Im Vergleich zum Platzen der chinesischen Aktienblase wäre das Bersten der Immobilienblase 2008 wie wenn in China ein Sack Reis umfällt



Die erdrückende mediale Dominanz der griechischen Schuldenkrise verdeckt ein viel größeres Risiko für die globale Wirtschaft und die Finanzwelt. Es geht um die chinesischen Anlageblasen, konkret um die Gefahr ihres Platzens.

Mittlerweile hat der chinesische Immobilienboom seinen Zenit längst überschritten. Im Trend fällt das chinesische Geschäftsklima im Immobiliensektor seit 2010, obwohl Chinas Leitzins bereits viermal binnen Jahresfrist gesenkt wurde. Für die sehr Altersvorsorge orientierten Chinesen ist damit ein Vermögensverlust entstanden, der erschwerend auch noch auf eine anhaltend hohe Hypothekenverschuldung trifft.

Börsenprospekte statt Mao-Bibeln



Diesen negativen Vermögenseffekt nahm die chinesische Regierung sehr ernst. Als alternativer Quell der vermögensbildenden Erquickung wurde die Aktie entdeckt. Mit quasi-kommunistisch geprägter Propaganda wurde der Aktienbesitz geradezu als patriotische Pflicht eines jeden Chinesen deklariert. Diese staatliche Aktienpropaganda wurde durch wertpapiertechnische Deregulierungen und Krediterleichterungen noch weiter unterstützt. Dass es Peking aber auch darum ging, die dramatische Verschuldung der chinesischen Unternehmen in Höhe von weltrekordverdächtigen 170 Prozent der Wirtschaftsleistungen in den Griff zu bekommen, verschweigen die volksrepublikanischen Aktienparolen leider. Denn immerhin lassen sich bei steigenden Aktienkursen über Börsengänge bzw. Kapitalerhöhungen Überschuldungen smart und günstig abbauen. Nicht mehr die sich im Kreditvergaberausch befindlichen chinesischen (Schatten-)Banken, sondern die in Aktien verliebten Kleinanleger sollten die Firmen - ähnlich wie damals in Japan - finanzieren. Damit wurde das Kreditproblem aber weiter potenziert: Jetzt bauten auch noch die Privaten Wertpapierkredite bis Oberkante Unterlippe auf.

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Ähnlichkeiten mit dem Neuen Markt sind nicht rein zufällig



Und so nahm das chinesische Aktien-Schicksal seinen Lauf. Die Aktienhausse eines Neuen Markts oder die Happy Hour japanischer Aktien in den 80er-Jahren feierte auch in China große Erfolge. Welcher Kleinanleger dachte mit Blick auf die überdurchschnittlich hohen chinesischen Wachstumsraten schon daran, dass Aktienkurse keine Einbahnstraßen nach oben sind? Fundamental lief doch alles gut. Und wenn schon der unbeliebte Nachbar oder die knubbelige Verwandtschaft von Kursverdopplern sprachen, dann wollte man selbst auch dabei sein: Was die können, kann ich schon lange, oder? Auch aufgrund einer Vervierfachung der chinesischen Wertpapierkreditblase - dagegen sind selbst kreditverliebte amerikanische Anleger Waisenkinder - hatte der "rotchinesische" Shanghai Shenzhen CSI 300 Aktienindex von März 2014 bis Juni 2015 um fast 160 Prozent zugelegt. In der Spitze waren diese Aktien mehr als dreimal so hoch bewertet wie irgendeiner der zehn wichtigsten Aktienmärkte der Welt. Chinas Marktkapitalisierung entsprach im Juni 2015 rund 40 Prozent des US-Aktienmarkts. Vor einem Jahr waren es lediglich 14 Prozent.

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Historisch betrachtet folgte auf Gier immer Panik



Unter normalen Bedingungen neigen Anlageblasen, die fundamental über zu wenig Substanz verfügen, dazu, zu platzen. Die Finanzgeschichte ist voll mit Beispielen: Z.B. Dotcom-Blase, Nippons Aktienblase, Immobilienblase. Und tatsächlich, eine für chinesische Verhältnisse schwächelnde Konjunktur, kaum mehr steigende Unternehmensgewinne und finanzatmosphärische Störungen in Griechenland haben seit dem chinesischen Aktienhöchststand einen markanten Kursverlust von knapp 30 Prozent ausgelöst. Der Turmbau zu Babel wurde also auch in China nicht fertiggestellt.

Nicht wenige Marktteilnehmer sehen diesen Kurseinbruch als Anfang vom Ende der chinesischen Aktienhausse. Ich will mir gar nicht erst vorstellen, welche Folgen dies hätte. Im Extremfall wären die Konsequenzen der Insolvenz von Lehman Brothers 2008 ähnlich unbedeutend wie ein Kindergeburtstag. In China käme es zu einem finanziellen Teufelskreis: Die Aktienschwäche führte zu einem Bersten der Wertpapierkreditblase und eine umfängliche Liquiditätspräferenz nährte die Aktienbaisse immer weiter. Mit einem Aktiencrash würde auch der kreditfinanzierte Immobiliensektor in die ewigen Finanz-Jagdgründe geschickt.

In der Realwirtschaft käme es zu einem binnenwirtschaftlich schädlichen Angstsparen. Gemeinsam mit einer einbrechenden Investitionsbereitschaft der Unternehmen stellten sich rezessive Tendenzen ein, die schließlich auch soziale und politische Krisen nach sich zögen. Der Vertrauensverlust in die Lösungsfähigkeit des allmächtigen Zentralkomitees wäre gewaltig.

Überhaupt, als zweitgrößte Volkswirtschaft ist China "systemrelevant" für die Weltkonjunktur. Bekommt China einen wirtschaftlichen Schnupfen, bekommen Exportnationen wie Deutschland oder Japan zwar keine Grippe, aber mindestens eine ordentliche Lungenentzündung. Bei einem chinesischen Wirtschaftscrash sorgten Deflationsgefahren - auch über die Rohstoffseite - für einen Virenbefall der ohnehin nicht wirklich rund laufenden Weltkonjunktur.

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China will mit Planwirtschaft die Marktwirtschaft retten



Zur Stützung des chinesischen Aktienmarkts öffnet die Regierung den bislang rein national geprägten Aktienmarkt - außerhalb von Hong Kong - zunehmend für ausländische Investoren. Die Türöffnung für ihre Mittelzuflüsse soll die Aktienstimmung Chinas nachhaltig stabilisieren. Zudem will Peking unbedingt, dass auch "Rotchinas" Aktien in internationalen Indizes, z.B. MSCI, Aufnahme finden. Global anlegende Investoren kämen dann an chinesischen Aktien so wenig vorbei wie Schnäppchenjäger am Sommerschlussverkauf. Diese eher langfristige Vision ist jedoch kurzfristig nicht geeignet, Ungemach vom chinesischen Aktienmarkt abzuhalten.

Vor diesem Hintergrund ist es jedoch kontraproduktiv, wenn zur planwirtschaftlichen Marktstützung ca. die Hälfte aller im Shanghai Shenzhen CSI 300 Aktienindex vertretenen Aktien zuletzt vom Handel ausgesetzt wurden. Dass Großaktionäre im Laufe der nächsten sechs Monate keine Aktien verkaufen können, hat mit Marktwirtschaft auch so wenig zu tun wie die aktuelle griechische Wirtschafts- und Finanzpolitik. Grundsätzlich ist das Risiko groß, dass es bei Verbotsaufhebung zu einem massiven Verkaufsdruck kommt, der ein erneutes Verkaufsverbot nötig macht. Genau das haben wir in Deutschland bei Wiederöffnung von so manchen Immobilien-Publikumsfonds gesehen.

Weder marktwirtschaftlich noch längerfristig erfolgversprechend ist ebenso Pekings Versuch, mit Käufen staatlicher Finanzfirmen den Aktienausverkauf einzuschränken. 21 Brokerhäuser haben umgerechnet knapp 20 Mrd. Euro in Aktien investiert. Auch 25 Investmentfonds sagten zu, Aktien zu kaufen und mindestens ein Jahr zu halten. Dies erinnert an die gescheiterte Aktion von fünf großen Wall Street-Banken im Oktober 1929, den Aktiencrash aufzuhalten. Es ist schwer, einer Marktstimmung im Panikmodus entgegenzuwirken. Umso mehr, wenn internationale Investoren das Setzen auf weiter fallende Aktienkurse in China bereits als nächste große Finanzmarktwette bezeichnen. Gegen einen Orkan kann man nur schwerlich anpusten.

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Wenn es sein muss, wird Chinas Notenbank Fed und EZB noch überholen



Oder etwa doch? Zur konsequenten Abhilfe muss man einfach das ganz große Gebläse aus dem geldpolitischen Werkzeugkasten holen. Ist nicht ohnehin jedes Mittel probat, ein Platzen der chinesischen Aktienblase und die hiermit verbundenen Kollateralschäden zu verhindern? Immerhin - so könnte die chinesische Regierung argumentieren - geht es ja nicht nur um das Wohl von urbi (China), sondern auch von orbi (Weltwirtschaft). Hat also die Notenbank in China nicht die heilige weltwirtschaftliche Pflicht, im Falle eines Falles indirekt über die Geschäftsbanken Aktien aufzukaufen? Eine rhetorische Frage, oder?

In punkto Geldpolitik wäre China damit kein Schwellenland mehr. Im Gegenteil, das Land würde nicht nur die westliche und japanische Notenbankpolitik adaptieren, sondern deren Unkonventionalität über Aktienkäufe sogar weit in den Schatten stellen.

Das mag uns stabilitätspolitisch süß-sauer aufstoßen. Aber wie auch immer, China wird mit dem gleichen Ehrgeiz an der Bewahrung seines Finanzsystems arbeiten wie früher am Bau der Chinesischen Mauer. Dem Schicksal einer jahrzehntelang deflationären Rezession wie im Nachbarland Japan will man definitiv entgehen.

Oder wie sagte einst Konfuzius: "Wer nicht an die Zukunft denkt, wird bald Sorgen haben."

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.