BÖRSE ONLINE: Der Bitcoin-Kurs hat am Dienstag ein neues Rekordhoch bei 19.929,75 US-Dollar erreicht und schrammte damit knapp an der 20.000 Dollar-Marke vorbei. Was sind derzeit Kurstreiber?
Timo Emden: Die Anleger befinden sich im Höhenrausch und lechzen nun nach unbekanntem Territorium. Vor diesem Hintergrund nährt sich die Hausse ein Stück weit von selbst. Viele Spekulanten haben lediglich Angst, etwas zu verpassen und springen blind auf den Kurs auf. Doch die Rallye ist bis dato nicht mit der aus dem Jahr 2017/2018 zu vergleichen: Der Bitcoin ist erwachsener geworden und auf dem besten Weg, endgültig seine Kinderschuhe zu verlassen. Zahlreiche fundamentale Entwicklungen spielen dem Bitcoin seit Monaten in die Karten. Daneben blieben Hiobsbotschaften aus.
1.) Paypal
Dass PayPal in der Krypto-Branche Fuß fassen will, erweist sich als Ritterschlag. Paypal-Kunden sollen ausgewählte Währungen wie Bitcoin, Ether, Bitcoin Cash oder Litecoin auf der Plattform verwenden können. Für die Branche erweist sich diese Neuigkeit als absoluter Glücksgriff. Angesichts der Corona-Pandemie sehen sich Staaten und Unternehmen weiterhin gezwungen, ein Umdenken im digitalen Zahlungsverkehr einzuleiten. Der Startschuss für die nächste Runde im Wettrennen in der Ära digitaler Währungen ist längst gefallen. Für die Branche könnte der Einstieg Paypals in das Krypto-Geschäft zudem Signalwirkung für andere Unternehmen haben, welche bereits schon länger über die Implementierung digitaler Währungen grübeln. Diese könnten sich nun ermutigt fühlen.Der Eintritt Paypals in das Geschäft der digitalen Gelder darf bereits jetzt als das Highlight des Jahres angesehen werden.
2.) Debatten um digitale Staatswährungen
Während der Globus über digitale Staatswährungen und den Einsatz einer digitalen Währung rätselt, können Bitcoin und Co. wieder vermehrt Aufmerksamkeit gewinnen, was die Preisfantasien der Anleger am Leben hält. Dass wichtige Notenbanken wie die Fed oder die EZB womöglich Pläne schmieden und mit der Implementierung eigener digitaler Währungen liebäugeln, lenkt das Interesse der Investoren ungewollt auf Bitcoin und Co. Die Debatten sind gleichzeitig bestes Marketing für bestehende Kryptowährungen. Vor dem Hintergrund, dass die EZB Mitte 2021 eine Entscheidung über die Einführung einer E-Währung treffen will, könnten die anhaltenden Spekulationen dem Bitcoin tendenziell weiter Rückenwind verleihen.
3.) Die Coronavirus-Pandemie
Viele Anleger versuchen angesichts des grassierenden Coronavirus nach wie vor ihre Depots zu diversifizieren. Dazu gehören offensichtlich auch Kryptowährungen. Denn trotz möglicher Impfstoff-Hoffnungen bleiben die Pandemie-Risiken akut. Mittlerweile haben sich Kryptowährungen zu einer vielerorts anerkannten Assetklasse hocharbeiten können. Für zahlreiche Anleger wird der Bitcoin als vermeintlich "sicherer Hafen" oder als "digitales Gold" angesehen.
Auf der anderen Seite wird der Bitcoin wieder vermehrt als Hedge- und Diversifikations-Instrument wahrgenommen. Die gigantischen Hilfsprogramme der hiesigen Notenbanken dürften zudem die Inflationsrisiken größer werden lassen. Hier suchen Anleger vermehrt Zufluchtsorte, um sich gegen Wertrisiken zu stemmen.
4.) Das Bitcoin Halving
Das im Frühjahr vollzogene Bitcoin-Halving entfaltet rund ein halbes Jahr später nach und nach seine Wirkung. Die Angebotsmenge wurde künstlich reduziert. Dies sorgt auf mittel- und langfristige Sicht für eine Angebotsverknappung. Während die Entwicklung der Geldmenge angepasst und reduziert wurde, erhöhen die Zentralbanken zum Vergleich ihre Bestände.
Was fasziniert Anleger an Bitcoin?
Der Bitcoin ist und bleibt auch im Jahr 2020 zum größten Teil Spekulationsobjekt. Auf der einen Seite sind es die fulminanten Kursaufstiege, welche zahlreiche Laien auf den Plan rufen. Auf der anderen Seite ist es die Suche nach Anlagealternativen von Profi-Anlegern, welche in erster Linie an neuen Technologien aber letztendlich auch an möglichen Renditen interessiert sind. Das Mainstream-Interesse ist längst nicht auf dem Niveau, wie vor drei Jahren. Einige Privatanleger haben aus dem gigantischen Kurseinbruch ihre Lehren gezogen und lassen bis heute die Finger von Kryptowährungen.
Nach dem neuen Rekordhoch nahmen Anleger die Gewinne mit und es ging sechs Prozent nach unten. Was würde es bedeuten, wenn die Krypto-Währung den Widerstand bei 20.000 Dollar hinter sich lassen würde?
Aus technischer Sicht wäre das in erster Linie eine Bestätigung des seit März bestehenden übergeordneten Aufwärtstrends. In diesem Szenario rechne ich zudem mit einer noch weiter anziehenden Volatilität. Dies dürfte weiter Machtkämpfe zwischen großen und kleinen Adressen auslösen. Im Falle einer nachhaltigen Eroberung der 20.000-Dollar-Marke dürften sich Anleger zunächst in Tausenderschritten vorwärtsbewegen. Gerade auf runde respektive mentale Marken wie die von 20.000 Dollar, reagieren Anleger äußerst sensibel. Dies dürfte sich auch in Zukunft weiter fortsetzen.
Einige Analysten nennen für den Bitcoin Kursziele von über 300.000 Dollar. Halten Sie das für realistisch?
Derartige Ziele halte ich schlichtweg für unseriös und letztendlich auch schädigend für die gesamte Branche. In erster Linie sind diese Kursziele für womöglich weniger erfahrene Anleger irreführend. Theorie und Praxis klaffen wie so oft auch hier auseinander.
Die Investoren sollten sich nicht nur mit der Oberseite, sondern in erster Linie auch mit der Unterseite, sprich mit den Abwärtsrisiken beschäftigen. Ein Investment in Bitcoin und Co. birgt jederzeit die Gefahr eines Totalverlustes. Mögliche Schwankungen bzw. Buchverluste auszusitzen ist gerade für Privatanleger ein schwieriges Unterfangen.
Was würden solche Kurse für den Krypto-Markt bedeuten?
Derartige Preise dürften das Interesse der Anleger nochmal erhöhen und sukzessive weitere Käufergruppen anziehen. Gleichzeitig dürfte dies aber auch vermehrt Regulierungsbehörden und Aufseher hellhörig werden lassen. In erster Linie gilt es hier den Anleger zu schützen. Weitere Regulierungsdebatten, welche von Verboten bis hin zu starken Einschränkungen reichen dürften, sollten dann nicht lange auf sich warten lassen.
Maximal können 21 Millionen Bitcoin geschaffen werden, derzeit gibt es 18,5 Millionen. Die Angebotsknappheit wird durch den Einstieg von Zahlungsdienstleistern wie Paypal verstärkt. Sind solche Zahlungsdienstleister also eine Gefahr für die Cyberdevise?
Im Gegenteil: Unternehmen wie Paypal sind Balsam für die gesamte Krypto-Branche. Paypal dürfte weniger ein spekulatives Interesse besitzen, sondern Crypto Assets auf längere Zeit lediglich halten und somit tendenziell die Märkte beruhigen. Nicht zuletzt der Imagegewinn, welche Bitcoin und Co. durch den Einstieg Paypals in die Krypto-Branche gewonnen haben, ist unbezahlbar. Dies gilt bis heute als Ritterschlag.
Nach dem Rekordhoch im Dezember 2017 fiel der Bitcoin-Kurs rapide - bis auf knapp über 3.000 US-Dollar im Dezember 2018. Droht dieses Szenario auch jetzt wieder?
Dieses Szenario ist auch diesmal möglich, halte ich aber für weniger wahrscheinlich. Da die Rallye weniger spekulativen Charakter besitzt und verstärkt langfristig orientierte Händler ein Auge auf Bitcoin und Co. werfen, bleiben die Kurseinbrüche trotz der äußerst ambitionierten Kurshöhen überschaubar.
Rücksetzer werden derzeit postwendend als Wiedereinstieg in den Markt wahrgenommen, was für eine relative Stärke spricht. Ganz ausschließen möchte ich ein Crash-Szenario an dieser Stelle aber nicht: Der Bitcoin ist und bleibt unberechenbar und nicht für jedermann geeignet.
Was ist jetzt anders als vor drei Jahren?
Der Bitcoin steigt auf ein neues Rekordhoch, aber nur wenige interessiert dieses neue Stück Geschichte. Wie bereits erwähnt wagen sich viele Privatanleger nach dem Kurscrash von vor drei Jahren nicht mehr an Kryptowährungen heran, sondern bleiben als stille Beobachter hinter der Seitenlinie.
Das Interesse institutioneller Größen ist stark angestiegen und liegt unter anderem auch dort begründet, dass der Bitcoin immer mehr an der Wallstreet angekommen ist und endlich ernstgenommen wird.
Aus fundamentaler Sicht haben wir es zudem in diesem Jahr mit der Coronavirus-Pandemie zu tun, welche für jeden Neuland darstellen und ein Umdenken in Bezug auf Investmententscheidungen erfordert. Als der größte Gewinner aus der Coronaviruskrise geht bereits jetzt der Bitcoin hervor.
Auch die sogenannten Altcoins wie Ethereum oder Ripple haben dieses Jahr deutlich zugelegt. Was sind die Gründe?
In erster Linie sind Altcoins wie Ether oder Ripple Nutznießer der als "Leitwährung" angesehenen Devise, dem Bitcoin. Steigt der Bitcoin, können auch Währungen aus den zweiten und dritten Reihen steigen.
Ether hat in den vergangenen Wochen jedoch auch noch von einer weiteren wichtigen technischen Ankündigung profitieren können. Mit Ethereum 2.0 steht bis dato das womöglich ambitionierteste Upgrade vor der Tür. Die Ethereum Blockchain soll damit langfristig vor allem sich in puncto Transaktionsvolumen signifikant verbessern. Diese technische Neuerung gefällt den Anleger offensichtlich.