Europa will in die Cloud. Unternehmen wie Bosch, SAP, Deutsche Telekom, Deutsche Bank und Siemens am liebsten in eine heimische. Deshalb haben sie mit dem Bundeswirtschaftsministerium einen Plan für eine vernetzte Dateninfrastruktur ausgeheckt: Das Projekt heißt Gaia X, in Anlehnung an die Urmutter der griechischen Mythologie. Das ambitionierte Unterfangen soll den Trend zur Vernetzung in Wirtschaft und Industrie, Stichwort Industrie 4.0, befeuern - und verhindern, dass die europäische Firmenwelt gegenüber der globalen Konkurrenz weiter ins Hintertreffen gerät. Mitte 2020 soll die Cloud stehen, Ende des Jahres sollen die ersten Anwendungen in Gaia X fertig sein.
Damit soll sich auch die Abhängigkeit europäischer Unternehmen von Anbietern aus den USA und Asien verringern. Derzeit dominiert der US-Konzern Amazon mit der Tochter Amazon Web Services den Markt. Google und Microsoft haben ebenfalls große Marktmacht. Die Konkurrenz aus China, etwa der Konzern Alibaba, ist den Nordamerikanern dicht auf den Fersen. In Europa gibt es neben Industrievertretern wie Siemens vor allem einen Akteur: SAP.
Diese Abhängigkeit könnte für die Europäer nicht nur bei internationalen Spannungen bedrohlich werden. Auch in puncto Datensicherheit ist das Vertrauen in ausländische Anbieter zu Recht begrenzt. Zuletzt stand der chinesische Telekommunikationsanbieter Huawei unter Spionageverdacht. Dass die amerikanische National Security Agency (NSA) im großen Stil Daten aus Netzwerken sammelt, ist bekannt.
Das Misstrauen hemmt. "Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen in Europa stehen Cloud-Diensten oftmals noch kritisch gegenüber", stellt das Bundeswirtschaftsministerium fest. Neben den Abhängigkeiten und der Angst vor Spionage verhindern demnach auch hohe Investitionskosten und fehlende Fachkräfte den Cloud-Einsatz in der Breite. "Europäische Alternativen bieten bislang keine vergleichbare Marktkapitalisierung, Skalierbarkeit und Anwendungsbreite", heißt es im Konzeptpapier. Mögliche Folgen seien Wettbewerbsnachteile, insbesondere für mittelständische Firmen.
Auch der Börsenvergleich, etwa durch regionale Techindizes, zeigt: Bei der Digitalisierung hinken europäische Unternehmen massiv hinterher. In der vergangenen Dekade haben etwa die Kurse der US-Technologie-Indizes Nasdaq und Dow Jones Technology um jeweils knapp 300 Prozent zugelegt. Der Euro Stoxx Technology 600 kommt auf ein Plus von lediglich 180 Prozent.
Daten sind das neue Öl
Nicht nur die Cloud wird von US-Anbietern dominiert. Sie haben die digitale Revolution maßgeblich vorangetrieben. Einen Treiber dieses Wandels beschrieb Gordon Moore, Mitbegründer von Intel, bereits 1965. Gemäß dem nach ihm benannten "Moore’s Law" verdoppelt sich die Anzahl der Transistoren auf einem Chip alle zwei Jahre. Chips werden so immer kleiner, schneller - und billiger. "
Das Wachstum der Computer-, Datenerfassungs- und Analysefähigkeiten treibt den Plattformwechsel voran", erklärt Hyun Ho Sohn, Fondsmanager des Fidelity Global Technology Fund. Noch arbeiten wir demnach mit Computern und Smartphones, aber bald schon mit intelligenten und vernetzten Rechnern sowie Kryptonetzwerken. "Daten und die Fähigkeit, sie zu sammeln und zu verarbeiten, sind der Schlüssel zum Geschäftserfolg", sagt Hyun Ho Sohn. Sie seien das neue Öl.
Für die USA ist die Digitalisierung eine riesige Erfolgsstory: Firmen wie Microsoft und Apple, Internetpioniere wie Google, Facebook und Amazon, aber auch Transportunternehmen wie Uber und Lyft, nicht zu vergessen Reiseportale wie Airbnb und Tripadvisor haben im Heimatmarkt perfekte Bedingungen, sich zu entwickeln. Und: Sie profitieren vom einmaligen Netzwerkzentrum Silicon Valley. Hinzu kommen niedrige Energiepreise und viele Milliarden an Wagniskapital.
Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Roland Berger haben Investoren in den USA zuletzt knapp 64 Milliarden Euro in Start-ups gesteckt, asiatische Kapitalgeber 63 Milliarden Euro. Europäische Gründer konnten dafür lediglich 16 Milliarden Euro einsammeln. Während Asien in den vergangenen Jahren massiv aufgeholt hat, blieb Europa erneut stehen.
Geballte China-Power
Zwar kann die Performance von Techindizes wie dem ChiNext oder dem MSCI Asia Technology noch nicht mit europäischen Konkurrenten an der Pariser Börse Euronext mithalten. Die Entwicklung von Aktien wie Tencent aber zeigt das Potenzial, auch wenn der Spiele- und Internetkonzern soeben mit seinen Ergebnissen enttäuscht hat. Doch in den vergangenen zehn Jahren legte die Aktie um über 1.300 Prozent zu.
China sei nicht zuletzt wegen des Handelskonflikts mit den USA bemüht, eigene Technologiekapazitäten aufzubauen, meint Fidelity-Fondsmanager Hyun Ho Sohn. Huawei etwa könne mittlerweile eine Basisstation für das Hochgeschwindigkeitsinternet 5G ohne Technik aus den USA bauen. "Ich bin zuversichtlich, dass die chinesischen Internetaktien von der anhaltenden Verlagerung Chinas hin zu einer service- und verbraucherorientierten Wirtschaft profitieren werden", so der Experte. Die USA laufe Gefahr, im Technologiewettstreit mit China den Kürzeren zu ziehen.
Erkennt die Großmacht Nachholbedarf, handelt sie mit aller Wucht. Aktuell investieren die Asiaten stark in den Bereich Unternehmenssoftware und in den Aufbau einer Halbleiterindustrie. Die europäische Konkurrenz ist in diesen Feldern, bis auf Ausnahmen wie SAP und Infineon, klein. Die meisten Unternehmen konzentrieren sich daher auf fachspezifische Nischen. "Europa muss offener sein, damit Technologieunternehmen in der Lage sind, legal Daten über ihre Kunden zu sammeln und die Erkenntnisse daraus zu nutzen, um den Kunden bessere Erfahrungen zu ermöglichen", so Jonathan Curtis, Fondsmanager des Franklin Technology Fund.
Das Rennen Europas im, nach Schätzungen der Unternehmensberatung McKinsey, weltweit 13 Billionen Dollar schweren Markt ist aber noch nicht verloren. Gaia X könnte der Beginn einer Aufholjagd werden. "Cloud-Computing ist ein transformativer und kostengünstiger Weg für digitale Erstunternehmen, Computertechnologie zu nutzen", sagt Curtis. Die Datenwolke beschleunige so etwa die Entwicklung von Software.
Anleger sollten sich generell von den hohen Bewertungen in der Technologiebranche nicht abschrecken lassen. "Angesichts des guten Wachstumspotenzials und der hohen Qualität der Branchen sind die Bewertungen keineswegs übertrieben", sagt Curtis.
Die hohen Preise für Firmen werden auch die Welle an Konsolidierungen nicht aufhalten, die aus den USA nach Europa schwappen könnte. Als potenzielle Käufer gelten die Techriesen mit ihren hochskalierten Geschäftsmodellen. Besonders interessant für Alphabet, Amazon und Co: kleine, ältere Technologiefirmen - Europa lässt grüßen.
Investor-Info
Breit Gestreut in Technologie
Cloud, Digitalisierung und Co
Technologie-Investments zählen zu den renditestärksten Anlagen. Entsprechende Fonds oder ETFs machen da keine Ausnahme. Mit ihnen können Anleger diversifiziert investieren und dabei unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Wer sich eher breit in der Techbranche positionieren möchte, findet im Fidelity Global Technology ein sehr gutes Portfolio. Mit dem Pictet-Fonds und dem noch recht jungen ETF des Anbieters HANetf können Anleger dagegen dezidiert auf die Themen Digitalisierung bzw. Cloud-Computing setzen.
Name ISIN Perf. 1 J.
HAN-G. Cloud Tech.1) IE00BDDRF924 28,4 %
Fidelity Gl. Technol. LU0099574567 32,9 %
Pictet Digital LU0101692670 16,8 %
1) ETF; ansonsten aktiv gemanagte Fonds Stand: 14.11.2019; Quelle: Anbieter, fondsweb
SAP
Wachsende Wolke
Das neue Führungsduo Jennifer Morgan und Christian Klein hat sich vor wenigen Tagen in New York den Anlegern gestellt. Nach den Investitionen der vergangenen Jahre versprachen sie höhere Profitabilität und eine höhere Dividende. Der jüngst eingestiegene aktivistische Investor Elliott dürfte die Umsetzung genau beobachten. Im dritten Quartal legte der Umsatz um zehn Prozent auf 6,8 Milliarden Euro zu, das Cloud-Geschäft wuchs dabei um 37 Prozent. Treiber ist die Vertriebsallianz mit Microsofts Cloud-Tochter Azure.
Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 145,00 Euro
Stoppkurs: 99,00 Euro
Alphabet
Bauschige Investitionen
Die Google-Mutter Alphabet investiert enorm in das Cloud-Segment, um die Lücke zu Microsoft und Amazon zu schließen. Das Nettoergebnis fiel im dritten Quartal um 23 Prozent auf sieben Milliarden Dollar und lag unter den Erwartungen. Allerdings hatten im Vorjahr Sondereffekte den Gewinn hochgetrieben. Dafür sprudelte der Umsatz und stieg um 20 Prozent auf 41 Milliarden Dollar. Der Aktienkurs hat eine kleine Verschnaufpause eingelegt und lädt zum Einstieg ein.
Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 1.350,00 Euro
Stoppkurs: 996,00 Euro
Alibaba
Wolke über Hongkong
Einnahmen von 13,4 Milliarden Dollar aus dem am 26. November geplanten zweiten Börsengang in Hongkong (Erstnotiz in den USA: 2014) will der Internetgigant ins Cloud-Geschäft schieben - falls der Plan trotz der Unruhen gelingt. Der IPO dürfte den Kurs treiben, Goldman Sachs sieht ein Potenzial von 25 Prozent. Die Investitionen heizen das Wachstum an. Der Onlinekonzern will 2019 rund 73 Milliarden Dollar umsetzen, nächstes Jahr 96 Milliarden. Riskante Aktie.
Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 199,00 Euro
Stoppkurs: 131,00 Euro