Fundamental könnte es schlechter aussehen. Unsere deutsche Industrie ist mit Steherqualitäten ausgestattet. Das bestätigte zuletzt auch der ifo Index, der so wenig lügt wie die "Tränen" in Michael Holms Nr. 1-Schlager von 1974. Nicht zuletzt sind gute ifo Geschäftserwartungen auch ein guter Nährboden für den deutschen Leitindex DAX.
Aber auch die ausgebrochene Übernahme- und Fusionsphantasie wirkt auf die Aktienmärkte wie das Salz in der Suppe. Diese findet neben der Bau- und Pharmabranche jetzt ebenso - siehe die Übernahmeschlacht um die französische Alstom - in der Elektroindustrie statt. Alles in allem gute Gründe für einen Aktien-Wonnemonat Mai, zumal sich die alte Börsenweisheit "Sell in May and go away" in den letzten Jahren nicht mehr so deutlich gezeigt hatte.
Auf Seite 2: Politische Börse mit Giraffenbeinen?
Politische Börse mit Giraffenbeinen?
Aktien-Wonnemonat Mai? Wäre da nur nicht diese politische Börse. Die bislang ergriffenen diplomatischen Bemühungen erinnern mich mehr an einen heftigen Polterabend. Angst vor Gesichtsverlust, politische Eitelkeiten sind Politikern auf westlicher und russischer Seite zu Eigen: Wer sich diplomatisch zu früh aus seinem Schützengraben bewegt, könnte bei seinem eigenen Publikum ausgepfiffen werden. Es droht monatelanger Stillstand und eine Balkanisierung im Osten der Ukraine wie in der Endphase Jugoslawiens.
Dieser geopolitische Stress könnte natürlich auch über die Stimmungsebene die Weltwirtschaft treffen. Schon jetzt ist ein kritischer Unterton bei den Unternehmensausblicken im Rahmen der Berichtssaison durchaus hin und wieder zu hören. Die Ukraine-Krise hat das Zeug, die weltpolitisch und weltkonjunkturell besonders sensitiven Aktienmärkte Deutschlands zwischenzeitlich immer mal wieder heimzusuchen.
Auf Seite 3: Mario Draghi erteilt die Risiko-Absolution
Mario Draghi erteilt die Risiko-Absolution
Sorgen sind dafür da, dass sie einem abgenommen werden. Dieses Motto verfolgt wohl auch die EZB. Schon ohne Russland-Konflikt hatte ihr Chef Mario Draghi kräftig mit dem Zaunpfahl gewunken und offenherzig unkonventionelle Maßnahmen in Aussicht gestellt.
Dabei geht es ihm wohl weniger um den Aufkauf von Staatspapieren. Denn einerseits ist die Euro-Staatsschuldenkrise angesichts dramatisch gesunkener Renditen zumindest geldtechnisch mausetot. Hier hat Draghis Euro-Rettungsversprechen schon theoretisch Wunder bewirkt, ohne praktisch aufkaufen zu müssen. Nicht umsonst werden auch die schwächsten Euro-Länder wieder vom Kapitalmarkt freiwillig finanziert. Andererseits badet schon heute die Eurozone bis zum Hals in Liquidität, wobei dieses Geld zugegebenermaßen noch nicht die private Wirtschaft in Form von Kreditvergaben erreicht.
Aber an der Ausbeulung genau dieser Konjunkturdelle arbeitet die EZB-Werkstatt schon: Die Geld-Mechaniker wollen den Euro-Geschäftsbanken ihre alten Kredite aus den Bilanzen abkauft, nachdem sie vorher verbrieft wurden. Mit dieser bereits für die US-Konjunktur erfolgreich angewendeten Methode wird das Kreditausfallrisiko der Banken nonchalant auf die Bad Bank EZB verschoben. So wie bei der Altkleiderentsorgung Platz im Kleiderschrank gemacht wird, schafft man in den Bankenbilanzen Raum für neue Unternehmenskredite, die man beizeiten auch wieder los werden kann. Zur Freude der Konjunktur werden Banken geldpolitisch geradezu verführt, ihre üppige Liquidität in neue Kredite an die Privatwirtschaft zu investieren. Klingt doch gut, oder?
Aber waren es nicht ausgerechnet die massenhaften Kreditverbriefungen, die zur Lehman-Pleite 2008 geführt haben? Und wird damit die freie Marktwirtschaft in der Kreditindustrie nicht immer mehr Richtung Staatswirtschaft gebeugt? Entfernen wir uns damit nicht immer mehr vom guten alten Stabilitätskurs einer Deutschen Bundesbank? Dreimal ja! Diese künstliche Konjunkturbefruchtung hat einen sehr bitteren, instabilen Nachgeschmack.
Auf Seite 4: Wenn die EZB ab Mai will…
Wenn die EZB ab Mai will…
Die EZB lässt wohl auch noch die letzten Stabilitätshüllen fallen und steht bald in ihrer nackten Schönheit vor uns. Aber, was hat die EZB für eine Alternative, wenn viele euroländische Wirtschafts- und Finanzpolitiker wahlpopulistisch die Meinung vertreten, dass in der Volkswirtschaft die gebratenen Tauben auch ohne Anstrengung, ohne Wirtschaftsreformen, in den Mund fliegen können. Mit seiner antiautoritären geldpolitischen Erziehung hat Mario Draghi diese Erwartungshaltung sicherlich selbst bislang begünstigt.
Wie auch immer, die EZB hat die Bazooka geladen und könnte nach der Europawahl am 25. Mai - vorher soll kein Stabilitätsanhänger Anreize bekommen, sein Kreuzchen an der vermeintlich falschen Stelle zu machen - den Abzug ziehen. Dann dürfte ohnehin wieder die real existierende Nüchternheit der Euro-Umstände an die Stelle der aktuellen, euro-politischen Gesundbetung treten.
Auf Seite 5: …kommen auch die Aktienmärkte in Frühlingsstimmung!
…kommen auch die Aktienmärkte in Frühlingsstimmung!
Ja, unser Makrokosmos ist instabil geworden. Aber zumindest in unserem Mikrokosmos können wir uns mit geldpolitisch steigenden Aktien trösten. Und mit Blick auf die aktuell robusten Aktienkurse scheint ohnehin schon eine gewisse Vorfreude vorzuherrschen. Vor dem Aktienmarkt ist mir nach wie vor nicht bange.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.