Der Fondsmanager, Vermögensverwalter und Autor Gottfried Heller gilt als versierter USA- Kenner. 1963, mit 28 Jahren, wanderte der frischgebackene Ingenieur in die USA aus. In New York lernte er nicht nur seine Frau Margaret kennen, sondern engagierte sich 1968 auch als Wahlhelfer des später ermordeten Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy im New Yorker Stadtteil Bronx. 1969 kehrte Heller nach München zurück und gründete 1971 mit Börsenlegende André Kostolany die Vermögensverwaltung Fiduka. Mit Entsetzen, so berichtet der heute 85-Jährige, habe er die Erstürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger verfolgt: "Trump hat der Welt noch einmal gezeigt, welchen Mob er mobilisiert hat."
€uro am Sonntag: Sie haben auch die Vereidigung von Joe Biden verfolgt - welchen Eindruck hatten Sie da?
Gottfried Heller: Es war eine würdige Einführung, und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen locker und fröhlich. Die Rede war sehr auf Einheit und Zusammenhalt fokussiert. Er will die Risse kitten, und er kann das. Schon als Senator war er bekannt dafür, dass er bei Gesetzesvorhaben praktisch "über den Gang" auch die Republikaner mit ins Boot holen konnte.
Die US-Börsen haben die Amtseinführung mit einem Kursfeuerwerk und neuen Rekorden begleitet. Wie lange hält der Höhenflug an der Wall Street?
Der Höhenflug der US-Börsen wird auf jeden Fall weitergehen. Dafür wird Biden allein schon mit dem 1,9 Billionen Dollar schweren Konjunkturprogramm sorgen. Und statistisch gesehen war die Rendite der Aktien in Zeiten, in denen der Präsident und der Kongress in demokratischen Händen waren wie heute, um zwei bis drei Prozent höher, als wenn die Republikaner an der Macht waren.
Bidens Vorgänger hat das Land gespalten. Wie wird Biden mit dieser Erblast umgehen?
Biden war 36 Jahre im Senat und danach acht Jahre Vizepräsident unter Präsident Barack Obama. Ich halte ihn tatsächlich für am besten geeignet, die aufgewühlten Wogen in der amerikanischen Gesellschaft zu glätten. Zudem hat er dank der Mehrheit im Kongress das Glück, dass er seine Nominierungen für sein Kabinett oder andere Posten ohne große Probleme durchbringen kann.
Sie haben das 1,9-Billionen-Dollar-Konjunkturpaket angesprochen. Was kann er durchsetzen, und welche Branchen werden profitieren?
Ich denke, dass Biden den Großteil der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen von 1,9 Billionen Dollar durchbringen wird. Das dürfte der US-Konjunktur, die zuletzt wieder geschwächelt hat, einen starken Schub geben - und damit vor allem dem zyklischen Aktienbereich. Value-Werte und Small Caps sind deshalb auch in den USA meine Favoriten für 2021.
Die Aktienkurse einiger Branchen haben bereits stark von der Aussicht auf Biden profitiert. Welcher Spielraum besteht da noch?
Biden und seine Berater haben klar gesagt, wo sie den Hebel zuerst umlegen wollen: in der Klimapolitik, bei Infrastrukturausgaben und im Gesundheitswesen. Diese Bereiche werden einen lang anhaltenden Wachstumsschub erhalten, und die Aktien trotz der Kursgewinne davon weiterhin profitieren.
Biden gilt auch als Hoffnungsträger der Cannabis-Branche. Brechen für die börsennotierten Konzerne der Branche goldene Zeiten an?
Die neue US-Regierung wird die Legalisierung von Cannabis vorantreiben und damit vor allem der kanadischen Marihuana-Industrie eine Wachstumsperspektive geben. Allerdings glaube ich nicht, dass das allererste Priorität der neuen Regierung haben wird.
Im Handelskonflikt mit China wird der neue Präsident den harten Kurs seines Vorgängers beibehalten. Welche Folgen hat das für die Europäer?
Biden wird in diesem Kampf ganz sicher Europa mit ins Boot holen. Das wird für die Exportnation Deutschland ein schwieriger Balanceakt, da China einer der größten Handelspartner ist. Es bedarf einer gehörigen Portion Diplomatie, vor allem seitens Bidens, aber auch der Europäer, um China geopolitisch und technologisch in Schach zu halten, ohne die Weltwirtschaft zu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen.
Zurück nach Deutschland. Hier sind die Corona-Beschränkungen gerade noch mal verlängert und verschärft worden. Wie stark belastet das die deutsche Wirtschaft?
Ich rechne damit, dass die Bevölkerung größtenteils in der ersten Jahreshälfte 2021 geimpft sein wird. Dann könnten die Einschränkungen gelockert werden und die Wirtschaft könnte, auch wegen der Nachholeffekte bei Konsum und Investitionen, kräftig durchstarten.
Ein nachhaltiger Aufschwung könnte dann im zweiten Halbjahr einsetzen?
Ich gehe davon aus, dass die Weltwirtschaft bereits Mitte 2020 einen neuen Konjunkturzyklus gestartet hat. Und der wird die Aktienmärkte noch lange Zeit anschieben. Noch nie gab es so massive Geldspritzen durch die Notenbanken und noch nie so immense Konjunkturhilfen durch die Regierungen.
Wie schätzen Sie die Gefahr von Überhitzungen oder Crashs ein?
Ich glaube, dass wir die negativen Auswirkungen erst sehr viel später sehen werden, möglicherweise tatsächlich in einer Überhitzung der Wirtschaft oder einem Wiedererwachen der Inflation. Das wird auch die Börsen belasten. Crashgefahren oder starke Kurseinbrüche sehe ich in naher Zukunft höchstens in einzelnen Branchen, die inzwischen schwindelerregende Bewertungen erreicht haben, aber nicht am Gesamtmarkt.
Was raten Sie Anlegern?
Zu Beginn eines Aufschwungs profitieren immer die Branchen am meisten, die in der Rezession am stärksten gelitten haben, also die zyklischen. Deren Gewinne steigen überdurchschnittlich, viele verlassen die Verlustzone. Diese Entwicklung wird jetzt noch viel ausgeprägter sein als nach früheren Konjunkturwenden. Vor allem, weil die Gewinneinbrüche noch gewaltiger waren und der Ertragshebel im Aufschwung noch größer ist, auch wegen der eingeleiteten Sparprogramme.
Welche Branchen meinen Sie konkret?
Ich rate auch hier, den Schwerpunkt auf Value-Aktien und Small Caps zu verlagern, von Chemie über Konsum, Maschinenbau und Verkehr bis hin zu Rohstoffen und Finanzwerten. Und geografisch sind bei einer Konjunkturwende stets die Aktien von Schwellenländern besonders interessant.
Und Tourismus, Handel, Luftfahrt?
Diese besonders gebeutelten Branchen werden sich ebenfalls erholen, manche vielleicht sogar stark, aber Anleger sollten hier vorsichtig sein. Das Wachstumspotenzial in diesen Sektoren ist nach einer Normalisierung des Lebens vorerst begrenzt - und damit auch für die Aktien aus diesen Bereichen.
INVESTOR-INFO
Fiduka Pro Select-Weltfonds
Mischung aus aller Welt
Der Mischfonds basiert auf einer von Gottfried Heller nach wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelten Anlagestrategie. Sie wird überwiegend mithilfe von börsengehandelten Indexfonds umgesetzt. Im Portfolio finden sich werthaltige, dividendenzahlende Substanzaktien, Nebenwerte und Schwellenländer-Aktien sowie Anleihen. Ziel ist es, durch die globale Streuung eine langfristig überdurchschnittliche Rendite bei begrenztem Risiko zu erzielen. Derzeit sind Nebenwerte im Fonds am stärksten gewichtet.
BGF US Flexible Equity
Flexibel auf Value-Titel setzen
Value-Werte feiern ihr Comeback, doch nach der jahrelangen Durststrecke traut mancher Anleger dem Braten nicht. Manager Todd Burnside investiert für diesen Blackrock-Fonds in Aktien, die entweder wachstums- oder substanzorientierte Merkmale aufweisen, wobei sich der jeweilige Schwerpunkt nach den aktuellen Marktaussichten richtet. Daher enthält sein Portfolio Techwerte, aber auch Zykliker aus dem Industrie- und Konsumsektor.
SPDR Russell 2000 US Small Cap
Eine Menge kleiner Firmen
Small Caps, kleine Unternehmen mit einer geringen Marktkapitalisierung, gelten als riskanter und anfälliger für Kursschwankungen als die riesigen Bluechip-Konzerne. Dafür bieten sie aber auch oft überproportionale Kurssteigerungen. Das Risiko lässt sich durch Streuung reduzieren. Das übernimmt dieser ETF, der die Entwicklung der rund 2000 im Russell 2000 Index enthaltenen US-Small-Cap-Firmen abbildet, mustergültig. Die größte Position, der Casinobetreiber Penn National Gaming, besitzt ein Gewicht von gerade einmal einem halben Prozent. Aussichtsreich.