Ist der AI-Hype real oder eine Blase? Ein Thema, zwei Meinungen in der Redaktion. Nils Jacobsen beschreibt den Bear Case für die Mag 7 & Co.

Seit drei Jahren läuft an den Kapitalmärkten der wohl größte Tech-Trade seit der Jahrtausendwende. Die „Magnificent Seven“ – allen voran Nvidia, Microsoft, Alphabet und Meta – haben Billionen an Börsenwert hinzugewonnen. KI-Chips, Cloud-Services und generative Anwendungen gelten als die Infrastruktur der neuen digitalen Epoche.

Doch je höher die Erwartungen steigen, desto lauter werden die Stimmen, die Parallelen zur Dotcom-Blase ziehen. Damals wie heute waren die Erzählungen schlüssig: unbegrenzte Produktivitätsgewinne, neue Industrien, eine Revolution, die keine Grenzen kennt. Und doch folgte im Jahr 2000 der härteste Bärenmarkt seit Jahrzehnten.

Marktkonzentration auf Rekordniveau

Das Herzstück der Bären-These ist die extreme Bewertungskonzentration. Die zehn größten Titel des S&P 500 stehen heute für knapp 40 Prozent der Indexkapitalisierung – nur Berkshire Hathaway kommt dabei nicht aus dem Tech-Sektor. Selbst im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt des Dotcom-Fiebers, war die Dominanz nicht ganz so ausgeprägt. Zum Vergleich: Seinerzeit lag die Quote knapp unter 30 Prozent.

Damit lastet das Schicksal des weltgrößten Aktienindex maßgeblich auf den Schultern weniger Technologiekonzerne. Jede Enttäuschung – sei es bei Quartalszahlen, eine Guidance oder regulatorischen Entwicklungen – kann massive Kursausschläge auslösen. Anleger sitzen faktisch auf einem Klumpenrisiko, das sie womöglich unterschätzen.

Priced for Perfection 

Auch die Bewertungsniveaus spiegeln diese Konzentration wider. Microsoft wird mit einem Forward-KGV von über 32 gehandelt, deutlich über dem historischen Schnitt von 20. 

Alphabet liegt bei 25, Meta bei 27. Nvidia notiert gar bei einem erwarteten KGV von rund 46 – nach einer Kursvervielfachung um mehr als 1200 Prozent seit Ende 2022. Selbst Apple, ein inzwischen recht saturierter Hardware-Konzern, kostet über das 36-fache des erwarteten Gewinns.

KI-Investitionen immer gigantischer  

Während die Marktkapitalisierung explosionsartig steigt, entfachen die CapEx-Budgets im Zuge der gigantischen KI-Investitionen ein eigenes Szenario. Amazon plant 2025 mehr als 100 Milliarden Dollar für den Ausbau seiner Infrastruktur, Analysten rechnen inzwischen gar mit bis zu 117 Milliarden Dollar. 

Alphabet hat seine CapEx-Pläne auf 85 Milliarden Dollar angehoben, während Microsoft für das Fiskaljahr 2025 mit einem ein CapEx-Volumen in Höhe von rund 80 Milliarden  Dollar plant – vornehmlich für KI-Infrastruktur, Rechenzentren und Cloud-Ausbau.

Frage nach dem ROI

Zusammengenommen entstehen bei den Tech-Riesen Investitionssummen im Bereich von 300 bis 400 Milliarden Dollar für 2025 – eine Dimension, die jede Erwartungen sprengt und zugleich fundamentalen Druck auf Profitabilität und freie Cash Flows ausübt.

Die offene Frage lautet: Wo bleibt der Return on Investment? Studien zeigen, dass viele KI-Pilotprojekte enorm teuer, aber bislang kaum profitabel sind. Produktivitätsgewinne sind kurzfristig schwer messbar. Die Börse preist damit eine idealisierte Zukunft ein – ohne Fehlertoleranz.

Geopolitik und Energie als Achillesfersen

Zusätzlich drohen externe Risiken. Nvidia verliert durch die US-Exportauflagen nach China rund 15 Prozent seines Umsatzes. Die Abhängigkeit von Taiwan als Chip-Lieferant macht die Branche geopolitisch verwundbar.

Auch der Energiebedarf könnte sich als Bremsklotz erweisen. Bis 2025 sollen KI-Rechenzentren den US-Stromverbrauch um 20 bis 40 Prozent erhöhen. Stromnetze gelten bereits als Flaschenhals, der den ROI der gigantischen CapEx-Wellen gefährden könnte.

Ein scheinbar perfektes Narrativ – mit Rissgefahr

Niemand zweifelt an der Disruption durch KI. Die „Mag 7“ sind die Hauptarchitekten dieser vierten industriellen Revolution. Doch an der Börse ist die Zukunft längst eingepreist. Anleger bezahlen für ein perfektes Narrativ – und übersehen, dass schon kleine Abweichungen von dieser Idealvorstellung massive Kurskorrekturen auslösen können.

Der AI-Trade hat in drei Jahren spektakuläre Renditen geliefert. Doch genau darin liegt das Risiko: Die Bewertungen stehen auf einem Niveau, das keine Fehler erlaubt. Geopolitik, Energienotstand, Kostenexplosionen und die bislang nicht belegten Produktivitätsgewinne bilden eine brisante Mischung.

Ein aktuell eher ungünstiges Chance-Risiko-Profil

Cisco ist dabei ein mahnendes Bespiel. Der Netzwerkausrüster stieg im Jahr 2000 zum wertvollsten Konzern der Welt auf und galt als „Infrastruktur des Internets“ – verlor in den Folgejahren aber dennoch 80 Prozent, als die Realität die Euphorie nicht einholte. Aktionäre müssen bis heute – mehr als ein Vierteljahrhundert später – auf alte Kursniveaus warten.

Die Bären-These lautet daher: Das Chance-Risiko-Verhältnis ist inzwischen eher ungünstig. Die „Echos von 2000“ könnten jederzeit hörbar werden – mit dem Unterschied, dass es diesmal fast durchweg die wertvollsten Unternehmen der Welt betrifft. Crashen die Mag 7 wie im Bärenmarkt 2022, als Aktionäre von Microsoft bis Tesla Kursverluste von 30 bis 70 Prozent verkraften mussten, dürfte es Technologie-Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe noch härter treffen. 

Das heißt nicht, dass der AI-Trade damit für immer vorbei ist. Nvidia, Microsoft, Meta & Co, dürften auch in den 2030ern ganz maßgeblich die (Technologie-)-Welt bestimmen. Es könnte nur sein, dass die Aktien in der Zwischenzeit einen größeren Rücksetzer verkraften müssen, ehe der AI-Boom nach einer Bereinigung an der Börse seine Fortsetzung findet.

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Infront Nasdaq 100 (WKN: A0AE1X)

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