In Zeiten wie diesen müssen Geld- und Fiskalpolitik zusammenhalten wie Pech und Schwefel
In politischen Sonntagsreden wird die internationale Geldpolitik immer wieder gerne kritisiert. Bei den höchsten deutschen und europäischen Gerichten wird sogar gegen die renditedrückenden Anleiheaufkäufe der EZB geklagt. Dabei weiß doch jeder Politiker in Berlin hinter vorgehaltener Hand sehr genau, dass Deutschland niemals in den Genuss von Überschüssen im Staatshaushalt gekommen wäre, wenn die Renditen für deutsche Staatspapiere nicht minimal niedrig und mehrheitlich sogar negativ wären. Während 2000 auf die Bundesschulden von 716 Mrd. Euro noch fast 40 Mrd. Euro Zinsen fällig waren, haben sich 2015 die Zinszahlungen auf die aktuelle Bundesschuld von 1.069 Mrd. Euro fast halbiert.
Diese finanzpolitischen Segnungen sind wohl kaum auf dem fruchtbaren Mist der deutschen Wirtschaftspolitik gewachsen. Denn diese zeigt sich seit Jahren völlig reformbefreit.
Durch das Eingreifen der EZB hat sich der deutsche Finanzminister dreistellige Milliardenbeträge an Zinszahlungen gespart. Um es klar zu sagen: Die EZB hat den deutschen Staatshaushalt saniert.
Übrigens, hätte die EZB die Euro-Staatsschuldenkrise nicht eingedämmt, hätten wir heute längst Euro-Bonds, also haftungsgemeinschaftliche Euro-Anleihen, bei denen ähnlich wie bei den drei Musketieren gilt: "Einer für alle Alle", also Deutschland für die Eurozone. Und dann müsste der Bundesfinanzminister nicht nur normal hohe deutsche Schuldzinsen zahlen. Allein damit wäre die "Schwarze Null" so unmöglich wie für mich die 100 Meter unter 10 Sekunden zu laufen. Dann käme auch noch ein Risikoaufschlag hinzu, da Deutschland für die im Vergleich deutlich schlechtere Bonität der anderen Euro-Länder mithaften müsste.
Wer sich gerne am freien Mittagstisch der EZB labt, sollte sich nicht über deren Chefkoch Mario Draghi beschweren. Wie heißt es im deutschen Sprichwort: "Die Hand, die gibt, ist die erste, die gebissen wird."
Sicherlich muss die Politik Mario Draghis Abbild nicht als Heiligenbild verehren, aber als Wurfscheibe ist er auch nicht geeignet. Nicht zuletzt hat er neben der Staatsanleihe- auch die Bankenkrise in den Griff bekommen. Alternativ hätten die Euro-Finanzminister die Banken erneut mit zig-Milliarden stützen müssen. Das hätten erstens die Wähler nicht honoriert und zweitens wären dann Überschüsse im Bundeshaushalt so unwahrscheinlich wie ein Sechser mit Zusatzzahl im Samstagslotto.
Auf Seite 2: Finanzwirtschaftlich ist die Geldpolitik ein starker Hengst, realwirtschaftlich eher ein schüchterner Wallach
Finanzwirtschaftlich ist die Geldpolitik ein starker Hengst, realwirtschaftlich eher ein schüchterner Wallach
Natürlich kann niemand über die aktuelle Notenbankpolitik glücklich sein. Wir müssen alle den Verlust der Deutschen Bundesbank als Benchmark für ordentliche Geldpolitik verkraften. Dies gilt umso mehr, als dass sie realwirtschaftlich einen erbarmungswürdigen Job macht. Seit Beginn des Anleiheaufkaufprogramms der EZB sind 670 Mrd. Euro in die Finanzmärkte der Eurozone geflossen und dennoch haben wir es im Euroraum mit einer Deflation zu tun und liegen die langfristigen Inflationserwartungen auf einem Allzeittief. Es ist absurd: Je mehr Liquidität, desto weniger Inflation. Und haben Sie den Eindruck, dass die Eurozone nennenswert wächst? Amerika ist kein Wachstumstempel mehr. Ebenso ist die Investitionsschwäche in den Schwellenländern unverkennbar. Damit spürt auch die deutsche Wirtschaft die Knute der weltweiten Wachstumsverlangsamung.
Die Geldpolitik kann sich jetzt stur und bockig wie ein Esel zeigen und weiter versuchen, mit noch mehr Liquidität und noch negativeren Leitzinsen bzw. Renditen das Konjunkturwunder zu bewirken. Doch es wird nicht funktionieren. Die Kreditinstitute, denen es regulierungsbedingt an Eigenkapital und damit Kreditlust mangelt, treffen zusätzlich auf Wirtschaftssubjekte, die sich angesichts der prallen Üppigkeit an Verunsicherungen verängstigt und schüchtern in Angstsparen und Investitionszurückhaltung üben. Die Weltwirtschaft verdurstet in den liquidesten Finanzmarktausstattungen aller Zeiten. Hätte Wirtschaftstheoretiker Keynes praktische Beweise für Investitions- bzw. Liquiditätsfallen gesucht, heute würde er mustergültige Fälle vorfinden.
Die Notenbanken müssen endlich begreifen, dass die Konjunkturwelt kein geldpolitisches Angebots-, sondern ein sehr ernstes Nachfrageproblem hat. Es ist einfach, mit dem geldpolitischen Fleischklopfer Finanzkrisen platt wie Steaks zu hauen. Doch beim Wachküssen des Konjunktur-Dornröschens scheint der geldpolitische Prinz trotz unzähliger Versuche seine liebe Not zu haben.
Auf Seite 3: Wenn die Pferde, die zur geldpolitisch Tränke geführt werden, sich weigern zu saufen, muss die Fiskalpolitik nachhelfen
Wenn die Pferde, die zur geldpolitisch Tränke geführt werden, sich weigern zu saufen, muss die Fiskalpolitik nachhelfen
Dieses realwirtschaftliche Versagen der Geldpolitik muss jetzt auch die Finanzpolitik akzeptieren. Auf "Wir schaffen das geldpolitisch" zu warten, ist genauso erfolglos wie auf einen Mückenstich freien Sommer zu hoffen. Der Geldpolitik als die Angebotsseite stimulierende Größe fehlt das Gegenstück, die Nachfrageseite. Wenn Konsum und Unternehmensinvestitionen zu schwach sind, bleibt nur noch die Nachfrage durch den Staat. Und für ihn bieten sich durch die Geldpolitik aktuell geradezu Schlaraffenland ähnliche Zustände.
Bis zur Anleihelaufzeit von fast neun Jahren ist die staatliche Kreditaufnahme nicht mit Zinskosten, sondern mit Zinsgewinnen verbunden. Deutschland verdient mit der Aufnahme neuer Kredite Geld! Zusätzlich kauft die EZB deutsche Staatspapiere monatlich massiv auf. Es gibt also weder ein Finanzierungs- noch ein Absatzproblem. Wohl dem der Finanzminister ist.
Um bloß nicht falsch verstanden zu werden: Bei dieser staatlichen Nachfrage darf es nicht um wahlpopulistischen Konsum, sondern muss es eindeutig um Investitionen in die deutsche Infrastruktur gehen. Zwischen Flensburg und Passau bzw. Aachen und Cottbus muss die Standortqualität wieder auf global wettbewerbsfähiges Niveau gebracht werden. Konkret geht es um die Sanierung von Brücken und Straßen, die konsequente Fortsetzung der Energiewende, den Netzausbau, die Digitalisierung und natürlich Bildung, Bildung, Bildung. Im Grunde genommen müssen wir nur das wiederholen, was wir schon in den 50er- und 60er-Jahren gemacht haben. Schon damals haben staatliche Basisinvestitionen und damit ein wirtschaftsfreundlicher Nährboden schließlich zu privatwirtschaftlichen Folgeinvestitionen geführt.
Dagegen ist die schwarze Null nur ein Fetisch, der sich vielleicht im Wahlkampf gut verkaufen mag, volkswirtschaftlich jedoch Opportunitäten ungenutzt vorbeiziehen lässt. Die Fiskalpolitik sollte den Steilpass der Geldpolitik dringend aufnehmen.
Wenn sich diese Investitionsidee auch in anderen Euro-Ländern und sogar weltweit verbreitete, würde die notenbankseitige Geldflut nicht schwerpunktmäßig in Anlageblasen an den Finanzmärkten, sondern vor allem sinnvoll in die Realwirtschaft investiert. Das ist gut für Arbeitsplätze, Konsum, Steuereinnahmen, sozialen Frieden und auch für Europa. Und die Aktienmärkte bekämen fundamental endlich Fleisch an den abgenagten Hungerknochen der Liquiditätshausse.
Auf dem letzten G20-Gipfel in Shanghai hätte man in puncto Zusammenarbeit von Geld- und Fiskalpolitik Nägel mit Köpfen machen können. Doch leider blieb es nur bei warmen Worten, bei Verbalerotik. Hoffentlich geht den Verantwortlichen bald ein Lichtlein auf. Eigentlich müssten es ganze Lichterketten sein.
Ansonsten ist für die Weltkonjunktur das ganze Jahr Fastenzeit.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.