Gefühlt ist es eine Ewigkeit her: Bei mehr als 100 Dollar notierte der Ölpreis im Jahr 2012. ExxonMobil war das wertvollste Unternehmen der USA, hochprofitabel, bei Investoren als sicherer Dividendenförderer beliebt. Seitdem hat sich die Welt aus Sicht von Exxon dramatisch verändert: Ölpreis und Aktienkurs sind eingebrochen, der Konzern wird in diesem Jahr nach Hochrechnung der Analysten einen Nettoverlust von knapp zwei Milliarden Dollar verbuchen müssen.
Konzernchef Darren Woods zieht Konsequenzen und verschärft den Sparkurs. Das jährliche Budget für neue Ausrüstung sowie Erkundungs- und Förderprojekte soll bis zum Jahr 2025 zwischen 20 und 25 Milliarden Dollar liegen. Das sind rund zehn Milliarden weniger als Woods noch im März in Aussicht gestellt hatte.
Gleichzeitig wird die gigantische Summe von 17 bis 20 Milliarden Dollar an Vermögenswerten im Erdgasgeschäft abgeschrieben - dieser Betrag übersteigt den Börsenwert kleinerer DAX-Mitglieder. Die Abschreibungen sind die Quittung für viele Fehlinvestitionen in der jüngeren Vergangenheit, unter anderem die überteuerte Übernahme des Schiefergasproduzenten XTO Energy.
Aus Sicht von Investoren gibt es zwei sehr unterschiedliche Szenarien für die Zukunft von Exxon: Pessimisten sehen die gesamte Branche in einem nachhaltigen Niedergang, weil Öl als Energiequelle verdrängt wird durch umweltschonende Alternativen. In der Automobilindustrie beispielsweise steht der Elektroantrieb vor dem Durchbruch. In diesem Umfeld dürfte der Ölpreis und damit auch ein Konzern wie Exxon dauerhaft unter Druck bleiben.
Szenario 2: Die Ölindustrie ist extreme Zyklen gewohnt. Auf jeden Absturz folgte bislang eine Erholung. Selbst wenn die Preise nicht mehr an die alten Rekorde heranreichen, wird Öl als Treibstoff der Industrie noch lange gebraucht. Die Herausforderung für Konzerne wie Exxon: die eigenen Kosten an ein niedrigeres Preisniveau anpassen. Weil viele Ölkonzerne ihre Investitionen kräftig kürzen, könnten die Preise im nächsten Konjunkturaufschwung sogar stärker als erwartet steigen.
Eine wichtige Rolle für Investoren spielt die Dividende. Exxon ist in dieser Kategorie eine der berühmtesten Aktien der Welt. 37 Jahre haben die Texaner ihre Ausschüttung durchgehend aufgedreht. Im laufenden Jahr gibt es einen leichten Aufschlag um fünf Cent. Die Quartalsdividende summiert sich auf 3,48 Dollar. Die Finanzierung allerdings ist schwierig geworden.
Schon im vergangenen Jahr stieg die Ausschüttungsquote auf 104 Prozent. Der Konzern zahlte also mehr Geld aus, als er netto verdient hat. Bereits seit dem dritten Quartal 2018 hat Exxon nicht mehr genug freie Mittel erwirtschaftet, um die Dividende aus eigener Kraft finanzieren zu können.
Alles für die Dividende
Kann Exxon seine Dividendenserie wirklich fortsetzen? Konkurrenten wie Royal Dutch Shell und BP haben ihre Vorsätze über Bord geworfen und ihre Zahlungen deutlich gekürzt. Viel hängt von der Entwicklung des Ölpreises ab: Bloomberg kalkulierte zuletzt, dass Exxon unter anderem ein Niveau von mehr als 50 Dollar für ein Fass der Sorte Brent brauche, um die Dividende im kommenden Jahr organisch decken zu können. Da sich die Weltwirtschaft mit dem Abklingen der Pandemie deutlich erholen wird, sollte auch der Ölpreis wieder anziehen.
Der Konzern selbst betonte in dieser Woche, man arbeite daran, eine zuverlässige Dividende zu bewahren. Das klingt zunächst beruhigend, könnte aber eine versteckte Botschaft sein: Das Analysehaus Cowen & Co verweist darauf, dass der Vorstand zuvor noch eine andere Formulierung gewählt habe. Von einer "zuverlässigen und wachsenden Dividende" sei da die Rede gewesen.
Die Relationen sind extrem: Analysten gehen davon aus, dass die Exxon-Dividende in den kommenden Jahren auf dem aktuellen Niveau von 3,48 Dollar stagniert. Das würde beim gegenwärtigen Kursniveau auf eine Dividendenrendite von fast neun Prozent hinauslaufen. Eine so große Zahl wiederum deutet darauf hin, dass die Börse eine kräftige Kürzung vorwegnimmt. Die Aktie von Exxon ist also eine der ganz heißen Wetten auf ein zügige Erholung der Ölpreise.
Hoffnung: Exxon ist eine Turnaround-Spekulation. Für den
Stopp bieten sich Kurse knapp
unter dem Oktober-Tief an.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 37,00 Euro
Stoppkurs: 25,50 Euro