HAMBURG (dpa-AFX) - Mit dem Klimawandel steigt vielerorts auch die Einsicht nach der Notwendigkeit sauberer Energieträger. Regierungen rund um den Globus erhöhen den Anteil an regenerativen Energien. Neben Asien als Antreiber erhielt die Branche zuletzt einen Stimmungsschub durch den Machtwechsel in den USA, wo der demokratische Präsident Joe Biden einen starken Ausbau der Windenergiekapazitäten plant.

Als einer der führenden Hersteller von Strom aus Windkraft und Sonne dürfte nach Ansicht von Experten auch Encavis von den guten Aussichten der Branche profitieren. Allerdings machen dem Unternehmen zuletzt hohe Kosten zu schaffen. Zudem muss für ein gutes Geschäft auch die Witterung mitspielen, was ebenfalls nicht der Fall war. Zur Lage des Unternehmens, was die Aktie macht und was die Analysten sagen.

LAGE DES UNTERNEHMENS:

Die Encavis AG entstand im Jahr 2017 aus dem Zusammenschluss der Capital Stage AG und der Chorus Clean Energy AG, wobei sich das Kunstwort Encavis aus den Anfangsbuchstaben der englischen Wörter "Energy", "Capital" und "Vision" zusammensetzt. In den vergangenen Jahren ist das Unternehmen vor allem durch Übernahmen und der Eröffnung neuer Wind- und Solarparks stark gewachsen. Mit Milliardeninvestionen und gezielten Übernahmen will das in Hamburg beheimatete Unternehmen auch in den kommenden Jahren größer werden und und seine Gewinne im Tagesgeschäft und die Umsätze weiter steigern.

Stand Mitte Mai verfügten die Hanseaten über 190 Solar- und mehr als 90 Windparks mit einer Leistung von rund 2,8 Gigawatt in vielen Ländern Europas. Einen Teil hiervon betreibt der Konzern für Dritte. Im Zuge seiner Strategie "Fast Forward 2025" will der Konzern seine Kapazitäten in den kommenden Jahren noch deutlich ausweiten.

Doch nach einem aus meteorologischer Sicht außergewöhnlich guten Jahr 2019 spielte das Wetter schon 2020 nicht mehr ganz so mit wie erhofft, dennoch konnte Encavis beim bereinigtem Umsatz und operativen Ergebnis weiter zulegen und die Markterwartungen übertreffen. Allerdings sanken die Margen.

Im vergangenen Quartal machte dem Konzern dann die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich schlechte Witterung einen kräftigen Strich durch die Rechnung: Die Windflaute ließ die Erlöse prozentual zweistellig einbrechen, und höhere Kosten für neu ans Netz genommene Parks in Spanien sorgten mit dafür, dass das bereinigte operative Ergebnis (Ebitda) gar um mehr als ein Fünftel auf rund 39,3 Millionen Euro sank. Unter dem Strich verbuchte Encavis einen Quartalsverlust von 2,2 Millionen Euro.

Dennoch hält das Management bisher an seinen Jahresprognosen fest. Finanzchef Christoph Husmann verwies dabei auf saisonale Schwankungen. Encavis rechnet bisher weiterhin mit einem Umsatzanstieg von zuletzt gut 292 Millionen auf mehr als 320 Millionen Euro. Das bereinigte Ebitda soll von knapp 225 Millionen auf mehr als 240 Millionen Euro zulegen. Die Encavis-Zahlen für das soeben zu Ende gegangene zweite Quartal werden für den 13. August erwartet.

Das steigende Interesse von Anlegern bescherte Encavis unterdessen im März per "Fast-Entry-Regel" den Aufstieg vom Nebenwerteindex SDax in den Index der mittelgroßen Werte MDax .

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX erfassten sieben Analysten sind überwiegend positiv gestimmt. Vier raten zum Kauf der Papiere, drei zum Halten. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei gut 18 Euro und damit gut ein Zehntel über dem aktuellen Kursniveau von 16,28 Euro.

Zafer Rüzgar vom Investmenthaus Pareto liegt mit seinem Ziel von 18,50 Euro über dem Mittelwert aller Experten. Neben den guten Aussichten für erneuerbare Energien betont er die langfristigen Verträge des Unternehmens, die für zuverlässige und gut absehbare künftige Erträge sorgten. Der Experte geht zudem davon aus, dass das Unternehmen in puncto Profitabilität das derzeitige hohe Niveau halten wird. Auch für die Wachstumspläne von Encavis ist Rüzgar zuversichtlich gestimmt und verweist auf Partnerschaften mit Projektentwicklern und die schon recht gut gefüllte "Pipeline".

Encavis sei auf einem eindeutigen Wachstumspfad, erklärt Analyst Jan Bauer von Warburg Research. So habe das Unternehmen erst jüngst mit dem Erwerb eines Windparks in Finnland diesen Markt betreten. Der MDax-Konzern dürfte aus Sicht des Branchenkenners im Jahresverlauf weitere Akquisitionen ankündigen, was einen klaren Wachstumspfad darstelle und zu noch höheren Kurszielen führen sollte. Diese Wachstumsaussichten sowie die Fähigkeiten des Unternehmens, einen Mehrwert zu schaffen, seien nicht angemessen in den Kurs eingepreist. Vor diesem Hintergrund rät auch Bauer zum Kauf.

Skeptischer ist Martin Comtesse vom Investmenthaus Jefferies. Seine Einschätzung verdeutlicht, wie wetterabhängig Encavis ist. Er äußerte sich im Mai mit Blick auf die Geschäftsentwicklung im ersten Quartal enttäuscht. Ungünstiges Wetter habe auf der Ökostromproduktion gelastet. Da die Fixkosten des Unternehmens sehr hoch seien, habe das zu deutlichen Einbußen bei der Profitabilität geführt. Comtesse rät bei einem Ziel von 15,50 Euro zum Halten der Aktien.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Für die Anleger ist die Encavis-Aktie in den vergangenen Jahren zur Erfolgsgeschichte geworden. Dabei brauchen die Anteilseigner allerdings immer wieder gute Nerven, um teils deutliche Rückschläge auszusitzen. Von ihrem Tief bei umgerechnet 8 Euro-Cent im Jahr 2004 kletterten sie bis zum Januar diesen Jahres auf einen Rekord von 25,55 Euro. Dabei verloren sie 2015 bis ins Jahr 2016 hinein sowie 2020 und auch im Frühjahr dieses Jahres jeweils über 40 Prozent an Wert. In der Vergangenheit konnten Encavis-Papiere die Scharte im Chart immer recht schnell wieder auswetzen. Auch aktuell sieht es eher nach Bodenbildung denn nach einem tieferen Rückschlag aus.

Im Mai und Juni fanden sich jeweils im Bereich von rund 14 Euro wieder Käufer, die für eine Kurserholung sorgten. In trockenen Tüchern ist eine Bodenbildung allerdings noch nicht. Dazu müssten es die Aktien zunächst über ihre 200-Tage-Linie schaffen, die bei Börsianern als ein Gradmesser für den längerfristigen Trend gilt. Seit April bremst die Durchschnittslinie eine weitere Erholung oder gar einen neuen Aufschwung aus.

Richtig optimistisch dürfen die Anleger wieder werden, wenn auch die Charthürde um 19 Euro überwunden werden kann. Dort liegen mehrere Zwischenhochs aus dem Herbst 2020 und dem März 2021. Damit wäre auch etwa die Hälfte des Rückweges zum Rekordhoch geschafft. An der Börse bringt es Encavis aktuell auf eine Bewertung von gut 2,25 Milliarden Euro. Das reicht aber nur für einen der letzten Plätze im MDax./tav/mis/ag/men

Quelle: dpa-Afx