Bis Ende 2020 soll die Überprüfung abgeschlossen sein. Von ihrem Vorgänger Mario Draghi setzte sie sich klar ab. "Ich werde meinen eigenen Stil haben." Finanzexperten sollten nicht jedes ihrer Worte überinterpretieren. "Ich bin ich selbst." Die Öffentlichkeit solle nicht versuchen, sie mit Draghi zu vergleichen.
Lagarde stellte in Aussicht, die Schlüsselzinsen würden noch so lange auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben, bis sich die Inflationsaussichten wieder klar dem Ziel von knapp zwei Prozent annäherten. Letztmalig hatte die EZB im Jahr 2011 ihre Zinsen angehoben. Der Schlüsselsatz zur Geldversorgung der Banken liegt mittlerweile seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent, der Einlagensatz liegt sogar momentan bei minus 0,5 Prozent. Auch in der Schweiz ist ein Ende der Ultratiefzinsen nicht in Sicht. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) beließ am Donnerstag ihren Leitzins auf dem Rekordtief von minus 0,75 Prozent.
Lagarde hatte im November den Italiener Draghi an der EZB-Spitze abgelöst. Sie stellte schon kurz nach Amtsantritt in Aussicht, die geldpolitische Strategie in naher Zukunft unter die Lupe zu nehmen. Dabei wird Lagarde zufolge das Inflationsziel im Zentrum stehen, das die Euro-Wächter schon seit längerer Zeit verfehlen. Im November lag die Teuerung bei 1,0 Prozent. Die EZB hatte ihre geldpolitische Strategie letztmalig vor 16 Jahren überarbeitet. Aber auch die Themen Klimawandel, die technologischen Veränderungen und Aspekte der steigenden Ungleichheit in den Volkswirtschaften seien Teil der Überprüfung, sagte die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF).
EXPERTE - EZB NACH STRATEGIEDEBATTE NICHT MEHR DIESELBE
"Neu ist die Art, wie Lagarde die Initiative an sich gerissen hat", sagte LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert. Es werde 2020 eine umfassende Strategiediskussion geben. "Die EZB wird danach nicht mehr dieselbe sein wie zuvor, wenn man sich den Zielkatalog und den Kreis der Beteiligten anschaut." Nach Einschätzung von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, hat sich die Französin in ihrer neuen Rolle souverän geschlagen. "Wüsste man es nicht, wäre es einem nicht aufgefallen, dass es ihre erste Pressekonferenz zu einem EZB-Entscheid war." Aus Sicht des Ökonomen Friedrich Heinemann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ist es nachvollziehbar, dass Lagarde jetzt erst einmal Reflexionen will und keine schnellen Korrekturen. "Dennoch wird sie in den kommenden Monaten zu Entscheidungen gezwungen werden."
Im Kampf gegen die Konjunkturschwäche im Euro-Raum hatte die Notenbank im November ihre vor allen in Deutschland umstrittenen Anleihenkäufe wieder aufgenommen. Auf ein Enddatum für die Käufe legte sich die EZB erneut nicht fest. Die Transaktionen sollen erst dann beendet werden, wenn die EZB kurz davor stehe, die Zinsen zu erhöhen. Die EZB und die nationalen Euro-Notenbanken hatten bis Ende 2018 bereits Staatsanleihen und andere Papiere im Volumen von rund 2,6 Billionen Euro erworben. Die Einnahmen aus fällig werdenden Titeln sollen auch nach einer Erhöhung der Zinsen noch für längere Zeit in Anleihen reinvestiert werden, bekräftigte die Notenbank.
LAGARDE SIEHT BEI WACHSTUM ANZEICHEN FÜR STABILISIERUNG
Die EZB rechnet nun für 2020 mit etwas weniger Wachstum in der Währungsunion als im zu Ende gehenden Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte dann mit 1,1 Prozent langsamer zulegen als im September mit 1,2 Prozent prognostiziert. Für 2019 wurde die Prognose dagegen von 1,1 auf 1,2 Prozent angehoben. "Es gibt erste Anzeichen für eine Stabilisierung", sagte Lagarde. "Die anhaltende Schwäche des internationalen Handels in einem Umfeld anhaltender globaler Unsicherheiten belastet die europäische Industrie aber weiter." Zudem sei der Inflationsdruck weiterhin verhalten.
Die letzten Wochen der Amtszeit von Lagardes Vorgänger Draghi waren vom internen Streit über das große Maßnahmenpaket vom September überschattet worden. Zu den Beschlüssen gehörte eine erneute Verschärfung der Strafzinsen, kombiniert mit Erleichterungen für Banken sowie der Neustart der billionenschweren Anleihenkäufe. Vor allem die Wiederauflage der Wertpapierkäufe war umsritten - rund ein Drittel der Währungshüter war dagegen. Um die Wogen im EZB-Rat zu glätten, hatte Lagarde im November zu einem informellen Treffen außerhalb der EZB eingeladen. Sie will eigenen Worten zufolge in ihrer Zeit an der Spitze der Notenbank dafür sorgen, dass künftig wieder stärker eine gemeinsame Linie gefunden werden kann. Sie werde alles daran setzen, dass die Entscheidungen im EZB-Rat künftig so "einvernehmlich wie möglich" fielen.
rtr