BERLIN/ESSEN (dpa-AFX) - Erneuerbare Energien haben im Januar und Februar in Deutschland rund 54 Prozent des Stromverbrauchs geliefert. Verantwortlich dafür war vor allem das stürmische Wetter. Im März kam viel Sonnenschein hinzu, so dass im ersten Quartal nach einer Hochrechnung insgesamt rund 74,5 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wurden - fast 25 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2021 lag der Stromverbrauch in Deutschland bei knapp 504 Terawattstunden. Der Anteil der Erneuerbaren lag übers Jahr gesehen bei knapp 43 Prozent. Auf dem Weg zur Klimaneutralität will die Bundesregierung den Anteil der erneuerbaren Energien am Strombedarf bis 2030 auf 80 Prozent ausbauen.
Das stürmische Wetter sorgte im Februar mit 20,6 Terawattstunden für einen Rekordmonat in der Stromerzeugung aus Windenergie, wie das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) berichteten. Einen Sonnenstrom-Märzrekord soll es auch gegeben haben: Bis Montagmittag wurden im März laut einer Analyse des Energieversorgers Eon
Das reiche alles noch lange nicht, sagt auch der BDEW. "Der hohe Erneuerbaren-Anteil in den ersten Monaten dieses Jahres darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ausbau der Erneuerbaren viel zu langsam verläuft", kritisierte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine und der damit verbundenen Sorgen um die Energieversorgung sei es wichtig, schnell unabhängig von fossilen Energieträgern und damit auch russischen Importen zu werden. "Maßnahmen, um den Ausbau der Erneuerbaren massiv voranzutreiben, sind dringlicher denn je. Wir brauchen schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren und mehr Flächen für Windräder und Photovoltaik-Anlagen."
Die Solarwirtschaft rechnet vor dem Hintergrund des Kriegs mit einem weiteren Anziehen der Nachfrage nach Sonnenstrom-Anlagen bei Eigenheimbesitzern. "Bei vielen unserer Mitgliedsunternehmen füllen sich gerade kräftig die Auftragsbücher", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft, Carsten Körnig, der Deutschen Presse-Agentur. Für konkrete Jahresprognosen sei es noch zu früh. Vor allem gewerbliche Investitionen in Solartechnik würden stark von der weiteren Ausgestaltung politischer Rahmenbedingungen abhängen. Nach Körnigs Angaben werden in Deutschland rund 10 Prozent des Stromverbrauchs aus Photovoltaik gedeckt.
Der Essener Energieökonom Manuel Frondel ist derweil skeptisch, dass sich das von der Bundesregierung gewünschte höhere Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien kurzfristig umsetzen lässt. So bezweifelt er, dass sich der Ausbau der Windenergie an Land nennenswert beschleunigen lässt. Als Gründe sieht er vor allem die Genehmigungsverfahren und den Widerstand in der Bevölkerung. Positiv bewertet er, dass Solarparks sowie Windparks auf See mittlerweile ohne oder fast ohne Subventionen auskämen. "Je stärker der CO2-Preis steigen wird, desto attraktiver wird es, solche Parks zu errichten."
Frondel weist darauf hin, dass erneuerbare Energien in der Stromerzeugung Erdgas nur zum Teil ersetzen können. "Leider brauchen wir wegen der Unzuverlässigkeit der erneuerbaren Energien insbesondere bei Wind und Sonne konventionelle Kraftwerke als Backup", sagt Frondel, der am Wirtschaftsforschungsinstitut RWI arbeitet. "Im Moment sehe ich da nur Kohle- und Gaskraftwerke." Auch mittelfristig sei deren Betrieb mit Kohle und Erdgas sinnvoll, wenn die Sonne nicht scheine und kein Wind wehe. Solange klimaneutral erzeugter Wasserstoff nicht in "rauen Mengen" verfügbar sei, solle man ihn zunächst etwa in der Stahl- und Chemieindustrie einsetzen, anstatt ihn für die Stromgewinnung in Gaskraftwerken zu verwenden.
Das Kapitel Atomkraft ist für Frondel "weitgehend erledigt". Volkswirtschaftlich gesehen könne ein Weiterbetrieb allerdings durchaus sinnvoll sein. "Abgeschriebene Kernkraftwerke sind im Betrieb die günstigste Stromerzeugungsart, die man sich vorstellen kann." Auch die CO2-Bilanz würde verbessert. Allerdings könnten die Sicherheitsanforderungen an einen langjährigen Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kraftwerke so hoch sein, dass es sich für die Energiekonzerne nicht lohne./tob/DP/ngu
Quelle: dpa-Afx