Dieser Mix ist offenkundig effektiv: Rund ein Jahr nach dem Zusammenschluss von Linde mit der amerikanischen Praxair erntet deren ehemaliger Chef, Steve Angel, die Früchte der größten Fusion bei Industriegasen. Soeben erhöhte Linde erneut die Gewinnprognose für das laufende Jahr. Zwischen 7,25 und 7,30 Euro pro Aktie soll der Konzern 2019 verdienen. Das entspräche einem Plus von 17 bis 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Schon im Sommer hatte die weltweite Nummer 1, die inzwischen in den USA sitzt, die Messlatte höher gelegt.
Der operativ seit März, nach dem Okay der Kartellwächter, wirksame Merger beschleunigt den operativen Cashflow spürbar. Im dritten Quartal lag der Mittelzufluss mit 1,87 Milliarden Dollar um 86 Prozent über dem Vorquartal. Im Jahresvergleich schwoll der Geldstrom sogar um eine Milliarde Dollar an. Angel lobt den neuen Gaseriesen in den höchsten Tönen: "Das Team hat erneut starke Ergebnisse abgeliefert. Der Cashflow ist deutlich gestiegen, wir haben die operative Marge um 270 Basispunkte gesteigert, die Gewinne pro Aktie sind um 26 Prozent geklettert", so der Chef.
Angesichts des weltweiten Konjunkturabschwungs und des zyklischen Charakters des Geschäfts wirkt das tatsächlich beeindruckend. Der hohe Gewinnzuwachs ist dabei jedoch auch auf die Umsetzung von Sparpotenzialen zurückzuführen. Die bisherige Konzernzentrale der alten Linde AG in der Münchner Innenstadt etwa wird bis Ende des Jahres geschlossen, allein in Deutschland werden rund 850 Jobs abgebaut.
Das Umsatzwachstum konnte denn auch mit dem Zuwachs des Gewinns bei Weitem nicht mithalten: Bereinigt um Währungseffekte wuchs Linde insgesamt um vier Prozent auf rund sieben Milliarden Dollar. Ohne die Bereinigung schrumpfte das Geschäftsvolumen sogar leicht.
Nur US-Geschäft wächst
Linde wird zusehends von der robusten US-Konjunktur abhängig - und damit vor allem vom alten Praxair-Geschäft. In Amerika zog das Geschäftsvolumen um fünf Prozent an, in Asien und Europa hingegen sank es. In der Sparte Engineering ist die Konjunkturabhängigkeit augenscheinlich. Der Anlagenbau litt unter der Investitionszurückhaltung und verlor im Jahresvergleich 15 Prozent Umsatz, er trägt allerdings mit 670 Millionen Dollar weniger als zehn Prozent zum Konzerngeschäft bei.
Gleichwohl steigt die Sorge, dass Linde mit den aktuellen Ergebnissen einen Gipfel erreicht haben könnte. Das Unternehmen rechnet für das laufende vierte Quartal mit einem sinkenden Gewinn pro Aktie , obwohl der Zeitraum laut Experten stets der saisonal stärkste war. Auch bei den Auftragseingängen könnte ein negativer Trend starten: Der Orderbestand hat sich im Vergleich zum Vorjahr mit 4,9 Milliarden Dollar um sieben Prozent verringert, was vor allem daran lag, dass der Auftragseingang von Juli bis September um knapp 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf gut 800 Millionen Dollar sank. Laut Experten ist das ungewöhnlich. "Das zweite Halbjahr ist in der Regel besonders stark bei Linde", so Analyst Markus Mayer von Baader Helvea.
Klub der DAX-Riesen
Die Aktie notiert gleichwohl auf einem neuen Allzeithoch. Der DAX-Konzern hat eine Marktkapitalisierung von 100 Milliarden Euro erreicht - als zweites Unternehmen im Leitindex nach dem Softwarekonzern SAP. Für die Mitgliedschaft im exklusiven Club gibt es, neben den Prognoseerhöhungen, allerdings einen weiteren gewichtigen Grund: In den ersten neun Monaten kaufte Linde eigene Aktien für zwei Milliarden Dollar zurück, weitere Milliardenrückkäufe folgen.
Das Rekordvolumen ist auch ein Faktor bei der erneuten Prognoseerhöhung: Die Zahl der gehandelten Papiere sinkt wegen der Rückkäufe spürbar. Und so steigt der Gewinn pro Aktie.
Rekorde: Die Prognoseerhöhung wird auch durch Rückkäufe möglich. Fundamental fragil und sehr teuer. Wir stufen auf "Halten" ab.
Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 210,00 Euro
Stoppkurs: 159,00 Euro