Falls die ersten Handelstage im neuen Jahr Vorboten für den weiteren Jahresverlauf waren, müssen sich Anleger warm anziehen. Weltweit gingen die Aktienkurse auf Tauchstation. Hauptauslöser war mit China ein Einflussfaktor, der die Märkte schon mehrfach belastet hat. Etwa im August: Damals sorgte die Abwertung der Währung Renminbi für Schockwellen an den Finanzmärkten. Erst als die Verantwortlichen beteuerten, es habe sich um eine einmalige Maßnahme gehandelt, beruhigten sich die Gemüter langsam.

In den letzten Monaten ist es um dieses Thema zwar etwas ruhiger geworden, doch die brisanten volkswirtschaftlichen Hintergründe existieren nach wie vor. Da ist vor allem die bange Frage, wie gut China den Übergang von einer stark exportgetriebenen zu einer binnenmarktorientierten Wirtschaft schaffen wird. Wie die Historie in anderen Fällen gelehrt hat, ist das kein leichtes Unterfangen. Der China-Experte Michael Pettis erinnert daran, dass investitionslastige und schuldenfinanzierte Wirtschaftswunder oft kein gutes Ende nehmen, wie frühere Beispiele in der Sowjetunion, Brasilien oder Japan zeigten.

Wachstumsziele unter Druck



Im Falle schlechter Nachrichten aus China werden die Anleger nicht ohne Grund nervös. Bereits zweimal in diesem Jahr musste der Handel nach einem Minus von sieben Prozent im Leitindex Shanghai Composite ausgesetzt werden - der schwächste Jahresstart aller Zeiten. Ein schwacher Einkaufsmanagerindex erinnerte daran, wie schlecht es nach wie vor im Industriesektor der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft läuft. Zwar geht es mit dem Dienstleistungssektor aufwärts. Aber ob das ausreicht, um die offiziellen Wachstumsziele zu erreichen, ist fraglich. Schließlich wird für die kommenden fünf Jahre ein Wirtschaftswachstum von mindestens 6,5 Prozent jährlich angestrebt. Das wäre zwar weniger als in den Jahren zuvor, erscheint aber angesichts der aktuellen Rahmendaten relativ ehrgeizig.

Der stotternde Industriesektor ist nicht das einzige Problem. So sitzt das Reich der Mitte inzwischen auf einem der höchsten Schuldenberge der Welt. Die Gesamtverschuldung ist von 2008 bis 2015, gemessen an der Wirtschaftsleistung, von 150 auf 250 Prozent gestiegen. Aktuell wächst die Neuverschuldung immer noch schneller als das nominale Bruttoinlandsprodukt. Speziell Unternehmen verschuldeten sich (getrieben von der Annahme einer langfristig steigenden Landeswährung) zunehmend in Dollar. Doch wenn die US-Devise gegen den Renminbi - wie zuletzt - weiter aufwerten sollte, rächt sich diese Strategie.

Auch die demografische Situation erschwert es, die Wachstumsziele zu erreichen. Infolge der bis vor Kurzem verfolgten Einkindpolitik hat die Zahl der Erwerbsfähigen ihren Zenit erreicht. Außerdem müssten Überkapazitäten oder Filz in den Staatsbetrieben abgestellt werden. Ob dazu ausgerechnet die Kommunistische Partei in der Lage ist, die das alles mit zu verantworten hat, bleibt fraglich. Selbst wenn die Kehrtwende vollzogen wird, dürfte der Prozess schmerzhaft werden. Deutlich wird das an der inzwischen schärferen Gangart bei der Korruptionsbekämpfung. Eine Konsequenz daraus waren negative Auswirkungen auf Branchen wie Luxusgüter und Kasinos.

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Entscheidend für die Weltwirtschaft



Kein Wunder also, dass die Finanzwelt mit Argusaugen auf das Reich der Mitte schaut. Nicht umsonst hat IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld China als Schlüssel für die Entwicklung der Weltwirtschaft im Jahr 2016 eingestuft und gewarnt, "ein Wachstum, das unter den staatlichen Zielmarken liegt, könnte erneut die weltweiten Finanzmärkte schrecken." Weitsichtige Anleger beschäftigen sich deshalb mit der Frage, was ein klares Verfehlen der chinesischen Wachstumsziele inklusive einer anhaltenden Währungsabwertung bedeuten würde. Derartige Überlegungen hat unlängst die UBS angestellt. Die Analysten der Schweizer Bank halten ein reales Wachstumsplus von nur vier Prozent zwar für sehr unwahrscheinlich, haben aber trotzdem durchgespielt, was so ein Szenario für den Rest der Welt bedeuten könnte.

Für die Weltwirtschaft rechnet Volkswirt Tao Wang selbst dann nicht mit einer Rezession, weil sich die USA und Europa als relativ widerstandsfähig erweisen dürften. Härter getroffen würden die Schwellenländer, etwa in Asien und in Lateinamerika. Den Berechnungen zufolge würde sich für Asien ohne Japan die Wachstumsprognose für 2016 von 5,1 Prozent auf 2,0 Prozent verringern. In Lateinamerika würde aus einem erwarteten Minus von 0,4 Prozent ein Minus von 1,8 Prozent resultieren. Auch bei den arg gebeutelten Rohstoffen wittern die Experten weiteres Ungemach. Laut UBS könnte der Ölpreis auf 25 Dollar pro Barrel fallen, Eisenerz sowie Kupfer könnten noch einmal weitere 20 Prozent nachgeben.

Deutschland stark betroffen



Am Aktienmarkt sehen die UBS-Analysten beim US-Leitindex S&P 500 nur eine moderat negative Kurswirkung, weil die US-Unternehmensgewinne wegen China nicht allzu stark fallen dürften. Für Europa befürchten sie aber einen Gewinnrückgang von fünf bis zehn Prozent, für Asien-Pazifik sogar von 40 Prozent. Im Gleichschritt mit den Unternehmensgewinnen könnte dann der MSCI-Emerging-Markets-Index um 40 Prozent fallen. Orientiert man sich bei der Prognose möglicher Kurswirkungen an den Folgen der Renminbi-Abwertung im August, wären Deutschland, die Eurozone und Japan am stärksten gefährdet. Das Worst-Case-Szenario wäre dann ein Kursrückgang des MSCI-World-Index um 25 bis 30 Prozent.

Den Schuss vor den Bug sollten Anleger zum Anlass nehmen, die konjunkturelle Entwicklung in China ganz genau zu beobachten. Trübt sich die Lage weiter ein, könnte das Börsenjahr 2016 schwierig werden. China verfügt aber auch über noch ungenutzte Instrumente, wie weitere geld- und fiskalpolitische Maßnahmen, die helfen könnten, die Konjunktur auf Trab zu halten.



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