Zunächst meldete das Mainzer Unternehmen Biontech, gemeinsam mit dem USPartner Pfizer die Zulassung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beantragen zu wollen. Wenige Tage später sorgte der US-Pharmakonzern Moderna für eine ähnliche Schlagzeile. Zwei verschiedene Impfstoffe, ein Signal: Die Pandemie könnte bald beendet sein.
Die Kurse an den Börsen schossen in die Höhe. Der Anstieg beschränkte sich nicht nur auf die genannten Pharmawerte. Vielmehr reagierten die Aktienkurse in der Breite. Dafür gibt es gute Gründe. Der wissenschaftliche Erfolg verändert nämlich Grundlegendes. Die Börsenteilnehmer handeln, als befänden wir uns am Anfang eines neuen Konjunkturzyklus. Der Gedanke dahinter: Die Pandemie bescherte uns eine kurze, aber scharfe Rezession. Fast alle Wirtschaftszweige wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen. Mit dem Forschungsdurchbruch gelten jetzt veränderte Spielregeln: Es geht zurück auf "Los".
Dank der potenziellen Impfstoffe ist ein Leben im Vorkrisenmodus mit normalisiertem Flugverkehr, herkömmlichen Produktionsbedingungen und Handelsbeziehungen wieder in Sicht. Am Markt konnten die einstigen Verlierer der Pandemie wieder punkten: Dividendentitel aus der Airline-, Touristik- oder Bankenbranche legten prozentual zweistellig zu. Dagegen rutschten Aktien von bisherigen Krisengewinnern wie Onlinehändlern oder Laborzulieferern ab. Professionelle Investoren bezeichnen das als Sektorrotation.
In der Tat kann man davon ausgehen, dass die Gewinne und die Bewertungen für zyklische Aktien perspektivisch eher steigen dürften. Allerdings sollte eine zu einseitige Positionierung vermieden werden. Die Zulassung der Impfstoffe steht noch aus. Zudem ist noch nicht bekannt, wie schnell die Impfdosen verteilt werden können und wie zuverlässig die Impfung längerfristig ist. Bis wann der wissenschaftliche Durchbruch tatsächlich eine Normalisierung des Wirtschaftslebens zur Folge hat, lässt sich nicht genau prognostizieren.
Daher ist bei der Kapitalanlage eine gewisse Vorsicht angeraten, allerdings durchaus gewürzt mit zyklischen Elementen. So ist es möglich, an der Verschiebung der Gewinndynamik zwischen den Sektoren teilzuhaben, ohne zu große Risiken einzugehen. Als Beimischung bieten sich beispielsweise ausgewählte Logistik- und Automobilaktien an, die nach wie vor vergleichsweise günstig bewertet sind. Letztere könnten zudem durch die neuerlichen Kaufanreize der Bundesregierung weiteren Rückenwind erfahren. Aber auch IT-Werte etwa aus dem Halbleiter- und dem eher defensiven Softwarebereich sollten im Portfolio nicht fehlen. Allerdings sind hier die Kurs-Gewinn-Verhältnisse schon eher fortgeschritten.
Gewinner aus langfristigen Trends bleiben erhalten
Aber auch in einem neuen Zyklus wird sich nicht alles ändern. Höhere Bewertungen von strukturellen Gewinnern aus langfristigen Trends wie etwa der Digitalisierung bleiben dem Markt noch für lange Zeit erhalten. Das liegt nicht zuletzt am Kapitalmarktumfeld. Denn die Notenbanken haben ihren Fokus etwas weg von der Inflationsbekämpfung hin zur Unterstützung der Wachstumskräfte verschoben. Die Zinsen werden also bis auf Weiteres niedrig bleiben. Zudem unterstützen die Börsen auch Infrastrukturprogramme der Regierungen, mit denen sie die geschwächte Wirtschaft wieder ankurbeln wollen. Diese Kombination dürfte grundsätzlich für kräftige Gewinnsteigerungen bei den Unternehmen sorgen. Klar ist aber auch: Branchen, die 2020 wegen des Coronavirus abgestraft wurden, dürften überdurchschnittlich aufholen. Überflieger der vergangenen Monate sollten hingegen weniger Wachstum verzeichnen.
Benjardin Gärtner:
Leiter des Portfoliomanagements Aktien bei Union Investment
Gärtner ist Mitglied des Union Investment Committee, das auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment formuliert.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell rund 370 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.