Die Kurse von Immobilienunternehmen sind nach den Zinsentscheidungen von EZB und FED deutlich gesunken. Warum antizyklische Investments sich hier langfristig auszahlen können, erklärt Immobilienexperte Christian Kadel Von Stefan Rullkötter
BÖRSE ONLINE: Ist der Boden bei börsennotierten Immobilienkonzernen erreicht - oder werden deren Börsenkurse in der nächsten Zeit weiter sinken?
Christian Kadel: Die aktuell stark gesunkenen Kurse für Immobilien-Aktien führen zu einer Kapitalmarktbewertung deutlich unter dem jeweiligen Net Asset Value. Wie in vergleichbaren früheren Marktphasen sehen wir hier eine Überreaktion der Börsen, die für Investoren auch Chancen bietet. Die aktuelle Situation kann für manche ein guter Zeitpunkt zum Einstieg in den Kapitalmarkt darstellen. Wer jetzt einsteigt, sollte allerdings Geduld und gute Nerven mitbringen. Es kann durchaus zunächst noch weiter abwärts gehen, und der dann folgende Anstieg der Kurse kann eine Weile auf sich warten lassen.
Die Immobilienklasse Hotel ist in Pandemie-Zeiten schwer unter die Räder gekommen und hat sich bisher kaum erholt. Könnten sich speziell in diesem Segment Investments zum gegenwärtigen Zeitpunkt lohnen?
Im Einzelfall ja. Investoren sollten jedes Objekt oder Portfolio für sich gesehen genau unter die Lupe nehmen und im Blick auf seine Potenziale überprüfen. Generell hat sich die Stimmung am Hotelinvestmentmarkt im Vergleich zur Anfangszeit der Pandemie wieder deutlich gebessert. Investments generieren wieder entsprechende Cashflows - Investoren sollten einen Wiedereinstieg rechtzeitig prüfen, um Chancen zu nutzen.
Worauf kommt es dabei im Detail an?
Eine Weiterführung als Hotel kann von Fall zu Fall genauso eine Option sein wie eine Umwidmung der Immobilie. Spektakulär zum Beispiel, weil weltbekannt, ist das InterContinental in Rom. Das Objekt wurde komplett umgebaut und beherbergt jetzt ausschließlich Luxuswohnungen. In Deutschland wird oft auch eine Konversion in Büro wie das Ellington Berlin oder in Services Apartments wie das Novotel Hamburg vorgenommen.
Nach welchen Immobilien halten Institutionelle derzeit Ausschau?
Im Fokus der Investorennachfrage stehen nach wie vor Büroimmobilien im Core-Segment oder mit Wertsteigerungspotenzialen, die sich besonders gut als Inflationsschutz eignen. Ebenfalls beliebt sind Investitionen im Lebensmitteleinzelhandel- sowie im Logistikbereich. Wohnimmobilien bleiben attraktive Investments. Und auf lange Sicht - was könnte sicherer sein als das Investment in bezahlbaren Wohnraum. Denn der wird immer gefragt bleiben.
Welche Auswirkungen haben die Themem Nachhaltigkeit und ESG-Regulatorik auf Bestandsimmobilien und Neubauten?
Bei Neubauten gehört die Berücksichtigung energetischer Kriterien schon in den Planungsprozess und ist insofern baulich und technisch unproblematisch zu bewerkstelligen. Nachfrageseitig liegen Neubauten daher weit vorne. Ganz anders sieht das bei Bestandsimmobilien aus. Denn die müssen unter energetischen Gesichtspunkten analysiert, neu bewertet und in der Regel grundlegend energetisch ertüchtigt werden.
Was meinen Sie damit konkret?
Genau deshalb bieten stringente Manage-to-core/green-Strategien auch immense Wertschöpfungspotenziale. Werden erst graue Emissionen mitberücksichtigt, also die CO2-Emissionen, die bereits beim Bauprozess entstehen, oder aber eine CO2 Steuer auf zukünftige Neubauten für Abriss und Neubau erhoben, wird sich die Bedeutung von Bestand noch einmal deutlich wandeln. Unter diesem Gesichtspunkt, der in der aktuellen Regulatorik und Bewertung noch kaum beachtet wird, sind Bestandsbauten fast ohne Ausnahme nachhaltiger als Neubau.
Zur Person:
Christian Kadel FRICS ist seit 2018 Geschäftsführer bei Colliers in Deutschland und verantwortet seitdem als Head of Capital Markets das Investmentgeschäft. Er hat in Frankreich, den USA und Östrich-Winkel studiert und ist seit fast 20 Jahren in verschiedenen Funktionen in der Immobilienbranche tätig.