Noch etwas geschwächt kommt Jochen Stanzl zum Interview. Der Trading-Experte hat erst vor Kurzem seine Booster-Impfung bekommen. Nun wendet er sich wieder seinem Lieblingsthema, den Finanzmärkten, zu. Sein Arbeitgeber CMC Markets hat in der Pandemie viele Anleger als Neukunden gewonnen, die 2020 und 2021 begonnen haben, mit Contracts for Difference (CFDs) zu handeln.

Euro am Sonntag: Herr Stanzl, warum haben viele Anleger seit Beginn der Pandemie Konten bei CFD-Brokern eröffnet?

Jochen Stanzl: Im Homeoffice hatten sie mehr Zeit, und sonstige Freizeitaktivitäten waren stark eingeschränkt. Bei einer repräsentativen Umfrage sagten mehr als 40 Prozent der Neukunden, dass sie eine neue Fähigkeit erlernen wollten und verstehen, wie die Märkte funktionieren.

Hat das geklappt?

Nur zum Teil. Viele sind Trends wie Wasserstoff, E-Mobilität oder Kryptowährungen hinterhergelaufen. Immer auf der Suche nach dem nächsten großen Ding. So war etwa die norwegische Wasserstoffaktie Nel Asa im Frühjahr gesuchter als der DAX.

Mit Erfolg?

Oft nicht. Viele haben nur die Chancen gesehen, aber nicht die Risiken. Statt ihr Portfolio sinnvoll zu strukturieren, haben sie Klumpenrisiken aufgebaut wie Wasserstoff und E-Mobilität, zwei Sektoren, die eine hohe Abhängigkeit aufweisen.

Wie können Anleger es besser machen?

Indem Investoren über verschiedene Sektoren streuen, die wenig oder nichts miteinander zu tun haben, zum Beispiel Chemie, Autobauer, Cloud Computing oder Gold. Wenn Cloud fällt, steigt vielleicht Gold. Es ist wie beim Golf: Nicht der nächste Abschlag ist entscheidend, sondern das Handicap am Ende zählt.

War das der einzige Fehler, den Anleger gemacht haben? Reicht das schon, um erfolgreich zu traden?

Nein. Das ist nur ein Baustein. Neue Anleger lassen sich oft leicht von Medien oder Bekannten beeinflussen, statt den eigenen Plan durchzuziehen. Wenn der Nachbar Bitcoins erwirbt, machen sie das auch. Dabei werden sie von der Angst geleitet, etwas zu verpassen. Oft kaufen sie dann zu zu hohen Kursen und machen Verluste. Besser ist es abzuwarten. Es werden sich wieder neue Gelegenheiten eröffnen. Warten und Sitzfleisch sind oft die besseren Strategien.

Aber wie soll jemand wissen, wann ein Kurs zu hoch ist?

Das ist natürlich schwierig. Aber wenn alle über ein Thema sprechen oder es im Fokus der Medien ist, rate ich zur Vorsicht. Die Mehrheit liegt an den Börsen oft falsch. Meistens ist das Thema dann schon durch, und die größten Gewinne wurden bereits gemacht.

Nicht immer. Tesla steigt und steigt. Viele, die nicht eingestiegen sind, weil sie dachten, die Aktie sei schon zu teuer, ärgern sich grün und blau.

Tesla war im Sommer auch fast 40 Prozent vom Hoch gefallen. Ich empfehle in solchen Fällen einem Anleger, dem es zwar in den Fingern juckt zu kaufen, der sich jedoch nicht traut, nur einen Zeh in das heiße Wasser zu halten. Das heißt, wenn er eigentlich für 10.000 Euro kaufen will, soll er nur 1.000 Euro einsetzen. An der folgenden Kursentwicklung sieht er schon einen Teil der Zukunft, fährt aber nicht das ganze Risiko. Wenn es dann gut läuft, kann er weiter langsam aufstocken. Die Schnecke gewinnt im Trading, nicht der Gepard. Wenn es schiefläuft, ist der Verlust nur gering.

Was halten Sie vom Nachkaufen?

Viel, wenn man es richtig macht. Ich empfehle das sogenannte Pyramidisieren. Kauft ein Anleger zum Beispiel eine Aktie zu zehn Euro, und diese klettert auf 13 Euro, kann er auf unserer Plattform einen garantierten Stopp bei 11,50 Euro setzen. Er hat also in jedem Fall einen Gewinn von 1,50 Euro. Von diesen 1,50 Euro investiert er 0,75 Cent, also die Hälfte, zusätzlich in die Aktie und stockt so seine Position auf. Damit erhöht er seine Gewinnchancen und setzt konsequent auf Gewinner.

Was ist mit Nachkaufen, wenn eine Aktie nach dem Erwerb nicht steigt, sondern fällt?

Das nennt man verbilligen. Davon halte ich nichts. Der Investor hat keinen Gewinn, den er reinvestieren kann. Durch die Aufstockung der Position steigt das Risiko, und er muss im schlimmsten Fall hohe Verluste realisieren.

Wie sollen Anleger dann mit Verlusten umgehen?

Sie sollen sich von vorneherein einen Stoppkurs überlegen, um die Verluste zu begrenzen. Viele Anleger haben Schwierigkeiten, sich von Positionen zu trennen, weil sie sich dann einen Fehler eingestehen müssen. Also leugnen sie ihre falsche Entscheidung. Das ist menschlich, führt aber oft dazu, dass sie eine Aktie erst mit hohen Verlusten aus Verzweiflung losschlagen. Man benötigt jedoch viele Gewinntrades, um einen hohen Verlust auszugleichen.

Gefühle sollten also weitgehend ausgeschaltet werden?

Anleger neigen dazu, euphorisch am Hochpunkt zu kaufen und am Tiefpunkt zu verkaufen. Dabei ist oft das Gegenteil das Richtige. Das kann gut an einer Grafik veranschaulicht werden (siehe unten). Diese zeigt die Hochs und Tiefs, die ein Anleger, der sich durch Psychologie leiten lässt, durchläuft. Ein Trading-Plan, Stoppkurse und das strikte Umsetzen der eigenen Regeln helfen, sich vor seinen eigenen Emotionen zu schützen.

Welche Möglichkeiten des Verlustmanagements gibt es noch?

Das A und O sind die Positionsgrößen. Durch ihre Verringerung sollten Investoren versuchen, sich gefühlsmäßig nicht zu sehr an einen Kursverlauf zu binden. Wer überhebelt oder zu große Positionen aufbaut, wird geneigt sein, einen Kurs zu jeder Uhrzeit am Tag überprüfen zu wollen. Wer dagegen ein Portfolio mit vielen Einzelbestandteilen und klar definiertem Risiko zusammenstellt, streut sein Risiko und kann ruhiger schlafen. Er ist also psychologisch weniger gebunden.

Welche Tradingstrategie empfehlen Sie denn: Charttechnik, Fundamentalanalyse oder Sentiment?

Man kann diese mischen, sich aber auch nur auf eine konzentrieren. Das muss jeder individuell für sich herausfinden, was ihm liegt. Mit jeder dieser Strategien können Trader erfolgreich sein. Am Ende sollte es Spaß machen. Wer sich für einen Stil entschieden hat, sollte sich dann aber mit Fachliteratur und Webinaren tief einarbeiten. Das gilt vor allem für unerfahrene CFD-Trader.

Was können sie sonst noch machen?

Fast alle CFD-Broker offerieren Demokonten. Die sind ratsam, da Anleger sich CFDs damit spielerisch nähern können.

Danach können sie loszocken?

Ich wehre mich gegen die Vorstellung, dass CFD-Broker Zockerbuden sind. Sicher hatten wir in den letzten 1,5 Jahren auch einige vor allem junge Neukunden, die schnell reich werden wollten. Von denen sind nicht viele übrig geblieben.

Sie wollen aber doch nicht sagen, dass CFDs etwas für Buy-and-Hold-Investoren sind?

Für Langfristinvestoren sind die Haltekosten sicherlich zu teuer. Aber ein Kernportfolio kann ein Anleger gut mit CFDs auf ETFs zusammenstellen, die bei CMC Markets keine Haltekosten haben. Der Vorteil ist der Komfort, da der Anleger nicht mehrere Konten benötigt, sondern alles auf einer Plattform hat. Außerdem sind Portfolio-Absicherungen, zum Beispiel den S & P 500 oder DAX short zu gehen, machbar. Überdies kann ein Portfolio mit CFDs auf Rohstoffe und Devisen erweitert werden, auf die es oft nur schwer andere Produkte gibt. Ansonsten eignen sich CFDs aber eher für Kurzfristanleger, da man damit Trends spielen und rasch international agieren kann.

Und was ist mit den hohen Hebeln?

Sicher, CFDs haben Hebel, die Gewinne und Verluste gleichermaßen verstärken können. Aber über die Positionsgröße sind diese gut steuerbar, damit sie für das Gesamtportfolio im Rahmen bleiben. Aber wie schon gesagt, CFDs sind keine Witwen- und Waisenpapiere.

Welche Trends im CFD-Markt erwarten Sie für 2022?

Von den in den letzten zwei Jahren hinzugekommenen Anlegern werden viele bleiben. Die werden jedoch eher Value-Titel kaufen, ich rechne mit einer Sekorrotation. Außerdem dürften Short-Positionen als Absicherung oder als Strategie bei überbewerteten Werten wieder eine größere Rolle spielen.

 


Vita:

Profunder Kenner der Märkte

Jochen Stanzl ist seit sechs Jahren Chef-Marktanalyst beim CFD-Broker CMC Markets in Frankfurt. Der berufliche Fokus des 39-Jährigen liegt auf der Kombination aus technischer und fundamentaler Analyse von Währungen, Rohstoffen, Anleihen und der weltweiten Aktienmärkte.

Gefühlswelt: Die Grafik zeigt die emotionalen Hochs und Tiefs, die ein Anleger vor, bei und nach einem Aktienkauf durchläuft