Herr Flaskamp, wird die US-Notenbank kommende Woche zum ersten Mal seit fast neun Jahren die Zinsen erhöhen?


Jürgen Flaskamp: Ich hoffe sehr, dass es endlich wieder in Richtung einer Normalisierung der Geldpolitik gehen wird. Minizinsen gefährden schließlich die Altersvorsorge einer ganzen Generation. Zudem kann die Realwirtschaft, auch wenn die Konjunktur nicht gerade boomt, eine Zinserhöhung um 0,25 Prozent verkraften. Zu begrüßen wäre es auch, wenn das Geeiere der US-Notenbank endlich aufhören würde. In den vergangenen Monaten gab es aus Kreisen der Fed ja immer wieder sich widersprechende Äußerungen, ob die Zeit reif für die Zinswende sei oder nicht. Das sprach nicht für die Kompetenz und Führungsstärke der Notenbankchefin.

Die Fed hat eine Zinserhöhung von einem deutlich Rückgang der Arbeitslosenrate abhängig gemacht. Diese ist mittlerweile auf 5,1 Prozent gesunken. Ist das ein Beweis dafür, dass die US-Wirtschaft in guter Verfassung ist?


Nein, die Zahl ist geschönt. In den USA nehmen doch viele Menschen gar nicht mehr am Arbeitsprozess teil, die Partizipationsrate der Erwerbstätigen ist auf den niedrigsten Stand seit den 70er Jahren gefallen. Zudem wurden neue Arbeitsplätze vor allem im Niedriglohnsektor geschaffen. Im qualifizierten Bereich hat dagegen keine nennenswerte Zunahme an Beschäftigung stattgefunden.

Warum ziehen trotz der niedrigen Arbeitslosenrate die Löhne nicht an?


Die Konkurrenz der Unternehmen um Arbeitskräfte ist gering. In Reaktion auf die Erhöhung des Mindestlohns intensivieren sie die Industrialisierung ihrer Produktionsprozesse. Auch dürfte sich durch die Insolvenz zahlreicher Fracking-Unternehmen das Arbeitsangebot wieder erhöhen.

Wenn die Löhne nicht steigen, bleibt dann auch die Inflation weiterhin niedrig?


Ich wüßte nicht, was einen nachhaltigen Preisanstieg bewirken soll, zumal auch die Energiekosten weiterhin tief bleiben werden. Um wenigstens die Fixkosten zu decken, halten in den USA noch eine ganze Reihe von Frackingunternehmen den Betrieb aufrecht. Das Angebot hat sich daher noch nicht wesentlich verringert. Auch die Opec- Staaten zeigen keinerlei Bereitschaft, die Produktion zu drosseln. Gäbe es nicht wie auch in Europa Kostenerhöhungen durch den Staat, dann würde die Teuerungsrate noch niedriger ausfallen.

Konzentriert sich die Fed bei ihren Zinsentscheidungen allein auf die USWirtschaft oder berücksichtigt sie auch die Folgen für andere Länder?


Die Fed ist wie die US-Politik egomanisch unterwegs, das Wohl der USA steht an erster Stelle.

Wie werden US-Staatsanleihen auf die Fed-Entscheidung kommende Woche reagieren?


Die erste Zinserhöhung wird den US-Staatsanleihemarkt nicht stark beeinflussen, das ist weitgehend eingepreist. Mehr Einfluss auf die Entwicklung der Treasuries dürften aber die Verkäufe Chinas haben. Die chinesische Notenbank hat allein in den vergangenen sechs Monaten bereits 400 bis 500 Milliarden Dollar an US-Staatsanleihen verkauft.

Kann der High-Yield-Bondmarkt weitere Zinserhöhungen verkraften?


Nur schwer. Die Ausfallraten insbesondere bei Ölund Gasunternehmen und generell im High-Yield- Bereich werden deutlich nach oben gehen.

Die Reaktion der US-Börsen?


Auch der Aktienmarkt ist auf die erste Zinserhöhung vorbereitet. Dennoch dürfte sich der aktuelle Abwärtstrend fortsetzten, der Dow Jones hat ja seit Jahresanfang rund zehn Prozent verloren. Denn die Bewertungen sind viel zu hoch. Sie liegen aktuell 40 Prozent über dem gleitenden Durchschnitt der vergangenen 40 Jahre. Die Überbewertung ist eine Folge der Niedrigzinspolitik der Notenbank. Nicht auszuschließen, dass die Korrektur erst dann ihr Ende findet, wenn der Durchschnittswert wieder erreicht ist. Sorgen macht mir zudem der hohe Kreditleverage der Amerikaner und eventuell daraus folgende Margin- Calls.

Welche Branchen, welche Unternehmen werden von einer Korrektur besonders betroffen?


Der Hightech-Bereich. Da gibt eine Reihe von Unternehmen, die kein nachhaltiges Geschäftsmodell aufweisen. Der Cashflow reicht oft nicht aus, um Zins und Kapitaldienst zu leisten.

Zahlreiche US-Unternehmen haben Aktienrückkäufe gestartet. Wären ansonsten die Verluste noch höher ausgefallen?


Eindeutig. Mittlerweile haben ja über 50 Prozent der im S & P 500 gelisteten Unternehmen Aktienrückkaufprogramme gestartet. Solche Aktionen sind an sich nicht schlecht, wenn sie denn aus dem Cashflow finanziert werden. Doch zahlreiche US-Unternehmen, dazu zählen auch Apple, IBM oder Viacom, haben in der Vergangenheit Kredite aufgenommen, um Aktienrückkäufe zu finanzieren. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund steigender Zinsen eine gefährliche Entwicklung, das setzt auch falsche Anreize für die Investoren. Zudem haben etliche Firmen ihre Bilanzen geschönt und unter anderem Goodwill-Abschreibungen nicht vorgenommen. Die Investoren gewinnen so aber ein falsches Bild von dem Unternehmen.

Ist die US-Börse noch die Weltleitbörse, werden weitere Kursverluste an der Wall Street auch die europäischen Märkte negativ beeinflussen, auch wenn in der Eurozone die Zinsen weiterhin tief bleiben werden?


Die Vorgaben aus den USA, ob positiv oder negativ, bestimmen in hohem Maße die Kursentwicklung in anderen Teilen der Welt. Das hängt auch damit zusammen, dass wir in Deutschland immer noch keine eigene Aktienkultur entwickelt haben.

Sehen Sie Märkte, die derzeit attraktiver als die USA sind?


Der russische Markt ist derzeit extrem günstig, die Marktkapitalisierung entspricht der von Intel. Doch ein Einstieg erfordert Mut und wohl auch einen langen Atem. Auch bei den Emerging Markets kann man allmählich wieder Positionen aufbauen.


Im Profil



Jürgen Flaskamp begann seine Karriere nach dem Studium der Betriebswirtschaft und Promotion bei der INKA (HSBC). Anschließend wechselte er zur SMH-Bank, danach wurde er Vorstand bei UBS-Deutschland. Flaskamp ist Mitglied mehrerer Fonds-Anlageausschüsse. Von 2000 bis 2011 war er Geschäftsführer und Partner der GS&P Vermögensverwaltung Düsseldorf. Seit 2007 ist er Partner der GS&P KAG Luxemburg und seit 2011 gleichzeitig Gesellschafter und Verwaltungsrat der Flaskamp Invest S.A.