Pro Patient kostet Strimvelis 594 000 Euro. Zum Einsatz kommt das im Mai 2016 in Europa zugelassene Medikament gegen ADA-SCID. Bei dieser Krankheit, die vor allem bei Säuglingen und Kindern diagnostiziert wird, blockiert ein winziger Defekt im Erbgut die Entwicklung von Immunzellen und lähmt die körpereigene Immunabwehr. Ohne Behandlung würden die meisten Patienten innerhalb von zwei Jahren sterben.

Bei Strimvelis entnehmen die Ärzte Knochenmark und behandeln es im Labor mit einem harmlosen Virus. Dieser schleust eine korrekte Version des fehlenden Enzyms Adenosin-Desaminase in das Erbgut ein. Die Stammzellen entwickeln daraufhin B- und T-Lymphozyten und bauen im Körper ein schlagkräftiges Immunsystem auf. Bei den im Schnitt über sieben Jahre beobachteten Patienten lag die Überlebensrate bei 100 Prozent.

Verkauft wird Strimvelis vom Pharmakonzern GlaxoSmithKline. Der hatte das Mittel im Jahr 2010 vom San Raffaele Telethon Institute in Mailand erworben. Einen Milliardenmarkt bietet das Präparat allerdings nicht. In Europa werden jährlich 15 Kinder mit ADA-SCID geboren. Mit Strimvelis will Glaxo aber den Markt für Gentherapien gegen seltene erblich bedingte Erkrankungen ausloten.

Insel der Seligen



Erst fünf Prozent aller bislang identifizierten Orphan Diseases, wie diese Krankheiten im Fachjargon heißen, sind bislang behandelbar. "In der aktuellen Diskussion um Medikamentenpreise erscheint die Gattung der seltenen genetischen Erkrankungen wie eine Insel der Seligen, weil sie zeitlich kürzere und weniger kostspielige klinische Studien mit einer schnelleren Zulassung und hoher Preissetzungsmacht kombinieren", meint Christian Lach, Portfoliomanager bei der Finanzgruppe Bellevue Adamant.

Diese Vormachtstellung ergibt sich daraus, dass im Regelfall nur wenige Tausend Patienten von einer dieser 7000 seltenen Erkrankungen betroffen sind. Die happigen Behandlungskosten ab 250 000 US-Dollar pro Patient relativieren sich etwas angesichts von Produktionskosten von bis zu 150 000 US-Dollar. In den USA sichert der 1983 verabschiedete Orphan Drug Act den Medikamentenentwicklern einen exklusiven Marktzugang über sieben Jahre. Dazu wird die Hälfte der klinischen Kosten steuerlich erstattet.

Orphan Diseases bieten ein weites Betätigungsfeld für Biotechfirmen. Wegen der überschaubaren Patientenzahl lassen sich klinische Studien mit vergleichsweise geringen Kosten durchführen. Das gilt auch für die Größe der Vertriebsteams, wenn die Marktzulassung denn geschafft ist. Und weil die Patientengruppen über Interessenverbände und Social Media gut organisiert sind, geht die Marktdurchdringung zügig voran.



"Die Kostenerstattung steht und fällt mit der Beobachtung des medizinischen Nutzens", erläutert Fondsmanager Lach. Langfristig könnte es darauf hinauslaufen, dass die Behandlung von genetischen Erkrankungen abhängig von Dauer und Wirksamkeit bezahlt wird: "Am wenigsten kritisch ist die Gabe dieser neuen Substanzen für Patienten, die bislang keinerlei Chancen auf eine Heilung haben."

Auch die Pharmaindustrie, die lange wegen vermeintlich mangelnder kommerzieller Attraktivität außen vor blieb, ist inzwischen in diesem Feld unterwegs. So hat sich Sanofi im Jahr 2009 mit der Übernahme des Biotechschwergewichts Genzyme diese Marktnische erschlossen. "Neben den Krebsmedikamenten bleiben genetische Erkrankungen die lukrativste Marktnische", meint Ewan McCulloch, Portfoliomanager bei Franklin Templeton Investments. "Aus diesem Grund sind Firmen begehrte Übernahmeobjekte, um sich Wachstum zu erkaufen."

Hochspekulative Investments



Wer in einzelne Biotechs investiert, muss eine große Risikobereitschaft mitbringen und größere Kursschwankungen aushalten. Nur wenige Firmen wie Vertex Pharma schreiben bereits schwarze Zahlen. Die starke Bilanz für 2016 und der Ausblick schoben die Aktie zuletzt wieder an. Zwei Medikamente gegen Mukoviszidose - Orkambi und Kalydeco - brachten im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von 71 Prozent auf 1,7 Milliarden US-Dollar. Zwischen 2017 und 2019 erwarten die Konsensschätzungen einen Gewinnsprung von 1,61 auf 4,58 Euro je Aktie.

Bluebird Bio entwickelt Immuntherapien gegen Krebs und zählt zu den Vorreitern im Gene Editing. Bei dieser Form der Gentherapie korrigieren einzelne Enzyme Mutationen im menschlichen Erbgut oder schalten bestimmt Gene aus, die als Krankheitsauslöser gelten. Lentiglobin, das am weitesten fortgeschrittene Präparat gegen eine Bluterkrankung, durchläuft gerade die zulassungsrelevante klinische Studie. Spekulative Naturen greifen bei der Aktie jetzt zu.

Alnylam ist nach einem klinischen Fehlschlag im Oktober ein Kandidat für die Watchlist. Die US-Firma ist führend bei RNA-Interferenz-Therapeutika, welche die Verschmelzung bestimmter krankheitserregender Proteine hemmen. Eine bessere Wahl ist die in BÖRSE ONLINE 03/2017 empfohlene Ionis Pharma, die zusammen mit Biogen die Zulassung für ein Mittel gegen Muskelschwund in den Atemwegen erhalten hat.

Kein Kauf ist dagegen Uniqure. Die Firma erhielt 2012 für Glybera die erste Zulassung für eine Gentherapie. Weil bislang der Nachweis der dauerhaften Wirksamkeit des Enzymersatzes fehlt, wird die bis zu einer Millionen Euro teure Behandlung pro Einzelfall entschieden. Alexion Pharma hat dagegen den Durchbruch geschafft - den Milliardeneinnahmen mit Soliris sei Dank. Zwei neue Produkte und neue Anwendungsgebiete für Soliris sorgen für reichlich freie Mittelzuflüsse.