich Rechtsberatungskosten ersparen können.
4. Wann drohen Schadensersatzansprüche der VW-Aktionäre zu verjähren?
Dietmar Kälberer: In Paragraf 37 b Absatz 4 des Wertpapierhandelsgesetzes war bis zum 10.07.2015 eine kurze Verjährung von ein Jahr ab Kenntnis, spätestens drei Jahre ab Unterlassung geregelt. Durch Artikel 3 Nummer 9 des Kleinanlegerschutzgesetzes wurde diese Verjährung zwar ab dem 10.07.2015 aufgehoben, aber leider keine klare Übergangsvorschrift geregelt. Die Gesetzesbegründung hilft da auch nicht viel weiter, da auch diese zweideutig ist. Deshalb kann man sich prächtig darüber streiten, wann Käufe vor dem 10.07.2015 verjähren. Sicherheitshalber sollten betroffene Aktionäre ein Jahr nach Veröffentlichung durch VW annehmen, dann sind sie auf der sicheren Seite. Auch insoweit ist es dringend empfehlenswert, einen Anwalt einzubinden.
5. Ist eine Sammelklage in Deutschland möglich, eventuell auch vom europäischen Ausland her - zum Beispiel aus den Niederlanden?
Dietmar Kälberer:In Deutschland ist nur das Kapitalanlegermusterverfahren möglich. Der Startschuss hierfür ist schon gefallen, die nötigen 10 Anträge sind eingereicht. Wenn VW Ende Februar hierzu Stellung genommen hat, kann das Landgericht diese veröffentlichen. Ob deutsche Anleger bei einer "Class action" in USA teilnehmen ist eher unwahrscheinlich. Ob eine Teilnahme an einem Musterverfahren in Niederlande für deutsche Anleger möglich ist, kann nicht nach Deutschen Recht beurteilt werden. Dies erscheint mir eher kritisch und wenig nachvollziehbar, soweit die Aktien nicht über eine holländische Börse gekauft wurden oder der Anleger keinen Wohnsitz in den Niederlanden hatte. Normaler Weise muss ein gewisser Bezug zu dem jeweiligen Land bestehen, kann letztlich aber wohl nur von einem holländischen Anwalt abschließend beurteilt werden. Im Zweifel empfehle ich keine Experimente mit fremden Rechtsordnungen.
6. Wie können sich betroffen VW-Aktionäre am Kapitalanlegermusterverfahren beteiligen?
Dietmar Kälberer: Eine Anmeldung zum Kapitalanlegermusterverfahren ist für sie wahrscheinlich frühestens in etwa drei Monaten zu erwarten. Bis dahin "brennt" zwar nichts wirklich an. Soweit die Aktien noch im Bestand sein sollten, wäre aber gleichwohl dringend eine anwaltliche Beratung sinnvoll. Unter Umständen kann das weitere Halten der Aktien in einem späteren Verfahren schädlich sein. Zudem riskiert der Anleger weitere Verluste. Es kann gut sein, dass dann VW argumentiert, daran sei der Anleger selbst schuld, während Gewinne zu Gunsten von VW die Schadenssumme verringern sollen. Auch ansonsten ist da Einiges zu beachten - zum Beispiel Verzugssetzen wegen späterer Verzugszinsen oder Folgeschäden.
Zur Person: Dietmar Kälberer ist Fachanwalt für Bank und Kapitalmarktrecht in Berlin