Bei Mercedes-Benz brummt das Geschäft. Gemessen an den Absatzzahlen haben die Schwaben Audi im Premium-Segment im vergangenen Jahr von Rang 2 verdrängt. Und von Januar bis April 2016 liegt die Marke mit dem Stern sogar auf Rang 1 - vor dem langjährigen Erzrivalen BMW.

Aber die Freude über die Erfolge der schwäbischen Produktoffensive trübt sich allmählich ein. Lange Zeit hatte sich Daimler vehement gegen Vorwürfe gewehrt, die eigenen Dieselmotoren könnten die strengen Abgasvorschriften verletzen. Der Deutschen Umwelthilfe drohte der Konzern sogar rechtliche Schritte an.



Doch inzwischen hat das Saubermann-Image der Schwaben erste Risse bekommen. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat bei Untersuchungen im Rahmen des Dieselskandals bei VW zahlreiche Dieselmotoren weiterer Hersteller untersucht, darunter auch jene aus Stuttgart. Jetzt sollen alleine 247.000 Fahrzeuge der A-, B- und V-Klasse in die Werkstätten. Es gebe bei Dieselmotoren von Mercedes-Benz sowie anderer Hersteller je nach Temperatur große Unterschiede bei den Abgaswerten, berichtete das KBA Ende April.

Mercedes-Benz begründete die Abweichungen - ähnlich wie viele Wettbewerber - technisch. Die Abschaltvorrichtungen dienten dem Motorschutz, hieß es.

Neuer Rückschlag



Jetzt kriegt die Marke mit dem 1000-Prozent-Anspruch ("Das Beste oder nichts") einen weiteren Kratzer. Der BGH hat in dieser Woche überraschend der Patentverwertungsgesellschaft JK Patentportfolio aus dem niederbayerischen Pfarrkirchen Recht gegeben, nachdem das Landgericht und das Oberlandesgericht die Klage gegen Mercedes-Benz zuvor noch abgeschmettert hatten.

JK hatte behauptet, Mercedes-Benz verletze mit der Airscarf genannten Zusatzausstattung eigene Rechte. Der Airscarf ist eine Art Nackenföhn, der in Mercedes Cabrios und Roadster angeboten wird und seine Fahrer vor einem steifen Hals bewahren soll. Die entsprechenden von JK gehaltenen Patente gelten für den deutschen Markt und laufen zum Jahresende aus. Bis dahin darf Mercedes-Benz Airscarf nun in Deutschland nicht mehr nutzen.

Bei der gut betuchten Klientel kamen die Luftdüsen in der Nackenstütze bislang gut an. Schätzungen zufolge sollen zwei von drei Käufern von SL, SLC oder dem S-Klasse-Cabrio den Kuschelschal mitgeordert haben.

Doch mit dem BGH-Urteil ist das erst mal vorbei. Ab sofort darf Mercedes-Benz in Deutschland keine Cabrios mit Airscarf mehr ausliefern. Die Modelle, die noch in den Show-Rooms stehen, werden entsprechend überarbeitet. Dabei wird der Föhn in der Bordelektronik kurzerhand abgestellt.

Was die Aktion kostet, ist bislang unklar. Neben den Kosten für die Umrüstung drohen dem Konzern nun Schadenersatz-Zahlungen. Außerdem könnten Kunden im laufenden Jahr statt eines Cabrios von Mercedes-Benz doch ein Auto beim Wettbewerb ordern.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland laut KBA rund 280.000 Autos mit Stern zugelassen. Rund drei Prozent davon waren Cabrios. Damit könnten grob geschätzt rund 5000 Fahrzeuge betroffen sein.

Man werde die Kunden zu gegebener Zeit über weitere Schritte informieren, sagte eine Konzern-Sprecherin auf Anfrage. Aus Branchenkreisen heißt es, der Konzern könnte den Föhn nach dem Jahreswechsel kurzerhand wieder aktivieren. Dazu lehnte Mercedes-Benz aber jeden Kommentar ab.

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Einschätzung der Redaktion



Investoren sehen die Entwicklung bei Daimler mit wachsender Zurückhaltung. Ungeachtet der Absatzerfolge ist die Daimler-Aktie daher auf Tauchstation. Wir haben das Papier nach der Vorlage der Zahlen zum ersten Quartal und dem KBA-Bericht auf Halten zurückgestuft und einen Test der Unterstützung bei 59 Euro nicht ausgeschlossen. Heute hat die Aktie diese Marke gerissen. Jetzt ist ein weiterer Rückschlag bis in die Zone um 55 Euro möglich.

Die Daimler-Aktie ist mit einem 2007er KGV von 6,7 spottbillig. Die Modelloffensive greift. Vor allem die neue E-Klasse dürfte im laufenden Jahr das Ergebnis in der Pkw-Sparte treiben. Doch es bleiben Fragezeichen. Die Delle aus dem überraschenden Airscarf-Urteil wird der Konzern verschmerzen können. Da geht es offenbar eher um viel heiße Luft.

Aber die Kosten für die Umbauarbeiten bei den Dieselmotoren sind bislang nur grob abschätzbar und dürften erheblich höher liegen. In den USA gibt es erste Sammelklagen.

Charttechnisch ist das Papier zudem angeschlagen. Die Rückruf-Aktion und das BGH-Urteil belasten. Kursziel: 68 Euro. Stopp: 54 Euro. Halten.