Die Aktie war am vergangenen Freitag erstmals in ihrer Geschichte über 100 Euro wert. Da kann es kaum verwundern, dass sich der Vorstandsvorsitzende Thomas Olemotz auch für den weiteren Jahresverlauf ehrgeizige Ziele gesetzt hat. Er will Umsatz und Ergebnis zweistellig steigern. Was bei Bechtle los ist, was die Aktie macht und wie Analysten das Unternehmen einschätzen:
LAGE DES UNTERNEHMENS:
Während die sich eintrübende Konjunktur und wachsende Sorgen um die Weltwirtschaft so manchem IT-Unternehmen Sorgenfalten auf die Stirn treiben, scheint Bechtle sich davon komplett freimachen zu können. Das IT-Systemhaus aus Baden-Württemberg wächst konsequent. Erstmals wurde im ersten Quartal die Umsatzmilliarde geknackt. Gerade das Segment E-Commerce ist ein wichtiger Treiber, das über 10 000 Mitarbeiter beschäftigt und an der Börse mehr als vier Milliarden Euro wert ist.
2018 gelang dem Konzern mit dem Zukauf der französischen Inmac WStore - die zum Bereich E-Commerce gehört - eine bedeutende Akquisition. Inmac Wstore erzielte 2017 einen Umsatz von rund 420 Millionen Euro. Auch in der Vergangenheit war das Unternehmen fleißig auf Einkaufstour und hat alleine 2018 sechs Unternehmen integriert. Um das Ziel von Erlösen in Höhe von zehn Milliarden Euro im Jahr 2030 zu erreichen, plant Konzernchef Olemotz weitere Übernahmen.
Wie deutlich die Effekte großer Zukäufe für Bechtle sind, zeigt sich anhand der Zahlen des ersten Quartals: Der mit eingerechnete Umsatzanteil von Inmac WStore sorgte im Segment E-Commerce für ein Wachstum von 54 Prozent auf 458 Millionen Euro. Konzernweit kletterte der Umsatz um rund 30 Prozent auf 1,24 Milliarden Euro.
Das Umsatz- und Ergebniswachstum geht bei Bechtle mit dem Personalwachstum einher: Im Vergleich zum Quartal des Vorjahres ist die Mitarbeiterzahl um knapp 20 Prozent gestiegen. Rund 1700 Menschen sind seitdem neu hinzugekommen. Nicht ganz ohne Wirbel verlief jedoch der Wechsel von gut 350 bisher bei IBM beschäftigten Mitarbeitern, die seit Anfang April für Bechtle tätig sind. Die Gewerkschaft Verdi hatte deutliche Kritik daran geübt, dass rund 50 Beschäftigte von IBM eine betriebsbedingte Kündigung per Post erhalten haben sollen, nachdem sie ihrem Betriebsübergang zu Bechtle widersprochen hatten. Verdi kritisierte zudem, dass es bei Bechtle nach wie vor keine Tarifverträge gibt - was das Unternehmen auf Nachfrage bestätigte.
Geht es nach Unternehmenschef Olemotz, soll unter tatkräftiger Mithilfe des Personals auch der weitere Verlauf des Geschäftsjahrs 2019 positiv verlaufen - und das Wachstum sich fortsetzen. Ärger mit den Mitarbeitern kann er dabei wohl nicht gebrauchen.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Bechtle-Papiere haben in den vergangenen zehn Jahren einen beeindruckenden Lauf hinter sich. Abgesehen von einer größeren Delle Ende 2018 kannten sie über Jahre hinweg eigentlich nur eine Richtung: Ende 2009 war sie noch unter 10 Euro zu haben, im Oktober 2013 gewann die Rally mit dem Sprung über die 20-Euro-Marke so richtig an Fahrt.
Im September 2018 war dann bei 90 Euro, also dem Neunfachen von 2009, vorübergehend die Luft knapp geworden. Ein Rücksetzer bis auf 62 Euro wurde dann zum Jahreswechsel aber wieder zur Kaufgelegenheit, 2019 gehören sie nun im MDAX mit einem Anstieg um mehr als 40 Prozent zu den Favoriten. Die Rally mündete am vergangenen Freitag in dem erstmaligen Sprung über die 100-Euro-Marke. In der Spitze kostete die Aktie da 100,60 Euro.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Nachdem sich in der Vorwoche mit Henrik Paganetty von der britischen Großbank HSBC noch ein Analyst unter die Optimisten mischte, zieht nun ein Kollege die Reißleine. Holger Schmidt vom Bankhaus Metzler gab am Montag seinen bisherigen Optimismus auf, indem er die Aktien wegen einer ambitionierten Bewertung von "Buy" auf "Hold" abstufte. Sorgen bereite ihm dabei eine sinkende Profitabilität bei IT-Komplettlösungen wegen des Preisumfelds oder der erreichbaren Effizienz.
Die Reihe der positiv gestimmten Analysten wird damit zunehmend kleiner. Wie ein Vergleich der neun im dpa-AFX-Analyser ausgewerteten Analysten zeigt, raten bis dato nur drei noch zum Kauf der Aktie. Neben HSBC zählen dazu auch die Experten der Baader Bank und von Warburg Research, die mit ihren Kurszielen von maximal 100 Euro aber auf dem aktuellen Kursniveau auch nicht mehr wirklich Kurspotenzial sehen.
Als die Aktie zuletzt erstmals die 100 Euro passierte, sah nur noch HSBC-Experte Paganetty mit einem Kursziel von 106 Euro noch etwas Luft nach oben. Er traut Bechtle wie auch anderen Dienstleistern zu, im wachsenden aber stark fragmentierten IT-Markt dynamisch zu wachsen - und hält eine aktive Rolle in der Konsolidierung der Branche für möglich.
Mit Alina Köhler von der Privatbank Hauck & Aufhäuser ist eine Expertin schon seit Anfang März die negative Vorreiterin. Sie glaubt, das starke Wachstum von Bechtle gebe es längst nicht mehr zu einem günstigen Kurs. Ähnlich wie nun auch ihr Metzler-Kollege Schmidt fürchtet sie ein nur noch begrenztes Potenzial bei der Profitabilität, weil die profitablen Systemhaus-Angebote nicht mehr der Treiber seien.
dpa-AFX/tih/ari/elm/jha/