Nach ausgelassenem Feiern war wohl keinem so recht zumute: Die Queen wurde vergangene Woche 94 Jahre alt. Doch auf die sonst üblichen Salutschüsse und anderen Pomp wurde verzichtet. Zu ernst ist die Lage in Großbritannien. Man hat zwei große Probleme zu bewältigen. Die Corona-Pandemie und den Brexit. Was Letzteres angeht, so wird wieder verhandelt zwischen der EU und dem Königreich - per Videokonferenz. Und das wird ernsthaft vorangetrieben. Wer geglaubt hat, dass die Pandemie Großbritannien dazu bewegt, eine Verlängerung der am 31. Dezember auslaufenden Übergangszeit zu beantragen, sah sich getäuscht. Man will das durchziehen - Corona hin oder her.
Die Pandemie selbst wird auch in UK seit einigen Wochen sehr ernst genommen. Am 23. März war es so weit. Premierminister Boris Johnson verhängte nach langem Zögern den Lockdown, die Ausgangsbeschränkungen, über das Land. Vorgabe: Man solle die eigene Wohnung nur noch in notwendigen Fällen verlassen. Und die Briten halten sich recht gut an die Regeln, spätestens seit Johnson selbst sich mit dem Coronavirus infizierte und einige Tage auf der Intensivstation einer Londoner Klinik verbringen musste.
Die Vorgaben schränken den Alltag deutlich ein. Nur noch zweimal pro Tag darf man die Wohnung verlassen: für notwendige Einkäufe sowie zum Sporttreiben. Ursprünglich bis zum 19. April befristet, wurde der Lockdown nun um zunächst drei Wochen verlängert. Eine partielle Öffnung wie derzeit in Deutschland dürfte im Vereinigten Königreich frühestens in der zweiten Mai-Hälfte zum Thema werden. Denn zuletzt ist die Zahl der Erkrankten auf das höchste Niveau in Europa gestiegen.
Viel Geld von Staat und Notenbank
Dass die Wirtschaft heruntergefahren wird, trifft das Land hart. Für das erste Quartal rechnen Analysten mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums um 7,5 Prozent, und von April bis Juni dürfte der Einbruch gar gut und gern 30 Prozent betragen - ein bislang nie gesehener Absturz. Zum Vergleich: Während der globalen Finanzkrise brach die Konjunktur zwischenzeitlich um vier Prozent ein.
Um die Folgen der Pandemie abzufedern, hat man viele Maßnahmen gestartet. Durch das Job Retention Scheme beispielsweise erhalten freigestellte Angestellte und Arbeiter 80 Prozent ihres Lohns vom Staat. Sieben bis zehn Millionen Arbeitnehmer profitieren davon. Den Staat kostet das allerdings rund 40 Milliarden Pfund. Ungewöhnlich ist auch, dass sich die Regierung bei ihren Programmen von der Bank of England helfen lässt. Die Staatsausgaben werden damit, wenn man so will, praktisch direkt mit der Notenpresse finanziert. Ein starkes Stück.
Die Börse ist wie alle anderen Marktplätze in Europa zunächst gefallen, hat sich aber seit Mitte März wieder etwas erholt. Ob dies allerdings schon ein solider Boden für eine nachhaltige Rally ist, darf bezweifelt werden. In der Vergangenheit war es jedenfalls so, dass der Leitindex FTSE bei einer Rezession eine längere Durststrecke hinter sich bringen musste.
Trotzdem gibt es auch in Großbritannien Aktien, die ein Investment auf längere Sicht lohnenswert machen. So ist Ocado Group interessant. Der Online-Supermarkt bezeichnet sich selbst als den "weltweit größten engagierten Online-Lebensmitteleinzelhändler". Im Gegensatz zu seinen Hauptkonkurrenten hat das Unternehmen keinerlei Filialen und liefert direkt von seinen Lagern an die Haushalte aus. Ocado nutzt dafür eine selbst entwickelte Software, die der Konzern inzwischen auch im Ausland vermarktet: So gibt es etwa einen Deal mit der US-Supermarktkette Kroger und mit Frankreichs Einzelhandelsunternehmen Groupe Casino.
Bisher hat Ocado vor allem Lebensmittel der Eigenmarke der Supermarktkette Waitrose vertrieben sowie Waren der eigenen Marke Ocado. Ab September stellt man aber von Waitrose auf Produkte von Marks & Spencer um, also auf höherpreisige und damit margenstärkere Waren. Spannend sind auch die robotisierten Lagerhäuser des Unternehmens. Diese werden sogar von der heimischen Konkurrenz genutzt - etwa von WM Morrison Supermarkets für deren Onlineversand.
Sagrotan to the rescue
Interessant ist seit einiger Zeit auch wieder Reckitt Benckiser. Bekannt ist das Unternehmen vor allem für Sagrotan - das meistverkaufte Desinfektionsmittel Deutschlands. In den USA wird das Mittel unter dem Namen Lysol verkauft, auf dem Weltmarkt ist es als Dettol bekannt. Lebhafte Nachfrage nach Kernprodukten wie Sagrotan kann Reckitt gut gebrauchen. Im vergangenen Jahr machte man 3,7 Milliarden Pfund Verlust, weil fünf Milliarden Pfund auf den zugekauften Babynahrungshersteller Mead Johnson abgeschrieben wurden. Doch man krempelt den Laden jetzt um. Beim aktuellen Konzernumbau stünden alle Sparten auf dem Prüfstand, sagt der neue Reckitt-Chef Laxman Narasimhan. Mit möglicherweise drastischen Konsequenzen: Sollte die Sanierung im Ernährungsgeschäft nicht klappen, könnte die Sparte zum Verkauf stehen. Auf längere Sicht könnte Reckitt Benckiser dann als Hersteller von Hustenmedizin, Vitaminen und Schmerzmitteln daraus Nutzen ziehen, dass Verbraucher künftig wohl stärker auf Hygiene und Gesundheit achten.