ESSEN (dpa-AFX) - Die Geschäfte des Chemikalienhändlers Brenntag laufen rund, der von Unternehmenschef Christian Kohlpaintner eingeleitete Konzernumbau zahlt sich aus. Die Aktie erklomm seit der Ankündigung der Maßnahmen zur Verbesserung der Profitabilität im Oktober 2020 Rekordhochs in Serie. Jetzt stehen die Essener vor dem Aufstieg in die erste Börsenliga. Was bei dem Unternehmen los ist, wie Analysten es bewerten und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI BRENNTAG:

Brenntag ist ein international tätiger Händler von Industrie- und Spezialchemikalien sowie Inhaltsstoffen, der seine mehr als 10 000 Produkte bei den Chemiekonzernen in größeren Mengen einkauft, diese lagert und sie dann in kleineren Mengen verkauft. In den vergangenen Jahren ist das Unternehmen über kleinere Übernahmen gewachsen. Konjunkturabschwünge treffen Brenntag in der Regel weniger stark als Chemiekonzerne, weil Kunden dann geringere Mengen an Chemikalien benötigen und diese vermehrt beim Händler statt beim Produzenten kaufen.

Um profitabler zu werden, hatte der seit Anfang 2020 amtierende Unternehmenschef Kohlpaintner dem Unternehmen eine Restrukturierung verordnet. Prozesse, Abläufe und Strukturen sollten verbessert werden. Auch ungefähr 1300 Stellen will das Unternehmen bis Ende 2022 weltweit streichen. Davon seien etwa 480 schon abgebaut, sagte der Brenntag-Chef kürzlich. Auch wurden von den rund 100 geplanten Standortschließungen schon 58 vollzogen. Brenntag beschäftigt mehr als 17 000 Mitarbeiter und betreibt ein Netzwerk aus mehr als 670 Standorten in über 77 Ländern. Größter Konkurrent ist die US-Firma Univar.

Zudem führte der Konzern Anfang 2021 zwei Geschäftsbereiche ein: Essentials und Specialties. Im ersten Bereich vermarktet Brenntag Prozesschemikalien für ein breites Spektrum an Branchen und Anwendungen. Der zweite Bereich konzentriert sich auf den Vertrieb von Inhaltsstoffen für ausgewählte Branchen.

Für das laufende Jahr peilt Brenntag einen operativen Gewinn (bereinigtes Ebitda) von 1,16 bis 1,26 Milliarden Euro an. 2020 standen hier 1,06 Milliarden Euro. An der Börse ist das Unternehmen gut 13 Milliarden Euro wert und steht vor dem Aufstieg in den Dax.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die Analysten sind verhalten optimistisch im Bezug auf die Brenntag-Aktie. Von den zehn von dpa-AFX erfassten Experten, die sich seit den Quartalszahlen im August zu Brenntag geäußert haben, raten vier zum Kauf des Papiers und fünf sprechen sich für das Halten aus. Einmal lautet die Empfehlung, die Aktie zu verkaufen. Mit rund 87 Euro liegt das durchschnittliche Ziel nur leicht über dem aktuellen Kurs.

Brenntag hat mit einem Wachstum aus eigener Krafgt des operativen Gewinns von mehr als 30 Prozent ein starkes Quartalsergebnis erzielt, lobte Analyst Christian Cohrs von der Investmentbank Warburg Research. Das Unternehmen profitiere von seiner führenden Marktposition und seinem hervorragenden Zugang zu Lieferanten und Produkten. Diese Lieferfähigkeit stelle einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil im derzeitigen Umfeld von Lieferkettenengpässen dar und werde daher mit einer besseren Vergütung belohnt. Neben dem günstigen Marktumfeld wirke sich auch das Transformationsprogramm auf die Ergebnisentwicklung positiv aus, so Cohrs.

Auch für Analyst Chetan Udeshi von der US-Bank JPMorgan fielen die Resultate im zweiten Quartal dank eines günstigen Nachfrage- und Preisumfelds stark aus. Da sich die Preise in den kommenden Quartalen normalisieren würden, sollte sich die hohe variable Vergütung ebenfalls abschwächen. Zudem sollte sich das Anlaufen der Kosteneffizienzprogramme positiv auf die Erträge auswirken. Ein beständigeres organisches Wachstum sollte im Laufe der Zeit zu einer höheren Bewertung führen.

Der JPMorgan-Analyst hob deshalb die Prognosen für den Barmittelzufluss (Free Cashflow), das bereinigte operative Ergebnis (Ebitda) sowie den Gewinn je Aktie des Chemikalienhändlers bis 2022 an. Brenntag könne das obere Ende der angepeilten Spanne für das bereinigte operative Ergebnis in diesem Jahr erreichen.

Laut Analyst Andreas Heine vom Investmenthaus Stifel impliziert die Prognose ein operatives Ergebnis in Höhe von 604 Millionen Euro in der zweiten Jahreshälfte. Damit würde das Ergebnis am oberen Ende der für das Gesamtjahr prognostizierten Bandbreite liegen. Brenntag gehe dabei von einer Normalisierung des Marktumfelds in der zweiten Jahreshälfte aus. Allerdings hält der Stifel-Analyst das Gewinnziel für zu vorsichtig, da sich der Trend bezüglich angespannter Lieferketten fortsetze und Brenntag damit die Preise festlegen könne.

Auch Analyst Cohrs von Warburg Research hält das Gewinnziel aufgrund der starken Entwicklung im bisherigen Jahresverlauf und der jüngsten Zukäufe für zu konservativ. Mit rund 1,3 Milliarden Euro liegt seine Schätzung über dem anvisierten Ziel des Unternehmens. Für den NordLB-Analysten Thorsten Strauß gehört Brenntag angesichts der aktuellen Marktkapitalisierung als aussichtsreicher Aufstiegskandidat bei der für September vorgesehenen Aufstockung des deutschen Leitindex Dax auf 40 Werte.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Seit der Vorstellung des Konzernumbaus auf dem Kapitalmarkttag Anfang November 2020 erklomm die Aktie des Chemikalienhändlers Rekordhochs in Serie. Zuletzt kostete das Papier gut 85 Euro. Seit dem Corona-Crash im März 2020, als die Aktien bis auf 28,68 Euro abgerutscht waren, ist der Wert des Papiers auf rund das Dreifache gestiegen.

Erst Jüngst hatten die Papiere bei etwas mehr als 87 Euro eine Bestmarke erreicht. Seit Jahresbeginn hat sich die Aktie um rund 35 Prozent verteuert. Wegen der inzwischen erreichten Marktkapitalisierung von mehr als 13 Milliarden Euro, bei gleichzeitig hohem Streubesitz gilt Brenntag als heißer Kandidat für den Dax-Aufstieg, wenn dieser im September von 30 auf 40 Werte erweitert wird.

Vor der Präsentation des Konzernumbaus mussten sich die Anleger in Geduld üben. Nach dem Börsengang im Jahr 2010 war es zunächst zwar beständig nach oben gegangen, von Mitte 2014 bis Mitte 2020 waren die Papiere unter dem Strich aber nicht von der Stelle gekommen.

Viel Freude bereitet das Papier des Chemikalienhändlers den Anlegern der ersten Stunde, die dabei geblieben sind, aber dennoch: Seit dem Börsengang 2010 hat sich die Aktie auf mehr als das Vierfache verteuert./mne/nas/mis

Quelle: dpa-Afx