Spätestens seit selbst vermeintlich sichere zehnjährige Bundesanleihen eine negative Verzinsung aufweisen, ist klar, dass die Zeiten endgültig vorbei sind, in denen man ohne Risiko eine akzeptable Rendite für sein Geld bekommt. Gleichzeitig bezeichnen sich die meisten Anleger aber als ausgesprochen risikoavers. Nach mehreren schweren Finanzkrisen - allein seit Beginn dieses Jahrhunderts - sehen sie den Erhalt ihres Vermögens als wichtiges Ziel an. Da stellt sich die Frage, ob es einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt. Sind Investitionen mit einer guten Rendite ohne Risiko überhaupt noch möglich?

Hier muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, wie Risiko überhaupt definiert wird. Manche bezeichnen die Gefahr starker Kursschwankungen (Volatilität) als Risiko. Andere sehen das maximale Verlustpotenzial (Maximum Drawdown) als solches an. Wieder andere nehmen als Gradmesser die Kennzahl für das Risiko, dem das Vermögen ausgesetzt ist (Value at Risk).

Wir sind der Meinung, dass das Risikoempfinden des Anlegers nichts mit dem tatsächlichen Risiko einer Anlage zu tun hat. Zahlreiche Studien bestätigen, dass das Gros der Investoren bei der Vermögensanlage - insbesondere an der Börse - deutlich schlechter abschneidet als der Markt. Ursächlich dafür ist, dass Käufe und Verkäufe zum falschen Zeitpunkt erfolgen, weil die Börsen sehr effizient sind. Es sind nicht nur alle öffentlich zugänglichen Informationen bereits in den Kursen enthalten, sondern auch die Erwartungen der Anleger bezüglich der weiteren Entwicklung. Sind diese Erwartungen positiv, zahlt man eine Stimmungsprämie, kauft also teuer. Ähnliches gilt auch umgekehrt. Entgegen dem gefühlten Risiko ist es weitaus gefährlicher, in einer Börseneuphorie Aktien oder Anleihen zu kaufen als in einer Panik! Wer also mit kühlem Kopf Risiken kalkuliert (oder kalkulieren lässt), ist dem Markt nicht ausgeliefert, sondern lebt in ihm.

Wirtschaftliche Rezessionsphasen eignen sich daher besonders gut für Käufe. Denn wenn die Stimmung schlecht ist, die Unternehmensgewinne zurückgehen und die Wirtschaftsmagazine voll sind mit schlechten Nachrichten, lohnt es dem Pessimismus-Sog zu widerstehen: Dabei passiert es, dass man zu früh mit antizyklischen Käufen beginnt, da oft die wirtschaftliche Situation noch schlimmer wird. Wie zum Beispiel 2008, als die Märkte nach der Lehman-Pleite noch einmal kräftig durchgeschüttelt wurden. Solche Phasen kann man hervorragend für Zukäufe nutzen. Nach der Trendwende ist man dann in der Regel bereits nach wenigen Monaten wieder in der Gewinnzone.

Wir sehen also eine hohe Volatilität nicht als Risiko, sondern als Chance, weil man starke Kursschwankungen gut für antizyklische Engagements nutzen kann. Doch was ist dann das Risiko? Wir definieren es als die Gefahr dauerhafter und substanzieller Vermögensverluste. Dieses Risiko ist bei einer antizyklischen, langfristig ausgerichteten Anlagestrategie gering. Zwar besitzen Aktien auf kurze Sicht mit das größte Verlustpotenzial. Niemand weiß, ob der DAX am Jahresende 20 Prozent höher oder tiefer steht als heute. Langfristig sind sie aber die sicherste und rentabelste Anlage, wie die Entwicklung in den letzten 200 Jahren gezeigt hat. Grund dafür ist die Beteiligung an der Wertschöpfung der Wirtschaft, wie sie so keine andere Vermögensform bietet.

Die Gefahr dauerhafter und substanzieller Vermögensverluste steigt allerdings beträchtlich, wenn man nicht genügend diversifiziert und vielleicht sogar Klumpenrisiken bildet. Anleihen können in einen Totalverlust münden, wenn der Emittent pleitegeht. Dies haben insbesondere die Besitzer von Mittelstandsanleihen in den letzten Jahren schmerzvoll erfahren müssen. Und bei einzelnen Aktien sind substanzielle Vermögensverluste immer möglich. Die Börsenfriedhöfe sind voll mit ehemaligen Wachstumswerten. Risiko ist eben relativ.

Peter E. Huber



Der Antizykliker ist seit 2001 Vorstand und Fondsmanager der Investmentgesellschaft StarCapital. Bevor er 1981 die PEH Wertpapier gründete war er unter anderem Wertpapieranalyst bei SMH in Frankfurt und Chefredakteur beim "Börsen-Journal". Der Diplom-Kaufmann wurde für sein Aktien-, Renten- und Mischfondsmanagement mehrfach ausgezeichnet und blickt auf über 30 Jahre Börsenerfahrung zurück.