Aber es komme vielleicht der Punkt, an dem man sich eingestehen müsse, dass man nicht weiterkomme. Es gebe Grenzen, die eine unabhängige Regierung nicht überschreiten könne. Mit Blick auf ein geplantes persönliches Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte Johnson, man werde sehen, wie weit man in den nächsten Tagen komme.
EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte, erforderlich sei jetzt "eine Schule der Geduld, sogar eine Universität der Geduld". Am Donnerstag und Freitag tagen die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Erwartet wurde, dass Johnson noch vor diesem Termin mit von der Leyen zusammenkommen könnte. Auf dem Gipfel könnte eine Einigung dann von den 27 Mitgliedstaaten bestätigt werden. Vor allem Frankreich hat aber aufgrund der künftigen Fangquoten in der Fischerei bereits mit seinem Veto gedroht. Europaminister Clement Beaune bekräftigte am Dienstag, Frankreich werde niemals seine Fischer "opfern".
Der deutsche Europaminister Michael Roth forderte von der britischen Regierung ein Einlenken. "Wir wollen ein Abkommen, aber nicht um jeden Preis", sagte der SPD-Politiker vor den Beratungen der Europaminister der EU-Staaten in Brüssel. Es gehe auch darum, ob es weiter vertrauensvolle Beziehungen mit Großbritannien geben werde. Derzeit gebe es aber keine substanziellen Fortschritte. Sollte es in den nächsten Tagen nicht zu einer Einigung zwischen der EU und Großbritannien samt Freihandelsabkommen kommen, droht Anfang 2021 ein harter Bruch mit größeren Verwerfungen für die Wirtschaft. Die Zeit drängt auch, weil die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament einen Vertrag noch ratifizieren müssten.
"DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH EBEN DEUTLICH MEHR"
Laut einer Daten-Auswertung des Münchner Ifo-Instituts würde ein harter Brexit Großbritannien wirtschaftlich wesentlich härter treffen als die EU. "Beide Seiten verlieren beim Brexit, nur das Vereinigte Königreich eben deutlich mehr. Ein Handelsabkommen ab 1. Januar liegt im beiderseitigen Interesse", sagte Ifo-Außenhandelsexpertin Lisandra Flach. Im Jahr 2019 wickelte Großbritannien den Angaben zufolge 50 Prozent seiner Importe und 47 Prozent seiner Exporte mit der EU ab. Damit ist die Europäische Union der größte Markt für die Briten. Für die EU hingegen ist Großbritannien im Handel weniger relevant: Im Jahr 2019 gingen nur vier Prozent der Exporte dorthin und sechs Prozent der Importe kamen von der Insel. Großbritannien war Ende Januar offiziell aus der EU ausgetreten, der das Königreich seit 1973 angehört hatte. Am 31. Dezember endet die Übergangsphase, in der Großbritannien noch EU-Regeln anwenden muss und Zugang zum EU-Binnenmarkt hat.
rtr