Trotz geopolitischen Risiken und einer unklaren Zinsentwicklung notieren die Märkte wieder aus Rekordhochs. Nach Meinung von HSBC-Aktienstratege Max Kettner macht die Rallye Sinn.
Es ist ein Widerspruch, der viele Anleger verunsichert: Die Weltlage wirkt nach der jüngsten Eskalation im Nahen Osten fragil, die Rezessionsängste schwelen, Zinsfragen bleiben unbeantwortet – und doch notieren die Aktienmärkte seit dieser Woche auch wieder an der Wall Street auf Allzeithochs.
Für Max Kettner, Chefstratege der HSBC, ist das jedoch kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil: „Es ergibt absolut Sinn“, sagt Kettner im Interview mit CNBC – und liefert eine wohltuend rationale Erklärung für den aktuellen Börsenoptimismus.
Die „Wall of Worry“ – ein Klassiker mit Wirkung
Was wir derzeit erleben, sei laut Kettner eine klassische „Wall of Worry“-Phase: Märkte, die sich trotz zahlreicher Belastungsfaktoren wie Inflation, geopolitischer Spannungen oder geldpolitischer Unsicherheit weiter nach oben bewegen. Warum? Weil Anleger beginnen, diese Risiken nicht mehr als Überraschungen, sondern als kalkulierbare Konstanten einzuordnen. Oder wie Kettner es formuliert: „Solange es keine neuen, negativen Schocks gibt, bleibt das Momentum erhalten.“
Ein weiterer Grund für den stabilen Aufwärtstrend: Die wirtschaftlichen Fundamentaldaten sind robuster als viele Headlines vermuten lassen. Der US-Arbeitsmarkt zeigt sich resilient, Unternehmensgewinne überraschen häufig positiv, und viele Tech-Aktien profitieren massiv vom KI-Investmentboom. In Kombination mit einer geldpolitischen Perspektive, die eher auf Zinssenkungen als -erhöhungen hinausläuft, ergibt sich ein klarer Treiber für steigende Kurse.
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Rationaler Optimismus statt blinder Euphorie
Kettner beobachtet zudem eine auffällige Marktpsychologie: Viele institutionelle Investoren seien „unterpositioniert“, also zu vorsichtig investiert. Kommen keine neuen Schocks, erhöht das die Wahrscheinlichkeit für Nachkäufe – was den Markt zusätzlich stützt. Anders gesagt: Wer zu lange am Rand steht, muss irgendwann aufspringen, wenn der Zug fährt – selbst wenn das Umfeld nicht perfekt scheint.
Was auf den ersten Blick wie eine gefährliche Übertreibung wirken mag, ist laut Kettner in Wahrheit ein rationaler Marktmechanismus: Die Angst ist längst eingepreist. Solange neue Schocks ausbleiben und die Konjunktur nicht kippt, ist der Weg zu weiteren Kursgewinnen frei – vor allem im Technologiesektor. Die aktuelle Stärke der Börsen ist damit kein Zeichen von Naivität, sondern Ausdruck einer disziplinierten Risikoabwägung. Für Anleger bedeutet das: Nicht von Schlagzeilen verrückt machen lassen, sondern auf die Kräfte vertrauen, die die Märkte aktuell tragen.