Die Anwohner nennen den zweistöckigen unscheinbaren Würfelbau in einem Vorort von Washington scherzhaft den "Kreml": Kaum jemand wisse, was hinter dessen Backsteinmauern genau passiere, weil der Zugang schwer gesichert sei und kaum etwas nach außen dringe. Und tatsächlich deutet nichts darauf hin, dass sich in dem Gebäude der frühere Konzernsitz von Mars verbirgt, einem der größten Familienunternehmen der Welt. Manche vergleichen den abgeschotteten Bau gar mit dem nur wenige Kilometer entfernten Hauptquartier des US-Geheimdiensts CIA.

In der Tat wurde der Schokogigant lange wie eine Geheimorganisation geführt. Es gab keine oder nur wenige Fotos von der Familie, die 1988 die reichste der USA war. Man scheute das Rampenlicht, Interviews gibt es keine. Doch das ändert sich gerade: Das neue Management setzt auf eine andere Firmenstrategie, Mars öffnet sich langsam, wird transparenter. Die sechs Mitglieder des Mars-Clans besitzen laut der Nachrichtenplattform Business Insider ein Vermögen von 72 Milliarden US-Dollar und sind die drittreichste Familie der USA. Das 110 Jahre alte Traditionsunternehmen ist einer der größten Lebensmittelkonzerne der Welt.

Die Arbeitsbedingungen der "Marsianer" seien eine skurrile Mischung aus modern und antiquiert, berichtete ein Reporter von "Fortune", der die Firmenzentrale besuchen durfte. Nach wie vor gibt es bei Mars eine Stechuhr, die sogar der CEO benutzen muss. In dem riesigen Großraumbüro im heutigen Konzernsitz McLean (Virginia) sitzen alle, vom Praktikanten bis zum Vorstandschef, an identisch großen Schreibtischen. Bildschirme informieren in jedem Büro auf der Welt über die aktuellen Geschäftszahlen des Konzerns.

Annehmlichkeiten wie Firmenwagen oder kostenlose Verpflegung, wie in vielen Großkonzernen in den USA üblich, gibt es bei Mars nicht. Allerdings liegen die Gehälter und Boni deutlich über dem Branchendurchschnitt. Mars gilt deshalb seit Jahren als einer der besten Arbeitgeber des Landes. Auch in Bezug auf Diversität punktet Mars: 70 Prozent der Mitarbeiter gehören einer ethnischen Minderheit an oder sind Ausländer, 40 Prozent der Manager sind weiblich. Und die Mitarbeiter dürfen ihre Katzen und Hunde zur Arbeit mitbringen.

Frank C. Mars, der Patriarch, hat das Unternehmen 1911 in der Küche seiner Mutter in Tacoma, im Bundesstaat Washington, gegründet. Der Nachfahre holländischer Einwanderer war als Kind an Kinderlähmung erkrankt und galt als arbeitsunfähig. Seine Mutter unterrichtete ihn zu Hause und brachte ihm bei, wie man Süßigkeiten aus Buttercreme herstellt. Diese verkaufte der 19-Jährige an die Nachbarn.

Später gründete er zusammen mit seiner Frau Ethel, einer Lehrerin, in Minneapolis eine kleine Konditorei. Sie veränderten das Rezept für einen Milchshake so, dass das Produkt relativ fest war und mit Schokolade überzogen werden konnte. So entstand 1923 ein Schokoriegel, den sie "Milky Way" ("Milchstraße") nannten - das erste Produkt des späteren Konzerns.

Das Unternehmen, das jetzt unter der Bezeichnung Mar-O-Bar Co. firmierte, zog bald in ein eigenes Fabrikgebäude um und beschäftigte damals 125 Mitarbeiter. Aber das Geschäft begann erst richtig zu florieren, als Mars’ Sohn Forrest, der an der Eliteuniversität Yale studiert hatte, in die Firma eintrat. Er entwickelte 1930 den Snickers-Riegel, benannt nach dem Pferd der Familie.

Unternehmer des Jahrhunderts

Trotz des geschäftlichen Erfolges zerstritten sich Vater und Sohn - Forrest Mars zog nach England, mit 50 ?000 Dollar und dem Milky-Way-Rezept in der Tasche. Er gründete eine eigene Firma, erfand und vermarktete den Mars-Riegel und entwickelte eine neue Produktidee: Schokolinsen, die mit buntem Zuckerguss überzogen waren und die er "M ?& ?M’s" nannte. Die Idee soll ihm im spanischen Bürgerkrieg gekommen sein, als er Soldaten Smarties lutschen sah.

Forrest war der eigentliche Gründer des Konzerns. Nach dem Tod seines Vaters übersiedelte er in den 60er-Jahren wieder nach Amerika und fusionierte die beiden Unternehmenszweige zur Mars Inc.

Forrest galt als exzentrisch, jähzornig, geizig und medienscheu, als fanatischer Chef, der aber ein gutes Gespür für Produkte hatte. Zu Beginn der 40er-Jahre begann er auch, in die Verarbeitung von Reis zu investieren, woraus später Uncle Ben’s Rice entstand. Das Wirtschaftsmagazin "Fortune" ehrte ihn 1984 als "einen der brillantesten und erfolgreichsten Unternehmer des Jahrhunderts".

1973 übernahmen seine beiden Söhne John und Forrest junior die Führung des Unternehmens. Sie trieben die internationale Expansion voran und machten aus dem Familienbetrieb einen multinationalen Großkonzern. Die Mars-Brüder hatten offenbar auch den Führungsstil ihres Vaters übernommen. Sie galten als ruppig und als Pfennigfuchser. Der Firmensitz war inzwischen in einen unscheinbaren zweistöckigen Backsteinbau nach McLean in Virginia verlegt worden.

Forrest Mars junior starb 2016, seine vier Töchter erbten die Unternehmensanteile. In einem Nachruf wird er als Philanthrop und Visionär beschrieben, der mit seinen Geschwistern die Umsätze von Mars von einer Milliarde auf 35 Milliarden Dollar gesteigert habe. Zudem sei er ein Abenteurer gewesen, der mit seinem Expeditionsschiff die "wildesten Orte der Welt" besucht habe. Über John Mars ist sehr wenig bekannt. Er studierte an der Eliteuniversität Yale. 2015 ernannte ihn Queen Elizabeth II. zum Ritter. Bei dieser Zeremonie entstanden die einzigen Fotos, die von dem Unternehmer existieren.

Mit Victoria Mars betrat 2014 ein neues Clanmitglied die Bühne. Die Tochter von Forrest Mars junior und Urenkelin des Gründers wurde Aufsichtsratschefin. Sie versprach, dass der Konzern sich öffnen und transparenter werden wolle. Als Chairman sitzt heute Stephen Badger an der Spitze des Verwaltungsrats. Er trägt zwar nicht den Namen der legendären Unternehmerfamilie, da seine Mutter Jacqueline - die Schwester von John Mars - den Nachnahmen ihres Mannes annahm. Aber er ist ebenfalls Urenkel von Frank C. und Ethel Mars. Unter Badgers Führung setzt Mars verstärkt auf Nachhaltigkeit. Bei einem Thema aber will der Mars-Clan nichts ändern: Das Unternehmen soll zu hundert Prozent in Familienhand bleiben.