Anleger müssen sich in den kommenden Wochen auf eine Fortsetzung der Seitwärtsbörse einstellen. Dabei werden die Kursrisiken angesichts eines möglichen Austritts Großbritanniens aus der EU und einer allmählichen Lockerung der US-Geldpolitik eher noch zunehmen.

Umfrageergebnisse, die eine Meinungsdrift in Großbritannien zugunsten eines Austritts der Briten (Brexit) signalisierten, hatten den Markt im Wochenverlauf belastet. Der hohe Anteil der Unentschlossenen macht Prognosen derzeit schwierig und erhöht die Nervosität. Die Sitzungen der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der Mitgliedsstaaten der Ölförderorganisation OPEC, die beide am Donnerstag in Wien stattfanden, lieferten dagegen kaum Marktimpulse. Die OPEC-Staaten konnten sich nicht auf eine Produktionsdrosselung einigen.

Der Ausgang des Brexit-Referendums bereitet unterdessen auch der EZB zunehmend Sorgen. Es entwickle sich immer stärker zum Hauptrisiko für die Konjunkturerholung im Euroraum, wie EZB-Präsident Mario Draghi nach der Ratssitzung in Wien sagte. Die Notenbank rechnet außerdem trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs und wieder steigender Ölpreise mit einer anhaltend niedrigen Inflation in der Eurozone. Die Verbraucherpreise dürften demnach 2016 nur um 0,2 Prozent zulegen.

Ihre Konjunkturerwartungen schraubten die EZB-Ökonomen leicht herauf. Sie rechnen für das Bruttoinlandsprodukt 2016 mit einem Anstieg von 1,6 Prozent (bisher 1,4). Die Währungshüter ließen den Leitzins wie erwartet auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent.

Keine Impulse



"Weder EZB noch OPEC liefern mit ihren Beschlüssen oder Nichtbeschlüssen neue Impulse für Aktien", sagt Ralf Zimmermann vom Bankhaus Lampe. "Ohnehin ist unklar, wieso der DAX steigen sollte, wenn sich durch eine Verknappung des Angebots der Ölpreis erhöht und damit Kaufkraft abgeschöpft wird."

Für den Aktienstrategen überwiegen nach dem jüngsten Lauf die Kursrisiken, die möglichen Verluste seien größer als die möglichen Gewinne. "Der Aktienmarkt erwartet beispielsweise keinen Brexit. Sollten daher in den nächsten Tagen die Austrittsanhänger in den Umfragen vorn liegen, könnten einige Anleger unruhig werden und ihre Portfolios absichern." Zudem sei der Markt nach wie vor nicht davon überzeugt, dass die US-Notenbank im Sommer ihren Leitzins erhöhe. "Kommt es dazu, wovon unsere Volkswirte ausgehen, werden die Anleger akribischer als sonst die künftigen Konjunkturdaten nach Schwächesignalen durchsuchen. Das erhöht die Risiken für Aktien."

Kaufsignale im Herbst



Wegen der Unsicherheiten im Vorfeld der Brexit-Abstimmung und der Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed dürfte der DAX in nächster Zeit nicht aus dem Seitwärtstrend nach oben ausbrechen, glaubt auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Aber auch danach werde es mit dem Leitindex zunächst nicht deutlich nach oben gehen. Schließlich seien die Analystenschätzungen für die Gewinne der DAX-Unternehmen zuletzt signifikant nach unten korrigiert worden. Davon seien immerhin 21 der 30 DAX-Werte betroffen. "Erst wenn sich die Unternehmensgewinne von Herbst an stabilisieren, dürften sich die Investoren von der ordentlichen Gewinnrendite des DAX von gut drei Prozent locken lassen und wieder verstärkt kaufen", so Krämer.