"Anleger fragen sich, ob die Zeit gekommen ist, die Zehen in das Piranha-Becken zu tauchen und bei Schnäppchen zuzugreifen", sagt Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com.
In den vergangenen Tagen brach der Dax um insgesamt knapp 20 Prozent ein und steuerte auf die schwärzeste Woche seit den Turbulenzen der Finanzkrise im Herbst 2008 zu. Dabei verbuchte er am Montag und Donnerstag mit knapp acht und rund zwölf Prozent zwei der größten Tagesverluste seiner Geschichte. Weltweit schrumpfte die Marktkapitalisierung der Aktienbörsen im Vergleich zu den Hochs von Mitte Februar um rund 18 Billionen Dollar. Dies entspricht der US-Wirtschaftsleistung eines knappen Jahres oder mehr als dem Vierfachen des deutschen Bruttoinlandsproduktes.
Nach der überraschenden US-Zinssenkung um einen halben Prozentpunkt Anfang März rechnen Investoren für die Fed-Sitzungen am Mittwoch und im April mit weiteren Schritten in jeweils der selben Größenordnung. Dann läge der Schlüsselsatz bei fast null Prozent. Sollten diese Maßnahmen und die bisherigen kurzfristigen Geldspritzen nicht ausreichen, werde die US-Notenbank sicher wieder längerfristige Anleihen aufkaufen, prognostizieren die Experten der Commerzbank. Angesichts der bereits rekordniedrigen Bond-Renditen sei der Effekt aber begrenzt.
REGIERUNGEN SIND GEFORDERT
Die Geldpolitik sei ohnehin nicht das richtige Mittel zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Virus-Pandemie, sagt Portfoliomanager Jon Day vom Vermögensverwalter Newton. "Italien hat sein Ausgabenpaket bereits aufgestockt, um die wirtschaftlichen Auswirkungen zu bekämpfen; andere Länder müssen diesem Beispiel folgen." Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets bezweifelt allerdings, dass sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Linie einigen können. "Der alte Grabenkampf ist wieder entbrannt: Der Norden möchte keine neuen Schulden, der Süden das Gegenteil."
In den USA kündigte US-Präsident Donald Trump zwar ein Konjunkturprogramm an, blieb Details dazu bislang aber schuldig. Er werde es schwer haben, seine Pläne durch den Kongress zu bekommen, sagte Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. Die oppositionellen Demokraten wollten mit eigenen Vorschlägen ihre Chancen im laufenden Präsidentschaftswahlkampf verbessern. "Der Markt wird also vermutlich noch länger auf umfangreiche Unterstützung aus der Politik warten müssen."
VORAUSSCHAUENDE KONJUNKTURDATEN
Den anstehenden Konjunkturdaten blicken Börsianer mit unterschiedlichem Interesse entgegen. Spannend seien vor allem die Stimmungsindikatoren, da sich beispielsweise bei der US-Industrieproduktion (Dienstag) die Auswirkungen der Coronavirus-Krise noch nicht niederschlügen. Im Fokus lägen die Konjunkturbarometer der Fed von New York (Montag) und der Fed Philadelphia (Donnerstag). Für Letzteres sagen Experten einen Rückgang auf von 36,7 auf 28 Punkte voraus.
Einen noch dramatischeren Einbruch erwarten sie beim ZEW-Index (Dienstag), der die Stimmung der deutschen Börsianer widerspiegelt. Den Prognosen zufolge müssen Anleger mit einem Absturz von plus 8,7 auf minus 23,4 Punkte rechnen. Das wäre der größte Rückgang seit 1998.
rtr