Bei 3,8 Kilogramm bleibt die Anzeige an der Zapfsäule stehen. Mehr passt nicht rein in den Pkw, unter dessen Motorhaube ein Stapel Brennstoffzellen arbeitet. Mit dem vollen Tank von gut sechs Kilogramm Wasserstoff kann der Hyundai Nexo eine Strecke von rund 600 Kilometern zurücklegen, deutlich mehr als die meisten Elektroautos. Der Preis für den Kraftstoff ist mit konventionellem Sprit vergleichbar. Ein Kilogramm, mit dem ein Wasserstoffauto 100 Kilometer weit fahren kann, kostet 9,50 Euro - so viel wie ein Benziner mit sechs Litern Verbrauch auf ­gleicher Strecke bezahlt. Auch das Tanken ist ähnlich simpel wie bei Benzin und Diesel und dauert kaum länger. Ein Handgriff - und die Zapfpistole ist entriegelt.

Ein Unterschied ist aber zu spüren. Die Zapfpistole ist eiskalt. Das Gas ist mit einer Temperatur von minus 40 Grad Celsius in den Tank gedrückt worden. Auf dem Weg von der Zapfsäule in den Tank hat das Gas einen dünnen Eisfilm auf dem Metall der Zapfpistole hinterlassen. Ähnlich unterkühlt ist bisher auch das ­Interesse der deutschen Autokäufer an Wasserstoffautos. Laut Kraftfahrt-Bundesamt waren auf Deutschlands Straßen zu Beginn des Jahres erst 386 "Brennstoffzellen-Fahrzeuge mit Primärenergieträger Wasserstoff" unterwegs.

Zum gleichen Zeitpunkt waren etwa 83 000 reine Elektroautos und rund 64 Millionen klassische Verbrenner angemeldet. Das Problem der wasserstoffgetriebenen Fahrzeuge: Zur geringen Auswahl - derzeit gibt es in Deutschland mit dem Nexo, dem Toyota Mirai und dem GLC von Daimler nur drei Modelle - kommt der hohe Preis. Der Nexo kostet 69 000 Euro und damit ­doppelt so viel wie ein konventioneller Kompakt-SUV der Südkoreaner. Den Brennstoffzellen-Mercedes gibt es derzeit nur als Mietfahrzeug - für eine Leasingrate von 800 Euro im Monat.

Es ist das typische Henne-Ei-Problem: ­Geringe Stückzahlen bedeuten hohe Preise, und hohe Preise schrecken ab. Auch die Zahl der Tankstellen ist noch überschaubar. 70 sind es in Deutschland. Eine Fahrt ins angrenzende Ausland kann zum Abenteuer werden, weil dort mit Ausnahme Dänemarks die Tankstellendichte noch geringer ausfällt als bei uns. Doch immerhin: Die Zahl wächst von Monat zu Monat. Bis 2020 sollen es 100, 2021 dann 140 sein.

Altbekannte Technik. Die Technologie, bei der Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser reagieren und dabei Energie erzeugen, die die Fahrzeuge als Strom zum Antrieb eines Elektromotors nutzen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Immer wieder gab es Phasen, in denen die Wasserstofftechnik vor dem Durchbruch schien. Doch bis heute hat sie es nicht geschafft. Dass es diesmal anders kommen könnte, liegt an dem Boom billiger Wind- und Solarenergie.

Mit dem massiven Ausbau der regenerativen Energien existieren erstmals auch nennenswerte Kapazitäten, um den Wasserstoff "grün" zu erzeugen. Bisher wird er als Industriegas aus fossilem Erdgas produziert. Dieser "graue" Wasserstoff bringt nichts, um in Richtung Klimaschutz umzusteuern. Nur mit grünem Wasserstoff kann auch der Verkehr sauberer werden, wie es sich die EU und andere Staaten auf die Fahnen geschrieben haben.

In Mainz ist zu sehen, wie das geht. In der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt unterhält Deutschlands größter Gasespezialist Linde zusammen mit den örtlichen Stadtwerken einen der größten Elektroly­seure Europas. Der spaltet mit Strom Wasser in seine beiden Elemente und produziert stündlich bis zu 70 Kilogramm Wasserstoff. Hinter dem Gelände drehen sich vier große Windräder. Sie liefern die Energie dazu. Wer an der Shell-Tankstelle in Wiesbaden, nur wenige Kilometer entfernt, Wasserstoff tankt, kann sicher sein, dass der auch grün ist.

Das ist noch ein Einzelfall. "Bislang sind Speichertechnologien wie Wasserstoff mit erheblichen Abgaben und Entgelten belastet", erklärt Sybille Riepe, Pressesprecherin von H2 Mobility, der Wasserstoff-Betreibergesellschaft des Tankstellennetzes in Deutschland, hinter dem die Unternehmen Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und Total stehen. Das macht die Wasserstoffproduktion unwirtschaftlich. Deshalb biete H2 Mobility grünen Wasserstoff nur an einigen ­wenigen Standorten an. Statt­dessen kommt Abfallwasserstoff aus der Industrie zum Einsatz.

Eine potenziell interessante Quelle für die Produktion von grünem Wasserstoff ist regenerativer Überschussstrom. Das ist Energie, die beispielsweise Windparks in Norddeutschland nicht ver­kaufen können, weil es dafür, wenn der Wind weht, keine Nachfrage gibt. 2017 wurden allein in Schleswig-Holstein 3,3 Milliarden Kilowattstunden vernichtet - so viel, wie drei Millionen Deutsche im Jahr verbrauchen. Diese Verschwendung kostete über 500 Millionen Euro. Betreiber von Windkraftanlagen mussten entschädigt werden und Stromnetzbetreiber mussten ihre Windräder an- und abschalten.

Wie es anders gehen könnte, zeigt ein Projekt im Hamburger Hafen. Dort könnte ein altes Kohlekraftwerk zu einem Wasserstoffkraftwerk umgebaut werden, das immer dann produziert, wenn die Windräder ansonsten abgeschaltet würden. Wird Wasserstoff mit Strom produziert, der sonst vernichtet würde, wird er auch wirtschaftlicher, etwa in mit Brennstoffzellen betriebenen Autos. Da er zweimal umgewandelt wird, ist seine Energieeffizienz nämlich noch immer deutlich geringer als die von E-Auto-Batterien, die aufgeladen werden. Doch das grüne Gas hat einen großen Vorteil: Es kann neben dem Verkehr auch in Industrien wie der Stahlbranche fossile Energien ersetzen und zudem ins Erdgasnetz eingespeist und zum Heizen verwendet werden. So nutzt Wasserstoff dem Klimaschutz in vielen Wirtschaftszweigen.

Kleinere Batterien. Ein weiteres Plus ist, dass der Bedarf an Batterien in Wasserstofffahrzeugen gegenüber dem von Elektroautos erheblich kleiner ist. Das ist vor allem für schwere Fahrzeuge wie Busse und Lastwagen interessant. Und für ­Züge: In Deutschland ersetzen seit Kurzem Wasserstoffloks alte, mit Diesel ­befeuerte Triebwagen. Auch für große Schiffe können Brennstoffzellen künftig eine Option werden.

Denn E-Mobilität lohnt sich für Frachter nicht. "Dann müssten wir das komplette Containerschiff voller Batterien packen", sagte der Chef der größten deutschen Reederei ­Hapag Lloyd, Rolf Habben Jansen, in einem Interview mit €uro am Sonntag. Aus Wasserstoff lassen sich außerdem in Kombination mit Kohlendioxid synthe­tische Kraftstoffe gewinnen, wie Kerosin für den Flugverkehr. Audi arbeitet am Standort eines Schweizer Wasserkraftwerks daran, aus den Stoffen grünen Diesel zu gewinnen.

Während Deutschland und Europa erst noch dabei sind, die Weichen für Wasserstoff zu stellen, prescht Japan vor. Premier Shinzo Abe und die heimische Automobilindustrie wollen die Olympischen Spiele 2020 nutzen, um den Aufbruch in das Wasserstoffzeitalter zu ­demonstrieren. 200 000 Brennstoff­zel­lenautos bis 2025, eine knappe Million bis 2030, dazu ein dichtes Tankstellen­netz: Das rohstoffarme Land will dem neuen Energieträger mit aller Macht ­zum Durchbruch verhelfen.

Eine jüngst zum G20-Gipfel in Japan erschienene Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) stützt das Engagement. Wasserstoff mache es möglich, ­"eine saubere, sichere und wettbewerbs­fähige Energieversorgung der Zukunft aufzubauen", so der Chef der Energieagentur der Wirtschaftsgemeinschaft OECD, Fatih Birol. Noch nie habe es weltweit so viele Wasserstoffprojekte gegeben. Wenn Wirtschaft und Politik so weitermachten, werde sich die Technologie diesmal durchsetzen.

€uro-Empfehlungen


Air-Liquide-Aktie
Die Franzosen zählen zu den größten Herstellern von Industriegasen weltweit. Im Wachstumsmarkt Gesundheit (Sauerstoff und Beatmung) sind sie in Europa die Nummer 1. In der grünen Wasserstoffproduk­tion zählt die Firma in Europa ebenfalls zu den ­Anführern. Sie produziert in Deutschland und Dänemark, dem Land mit dem dichtesten Wasserstofftankstellennetz Europas. Air Liquide gibt in der EU zudem grüne Wasserstoffzertifikate aus.

Attraktiv für Investoren ist auch die Beteiligung von Hydrogenics, das Brennstoffzellen für Wasserstoffzüge liefert, die der Bahnkonzern Alstom in Deutschland auf die Schiene bringt. Das kann für zusätzliche Gewinne sorgen. Positiv ist auch das Geschäft mit verflüssigtem Erdgas (LNG), das vor dem Hintergrund wachsender Klimaschutzanstrengungen im Verkehr weltweit wächst. Im Vergleich zum Wettbewerber ­Linde ist die Aktie günstig bewertet.

Ballard-Aktie
Seitdem der chinesische Automobilzulieferer Weichai im vergangenen Jahr beim Brennstoffzellenhersteller Ballard Power einge­stiegen ist, geht es bei den Kanadiern wieder bergauf. China ist einer der größten potenziellen Zukunftsmärkte und will den Wasserstoffsektor insbesondere für Nutzfahrzeuge stärken. Daneben hat Ballard zahlreiche Abschlüsse etwa für Wasserstoffbusse in Nordeuropa und dem Vereinigten Königreich sowie für Lkw in Kanada vermeldet.

Mit ABB entwickelt die in Vancouver ansässige Firma Brennstoffzellen-Schubschiffe zum Einsatz auf der Rhone. Zudem setzt Ballard Wasserstofflogistik für bessere Luft in den Häfen Hobro und Valencia sein. Zwar schreibt das Unternehmen wie die meisten Wettbewerber noch rote Zahlen, doch insbesondere China könnte sich für Ballard als nachhaltiger Gewinnbringer he­­rausstellen, wenn auch frühestens ab 2020.

Nel Asa-Aktie
Das norwegische Unternehmen Nel entwickelt Elektrolyseure zur Wasserstoffproduktion und komplette Tankstellen. So profitiert die Firma vom Wasserstoffboom weltweit. Attraktive Aufträge gab es zuletzt aus Südkorea für Tankstellen und aus London für Brennstoffzellenbusse. Viel Fantasie bietet auch die Kooperation mit der US-Firma ­Ni­kola, die Wasserstoff-Lkws etablieren will. Die Nor­weger beliefern zudem ein wegweisendes ­Industrieprojekt in Schweden, bei dem ein Konsortium für die Stahlerzeugung statt Kohle Wasserstoff einsetzen will.

Trotz guter Chancen bleiben Risiken. Der Brand an einer Wasserstofftankstelle in Norwegen, wo Nel die Infrastruktur lieferte, schürte nicht nur ­Sicherheitssorgen, sondern setzte dem Aufwärtstrend der Aktien an der Börse im Juni ein Ende. Noch verdient Nel operativ kein Geld, die Verluste stiegen zuletzt wieder an. Ein Engagement bleibt damit spekulativ.