Einst waren die Energieversorger absolute Schwergewichte im DAX, dank dicker Dividendenzahlungen zählten sie zu den Standardtiteln in den Depots deutscher Anleger. Doch dann kamen Wettbewerbsauflagen durch die Europäische Union und die politisch-ideologisch erklärte Energiewende. RWE oder die aus Veba und Viag entstandene Eon wirkten wie aus der Zeit gefallene Dinosaurier und verschwanden aus dem Fokus der Anleger. Doch gerade in der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Rezession zeigen die Aktien der Versorger ihre Qualitäten.

RWE hat zwar nicht einmal mehr die Hälfte der Indexgewichtung etwa des Sportartiklers Adidas, und der Wohnungsriese Vonovia zählt im DAX mehr als Eon. Doch die Kurse der Versorger zeigten sich beim Ausbruch der Pandemie widerstandsfähiger als die anderer Branchen und haben Verluste auch gut aufgeholt. Zudem dürften durch die Fiskalpolitik der Europäischen Zentralbank die Zinsen auf lange Sicht nahe null liegen, was die dividendenstarken Versorger wieder attraktiver für Investoren macht.

Dass die deutsche Energiewirtschaft relativ robust durch den Lockdown gekommen ist, hielt RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz jüngst jedoch nicht davon ab, staatliche Hilfe bei der Verbilligung von Strom zu fordern. "Strom ist die Energie der Zukunft. Deshalb brauchen wir eine Entlastung bei den Preisen. Mehr als die Hälfte davon sind Steuern und Umlagen", klagte Schmitz. Tatsächlich erfüllte die Berliner Koalition ihm diesen Wunsch im neuen Konjunkturprogramm, das sowohl eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer als auch eine Deckelung der sogenannten EEG-Umlage vorsieht.

Eigentlich müsste Schmitz die weitere Senkung der EEG-Umlage - sie soll zur Finanzierung des Ausbaus erneuerbarer Energien dienen und ist eine Zwangsabgabe für den Verbraucher - kritisieren. Denn im Zuge der Übernahme von Innogy durch Eon hat RWE die erneuerbaren Energien von Eon übernommen und bekommt die Windparks und Solaranlagen von Innogy noch dazu. Die Regierung in Berlin dürfte jedoch in Bälde eine Deckelung des Ausbaus der Photovoltaik aufheben und lässt bereits mehr Offshore-Windenergie zu.

Ohnehin spielen die erneuerbaren Energien bei den Versorgern in ganz Europa eine große Rolle. In Deutschland hat die Politik die Alternativen sogar so gefördert und durch den beschlossenen Ausstieg aus der Kernkraft sowie auf längere Sicht aus der Kohle die Grundversorgung so geschwächt, dass bei Flaute oder während der Nacht zunehmend Strom aus dem Ausland zugekauft werden muss. Das schmälert nicht zwingend die Renditen der deutschen Energieerzeuger, die ja auch am Handel verdienen. Die Zeche aber zahlt letztlich der Verbraucher, also die Industrie und die privaten Haushalte.

Umso mehr ergibt es Sinn, als privater Anleger das Depot um Versorger zu ergänzen - und dabei auch über die Landesgrenzen hinauszublicken. Die Papiere bieten gerade in den unsicheren Zeiten der aktuellen Covid-19-Pandemie relative Sicherheit. Das war auch in der Finanzkrise der Fall: Während etwa der marktbreite Aktienindex MSCI World 2008 gut 42 Prozent an Wert verlor, waren es beim Versorgerindex MSCI World Utilities nur gut 30 Prozent. Danach setzte eine kontinuierliche Erholung der Kurse ein.

Noch im Januar notierten etliche Aktien der Energiebranche auf ihren Höchstständen. Dass die Bewertungen anschließend zurückgingen, lag zunächst an Streitigkeiten innerhalb der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC). Die Mitglieder konnten sich nicht auf Förderquoten einigen und schickten damit den Ölpreis und in der Folge auch den Gaspreis in den Keller. Der Öl- und Gashandel aber ist bei vielen Versorgern wichtiger Bestandteil des Geschäfts. Vorteile bei der Rohstoffversorgung der Kraftwerke konnten die sinkenden Margen nicht ausgleichen.

Mit der Ausbreitung des Coronavirus in der westlichen Welt kam es dann zum tiefen Kurssturz an den Börsen, der auch die Versorger traf. Doch deren Aktienkurse berappelten sich trotz des Shutdowns in weiten Teilen der Industrie. Hinzu kommt, dass sich der Konflikt innerhalb der OPEC entschärft hat und die Ölpreise wieder steigen. Das schiebt die Kurse parallel zum Wiederanfahren der Industrie an. Im Zwölfmonatsvergleich haben die Notierungen der Versorger schon jetzt um einen hohen einstelligen, meist aber bereits zweistelligen Prozentbetrag zugelegt.

Mit der weitreichenden Neuordnung der Energiebranche in Deutschland dürften Eon als Netzbetreiber und RWE als Energieerzeuger ihre Bedeutung im DAX wieder vergrößern. Allerdings unterliegt die Energiewirtschaft hierzulande weiter politischen Risiken. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen ab 2021 etwa würde ihr wohl zusetzen.

Von solchen Risiken weniger betroffen sind Versorger in den europäischen Nachbarländern. In Wien etwa regieren die Grünen zwar mit, doch zum einen ist die börsennotierte Energieversorgung Niederösterreich (EVN) mehrheitlich in Landesbesitz, zum anderen gewinnt sie ihren Strom hauptsächlich aus Wasserkraft.

Anders die tschechische CEZ Group: Sie verfügt über viel Wasserkraft und große Windparks, auch im benachbarten Polen. Doch CEZ betreibt auch den umstrittenen, da anfälligen Atommeiler Temelin. Wer keine ideologischen Berührungsängste hat, kann die hierzulande wenig gehandelte Aktie gut als Depotbeimischung einsammeln.

Erhebliches Kurspotenzial

Zu den ganz großen Energieversorgern Europas gehört die spanische Iberdrola, die zum einen gut vier Prozent Dividendenrendite bietet, zum anderen das Anlegergewissen auch mit einem extrem hohen Anteil an alternativen Energien im Angebotsmix schont. Solar- und Windkraft sorgen nicht nur auf der iberischen Halbinsel für Einnahmen, sondern auch in den Iberdrola-Beteiligungen in Nord- und Südamerika.

Einen hohen Anteil an Wasser- und Windkraft, insbesondere an OffshoreAnlagen, darf sich auch die schottische SSE ans Revier heften. Dass trotz der staatlichen Strompreisdeckelung in Großbritannien die Gewinne stimmen, macht die Aktie umso attraktiver. Zur Ergänzung bietet sich der dividendenstarke Netzbetreiber National Grid von der Insel an. Bisher wenig Aufmerksamkeit seitens deutscher Anleger bekommt das Papier von Energias de Portugal (EDP), bei Analysten steht die Aktie aber hoch im Kurs. Sie trauen dem Titel erhebliches Kurspotenzial zu.

Doch allein schon die Dividendenrenditen machen viele Versorgeraktien zu einer attraktiven Anlage.
 


INVESTOR-INFO

RWE

Reichlich Kohle und mehr

Weil sogar Braunkohlekraftwerke einen höheren Wirkungsgrad haben als etwa Windräder oder Solarpanels, steht RWE zu seinem Tagebau. Doch mit dem endgültigen Übergang der Tochter Innogy an Eon sind die Essener nun auch führend bei alternativen Energien. Dividendenrendite, günstige Bewertung, vergleichsweise niedrige Verschuldung: All dies spricht für die Aktie. Kaufen.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 35,00 Euro
Stoppkurs: 25,00 Euro

Eon

Netzwerker und Händler

Die von RWE übernommene Innogy wird von der Börse genommen. Die in Uniper ausgegliederte Energieerzeugung liegt praktisch bei der finnischen Fortum. Mit dem Abschalten des letzten Atomkraftwerks 2022 wird aus Eon ein Betreiber von Stromnetzen und ein Händler von Strom und Gas mit 50 Millionen Kunden in 15 Ländern. Das Geschäftsmodell ist aussichtsreich, die Dividende wohl auch 2021 attraktiv. Für Langfristanleger.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 12,00 Euro
Stoppkurs: 8,30 Euro

Energias de Portugal

Südeuropäer mit Gewinn

EDP ist mit Beteiligungen in Spanien, Polen oder Rumänien, aber auch in Nord- und Südamerika breit aufgestellt. Obwohl der Umsatz im ersten Quartal zurückging, stieg das Ergebnis im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 25 Prozent. Auf Zwölfmonatssicht hat der Aktienkurs um mehr als ein Drittel zugelegt. Das Papier des portugiesischen Energieversorgers - ein Großaktionär ist übrigens China - ist damit nicht mehr wirklich günstig. Die Dividendenrendite ist attraktiv.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 4,90 Euro
Stoppkurs: 3,40 Euro