Herr Landers, der Real fiel Anfang dieser Woche auf ein Neunjahrestief gegenüber dem Dollar, der Bovespa verlor vier Prozent. Warum fällt die Reaktion der Anleger auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Sonntag so negativ aus?
Da gibt es viele Gründe, ich will nur ein paar aufzählen. Investoren sind vor allem unzufrieden mit der wirtschaftlichen Bilanz der ersten vier Jahre von Staatspräsidentin Dilma Rousseff. Die Wachstumsraten sind ihrer Amtszeit deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2010 legte das Bruttoinlandsprodukt noch um rund sieben Prozent zu, in diesem Jahr droht Lateinamerikas größter Volkswirtschaft eine Rezession. Für das kommende Jahr wird ein Plus von gerade mal einem Prozent erwartet. Doch damit bleibt das Land deutlich unter seinen Möglichkeiten. Brasilien ist reich an Bodenschätzen, der Staat verfügt über Devisenreserven in Höhe von rund 380 Milliarden Dollar, die Staatsschulden sind mit rund 60 Prozent des BIP im Vergleich zu vielen Industrieländern überschaubar. Zudem gibt es zahlreiche gut gemanagte Unternehmen und eine junge Bevölkerung.
Um sich gegen den Abschwung zu stemmen, hat Rousseff die Staatsausgaben erhöht. Unter anderem legte die Regierung Programme zu Modernisierung der Infrastruktur auf. Haben die Maßnahmen ihre beabsichtigte Wirkung verfehlt?
Ja, die Ergebnisse liegen meist hinter den Erwartungen zurück. Der Flughafen von São Paulo ist da eine Ausnahme, die Modernisierung wurde aber auch von privaten Unternehmen übernommen. Dagegen ist die Inflation auf fast sieben Prozent gestiegen. Eine so hohe Preissteigerungsrate frisst jeglichen Einkommenszuwachs auf. War die 7:1 Niederlage gegen Deutschland im Weltmeisterschaftsspiel schon eine herbe Enttäuschung - ich habe das Spiel im Stadion erlebt - ernüchtern sieben Prozent Inflation und nur ein Prozent Wachstum noch mehr.
Die Regierung sieht die wesentliche Ursache für die Schwäche insbesondere in der nachlassenden Nachfrage nach Brasiliens Rohstoffen und einer sich nur verhalten entwickelnden Wirtschaft in den Abnehmerländern. Stimmt das?
Nein. In Lateinamerika exportiert nur Argentinien weniger als Brasilien. Der Anteil der Binnennachfrage am Bruttoinlandsprodukt beträgt dagegen 80 Prozent. Die Probleme sind also hausgemacht. Strukturelle Reformen sind notwendig, um sie zu lösen. Die Forderungen der Wirtschaft diese anzupacken, werden zwar lauter. Doch die Anleger zweifeln, ob Rousseff und die Arbeiterpartei diese auch tatsächlich in Angriff nehmen werden. Auch ich bin skeptisch. Dem Wahlverlierer Aécio Neves hätte ich es dagegen zugetraut, innerhalb eines Jahres die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, den Staat zu verschlanken und Korruption abzubauen. Sein Sieg hätte an der Börse in Brasilien wahrscheinlich eine starke Rally ausgelöst. Nun bleibt zu hoffen, dass die kommenden vier Jahre nicht so negativ werden, wie Investoren befürchten.
Fällt die bisherige Bilanz Rousseffs wirklich so schlecht aus? Immerhin wurden 40 Millionen Menschen aus der Armut geführt.
Rousseff hat sicherlich ihre Verdienste. Doch mittlerweile stagniert der Armutsabbau, es entstehen weniger neue Jobs. Und für die Mittelschicht fallen die Perspektiven längst nicht mehr so hell wie noch vor ein paar Jahren aus.
Was sollte Rousseff Ihrer Meinung nach in ihrer zweiten Amtsperiode machen?
Sie müsste die Standortbedingungen in Brasilien verbessern, um so die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu verbessern und zu mehr Investitionen motivieren. Doch bislang hält sie unter anderem an staatlichen Preiskontrollen für Energie und Kraftstoffen fest. Auch müssen die Staatsausgaben zurückgefahren werden, ansonsten dürfte das Haushaltsdefizit weiter ansteigen. Einsparmöglichkeiten gäbe es genug. Brasilien leistet sich unter anderem den Luxus von 36 Ministerien. Weltweit ist das ein Rekord. Auch erscheint eine Reduzierung der Sozialtransfers notwendig. Doch davon wären in erster Linie die Wähler Rousseffs betroffen.
Der Einfluss des Staats auf die Unternehmen zeigt sich insbesondere bei Petrobras. Die Regierung verbot dem Konzern, die Preise zu erhöhen, um die Inflation niedrig zu halten. Der Ölriese kann so aber keine Gewinne erzielen, die Mittel für Investitionen fehlen. Wird sich das jetzt ändern?
Das denken wir nicht. Die Regierung, der Staat ist von Petrobras zu sehr abhängig. Die Aktie von Petrobras verlor allein am Montag dieser Woche daher auch zweistellig. Zum starken Rückgang trugen auch pessimistische Prognosen von Goldman Sachs zur Entwicklung des Ölpreises bei.
Standard and Poor’s will Brasilien herabstufen, wenn die Wirtschaft weiterhin nicht wächst. Erhöht das auch den Druck, eine marktfreundlichere Politik einzuleiten?
Eigentlich schon. Die Refinanzierungskosten würden durch eine Herabstufung in den Noninvestment-Grade-Bereich steigen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Drohung ausreicht, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten.
Wie investieren Sie angesichts der ungünstigen Rahmenbedingungen, aber günstiger Bewertungen?
Mir gefallen private Banken wie Itaú und Banco Bradesco. Gute Chancen sehe ich auch beim Bildungsunternehmen Kroton Educacional. Die Aktie hat auf den Wahlausgang nicht negativ reagiert. Bei Petrobras sind wir allerdings im Vergleich zur Benchmark untergewichtet. Der Gesamtmarkt dürfte daher aber weiter unter Druck bleiben, das niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnis von neun könnte sich daher als Value-Falle erweisen. Eine gute Kursunterstützung wäre es, wenn Rousseff einen marktfreundlichen Politiker zum neuen Finanzminister ernennen würde.
Der mexikanische Aktienmarkt ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 18 dagegen schon zu teuer?
Ja, aber die Börse und das Land dürften nicht zuletzt von der Energiereform profitieren. Zudem finde ich auch in Peru und Kolumbien interessante Unternehmen. Die Schwäche Brasiliens lässt sich so zumindest zu einem gewissen Teil kompensieren.
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Im Profil
Will Landers managt den BGF Latin American Fund von BlackRock. Seine Karriere startete er bei der Investmentgesellschaft Bear Stearns als Analyst für lateinamerikanische Aktien. Danach wechselte er zu Lehman Brothers und Credit Suisse. Bei Merrill Lynch war Landers für den Lateinamerikafonds verantwortlich. Landers studierte an der Georgetown Universität in Washington Finanzwissenschaften, internationales Management und Theologie.