BÖRSE ONLINE: Das Coronavirus hat Börsen, Wirtschaft und Gesellschaft durcheinandergewirbelt. Nach dem heftigen Crash im Frühjahr ging es an der Börse wieder steil bergauf. So viele Menschen wie noch nie arbeiteten im Homeoffice. Gesundheitsthemen stehen plötzlich im Mittelpunkt der Berichterstattung. Wie blicken Sie auf das abgelaufene Jahr?
Carsten Klude: Als Vermögensverwalter wird das Jahr 2020 in die Geschichtsbücher eingehen: Eine Rezession und ein Börseneinbruch historischen Ausmaßes auf der einen Seite, eine ebenso schnelle und starke Kurserholung dank einer ultra-expansiven Geld- und Fiskalpolitik auf der anderen Seite. Das Jahr war deshalb für alle nervenaufreibend und arbeitsintensiv. Wir haben unsere Kommunikation in Richtung Kunden stark erhöht und versucht unsere Gedanken zur "richtigen" Anlagestrategie maximal transparent zu machen. Dieser enge Kontakt hat dazu geführt, dass viele Kunden unseren Empfehlungen und unserer Anlagestrategie der ruhigen Hand und ohne panikartige Verkäufe gefolgt sind. Wieder einmal hat sich diese Anlagephilosophie ausgezeichnet und sie gilt für uns auch in der Zukunft. Am Ende bleibt eine der größten Krisen der Menschheitsgeschichte mit dramatischen Kursbewegungen an den Aktienbörsen im Gedächtnis. Allerdings wird es wohl eine Krise sein, in der unsere Kunden kein Geld verloren, sondern sich sogar über einen kleinen Gewinn freuen können. Den Notenbanken und Regierungen sei Dank.
2020 stand das Börsenjahr ganz im Zeichen der Corona-Krise, der US-Wahl, dem Brexit und dem US-Handelsstreit mit China. Welche Unsicherheiten erwarten die Aktienmärkte im neuen Jahr?
Im kommenden Jahr stehen vor allem Unsicherheiten bezüglich der Corona-Impfstoffe im Vordergrund. Hierbei dreht es sich um die Frage, wirken die Impfstoffe, gibt es Rückschläge, Probleme bei der Verteilung oder der Akzeptanz durch die Bevölkerung.
Zudem könnte die Liquiditätsflut aus dem Jahr 2020, der Wirtschaftsaufschwung und damit einhergehend steigende Rohstoffpreise zu einer höheren Inflation als erwartet führen. Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass die expansive Geldpolitik der Notenbanken in Frage gestellt wird.
Welche Themen dürften die Börsen 2021 außerdem beschäftigen?
Wir gehen davon aus, dass es im kommenden Jahr zunächst einen Favoritenwechsel bei den Aktiensektoren geben könnte. Zu Beginn eines Konjunkturaufschwungs rechnen wir mit einer starken Wertentwicklung von konjunktursensitiven Werten, also Branchen wie Chemie, Rohstoffe, Autos oder Industrie.
Technologieaktien sollten sich allerdings auch weiterhin gut entwickeln können, da diese von den Megatrends Digitalisierung und Automatisierung profitieren.
Darüber hinaus sehen wir weiterhin eine gute Wertentwicklung von nachhaltigen Aktien beziehungsweise Themen. Die Regulierung wird auch in 2021 anhalten, zudem verändert sich das Bewusstsein vieler Anleger, so dass hier weiterhin viel Kapital in nachhaltige Anlagen allokiert werden wird.
Mit den aktuellen Rekordständen an den Börsen setzen die Anleger zunehmend auch auf die Zeit nach der Pandemie. In den Fokus rücken die Sektoren, die in den vergangenen acht Monaten stark Federn lassen mussten wie Touristik, Reise, Teile der Industrie (Auto), Flugzeugbau, teilweise auch Banken. Dagegen gelten Corona-Krisengewinner wie Tech-Werte schon jetzt als relativ teuer. Inwieweit erwarten Sie eine solche Sektor-Rotation für 2021 und welche Gewinner und Verlierer wird es geben?
Wir rechnen insgesamt mit einem guten Aktienmarktjahr, in dem die Börsen breit über viele Sektoren hinweg zulegen sollten. Dabei sollten sich konjunktursensitive Branchen zunächst besser entwickeln als zum Beispiel Technologiewerte. Wir halten allerdings die Bewertung von Technologieaktien für noch nicht zu hoch und rechnen auch hier mit weiteren Kurssteigerungen.
Während wir für den Bankensektor weiter vorsichtig sind, da die Unsicherheiten über eine anstehende Insolvenzwelle hoch sind und die Zinskurve flacher als sonst im Konjunkturaufschwung üblich bleibt, könnten andere Sektoren, die von der Krise hart getroffen wurden, im Jahresverlauf 2021 deutlich zulegen. Hierzu zählen der Touristikbereich und Flugzeugbau.
In Deutschland steht im neuen Jahr die Bundestagswahl an. Wie dürfte sich diese auf die Aktienmärkte auswirken?
Wir sehen keine nachhaltigen Auswirkungen für den Aktienmarkt solange die Umfragen auf eine Fortsetzung der Großen Koalition oder einer Regierung aus CDU/CSU und Grünen hindeuten. Eine mögliche Regierung aus SPD/Grünen/Die Linke dürfte dagegen negativ von der Börse aufgenommen werden.
In den USA tritt mit Joe Biden ein neuer Präsident sein Amt an. Welchen Einfluss hat dieser Wechsel auf das anstehende Börsenjahr?
Auch hier halten wir die Impulse für begrenzt. Hintergrund ist die erwartete Mehrheit der Republikaner im Senat.
Bei anderen Themen wie möglichen Steuererhöhungen, Anhebung von Mindestlöhnen oder Investitionen in die grüne Infrastruktur hängt es vom Zeitpunkt ab, wann diese umgesetzt werden.
In den USA und in Großbritannien hat der Impfstoff von Biontech und Pfizer schon eine Notfallzulassung bekommen und in Europa ist die bedingte Marktzulassung geschafft. Auch in Deutschland wurde bereits mit dem Impfen begonnen.
Welche Hoffnungen haben Sie mit dieser Aussicht für das kommende Jahr?
Wir rechnen mit weiteren Zulassungen von Impfstoffen im kommenden Jahr und einer schnellen Verteilung. Damit nimmt die Wahrscheinlichkeit einer deutlichen konjunkturellen Erholung und einer Verbesserung der Unternehmensgewinne zu. Im Jahresverlauf 2021 sollte das Thema Corona damit zumindest am Kapitalmarkt immer weiter in den Hintergrund rücken und das Ende der Pandemie zunehmend eingepreist werden.
Wie lange werden uns die wirtschaftlichen Folgen durch die Corona-Pandemie noch begleiten?
Wir gehen von einem starken Konjunkturaufschwung im kommenden Jahr aus und sehen diese auch über das Jahr 2021 hinweg. In China, den USA und auch in Deutschland wird der wirtschaftliche Schaden, der durch Covid-19 in diesem Jahr angerichtet wurde, schon im Laufe des zweiten Halbjahres 2021 aufgeholt werden. Die Unternehmensgewinne im DAX werden das Vorkrisenniveau ebenfalls im Laufe von 2021 erreichen, 2022 können dann sogar Rekordgewinne erwirtschaftet werden. Die Verteilung der Gewinne wird allerdings nicht so sein wie vor der Krise, da einige Sektoren länger brauchen werden, um ihre alten Gewinnniveaus wieder zu erreichen.
Was erwarten Sie von den Billionen-Konjunkturprogrammen, die in Europa und den USA noch aufgelegt werden sollen?
Im Zusammenspiel mit der sehr expansiven Geldpolitik ist die Fiskalpolitik ein wesentlicher Aspekt, weshalb sich der Börsenaufschwung im Jahr 2021 fortsetzen wird.
Anfang Januar 2021 wird die wegen der Corona-Pandemie auf 16 Prozent gesenkte Mehrwertsteuer wieder auf 19 Prozent angehoben. Was bedeutet das für den Konsum der Deutschen?
Wir erwarten hieraus keine wesentlichen Effekte für das Wirtschaftswachstum. Allerdings wird die Inflationsrate deswegen zu Jahresbeginn etwas ansteigen und wieder ein positives Vorzeichen haben.
Christine Lagarde hat das erste Jahr als Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) hinter sich. Man erhoffte sich unter anderem Unterstützung im EZB-Rat, den Lagardes Vorgänger Mario Draghi mit einigem Gesprächsbedarf zurückgelassen hatte. Konfliktthemen waren unter anderem die erneute Aufnahme des Anleihenkaufprogramms sowie das Verharren des Leitzinses auf dem Rekordtief. Welches Resümee ziehen Sie nach diesem Jahr für die EZB und nach einem Jahr Lagarde?
Aus Sicht des Kapitalmarktes hat Frau Lagarde die Erwartungen nur teilweise erfüllt. Insbesondere die zu Beginn der Corona-Krise getätigten Aussagen, es sei nicht Aufgabe der EZB, die Renditeaufschläge für italienische Anleihen niedrig zu halten, hatte den Markt stark verunsichert. Erst das verbale Nachjustieren anderer EZB-Ratsmitglieder konnte den zwischenzeitlichen Schaden beheben. Ähnlich unglücklich waren ihre Äußerungen zur Aufwertung des Euro, die den Eindruck erweckten, der EZB sei die Wechselkurs-Entwicklung relativ egal. Im Unterschied zur "Draghi-EZB" ist die Notenbank im Umgang mit den Kapitalmärkten also deutlich weniger virtuos. Abgesehen von den kommunikativen Fehlern hat die Geldpolitik jedoch ansonsten ganze Arbeit geleistet, um das Vertrauen der Märkte sowie von Unternehmen und Haushalten zurückzugewinnen.
In den USA werden die finanziellen Geschicke künftig von Janet Yellen als Finanzministerin und Fed-Chef Jerome Powell gelenkt. Was bedeutet das für die US-Wirtschaft?
Janet Yellen steht als Keynesianerin für höhere Staatsausgaben zur Bekämpfung von Krisen. Vor diesem Hintergrund wird mit ihr die Politik der Schuldenaufnahme und Unterstützung der Wirtschaft fortgeführt werden. Sie genießt zudem einen tadellosen Ruf als Wirtschafts- und Finanzexpertin, womit das Ansehen und die Verlässlichkeit der US-amerikanischen Politik steigen sollte.
Der Handelskonflikt zwischen den USA und China wurde unter dem amtierenden US-Präsident Donald Trump bis zuletzt nicht entschärft. Welche Chancen sehen Sie für die künftige Zusammenarbeit im neuen Jahr und unter einem neuen Präsidenten?
An dem Konflikt zwischen den USA und China wird sich zunächst nichts Grundsätzliches ändern. Beide Länder haben den Anspruch, wirtschaftlich, technologisch und militärisch eine Supermacht zu sein. Allerdings könnte das Wording unter dem neuen Präsidenten etwas umgänglicher werden.
Was bedeutet das für deutsche Exportfirmen?
Das Verhältnis zwischen den USA und Europa dürfte sich entspannen. Damit nimmt das Risiko eines Handelskrieges, unter dem beispielsweise deutsche Autobauer leiden könnten, deutlich ab.
2021 wird der DAX von 30 auf 40 Werte ausgeweitet und die Zugangsregeln werden strenger. Welche Chancen und Risiken sehen Sie durch diese Reform?
Wir sehen die Anpassung auf 40 Titel positiv, da die Diversifikation, die Marktkapitalisierung und die sektorale Abdeckung der deutschen Wirtschaft steigen. Zudem wird der deutsche Leitindex aufgewertet, da die Qualitätsanforderungen erhöht werden und der Indexanbieter schneller Veränderungen vornehmen kann. Wir erwarten allerdings keine großen Kursveränderungen aufgrund dieser Anpassungen.
Kritiker befürchten, dass die DAX-Erweiterung zulasten des Nebenwerteindex MDAX geht, der damit von 60 auf 50 Titel verkleinert wird. Damit verliert der Index rund ein Drittel seiner Marktkapitalisierung und auch seine stärksten Werte. Teilen Sie diese Kritik?
Wir teilen diese Kritik, da die Marktkapitalisierung des MDAX deutlich sinkt und damit die Liquidität rückläufig ist. Für größere Investoren wird es schwieriger, in den MDAX zu investieren.
Anfang 2020 ist das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgetreten. Mittlerweile gibt es auch ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU. Welche Gefahr stellt das Thema angesichts der sonstigen Herausforderungen in der Welt noch dar?
Wir halten das Thema Brexit an den Kapitalmärkten für weitestgehend verarbeitet und rechnen im Falle eines harten Brexits mit keinen großen Auswirkungen auf die internationalen Börsen. Allenfalls auf Unternehmensebene könnten noch Herausforderungen bestehen, allerdings war die Vorbereitungszeit aus unserer Sicht lange genug.
2020 war das Interesse an Unternehmen aus der Wasserstoffbranche sehr groß. Woher kommt dieser Trend und setzt er sich 2021 fort?
Aus unserer Sicht ist bei einigen Titeln eine blasenförmige Kursentwicklung zu verzeichnen. Wir halten das Thema aus dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit für spannend, sehen den Trend allerdings eher langfristig und das Potenzial im Moment für weitgehend ausgereizt.
Ihr persönlicher Anlagetipp: Worauf würden Sie 2021 setzen?
Auf die Region Asien inklusive China, da China als Wachstumslokomotive in 2021 das Maß aller Dinge ist. Anrainerstaaten sollten mitgezogen werden. Eine mögliche Entspannung zwischen USA und China sowie das neue Freihandelsabkommen könnten weitere Impulse setzen. Wir empfehlen eine Abdeckung über Fonds, insbesondere ETFs aufgrund einer größtmöglichen Diversifikation. Dabei ist auf Marktbreite zu achten, da viele Fonds von Technologieaktien dominiert werden.