Dabei hat die Notenbank insbesondere kleinere und mittelgroße Firmen im Blick, die wegen der Virus-Krise in Bedrängnis geraten. Die Euro-Wächter kündigten darüber hinaus an, bis zum Jahresende zusätzlich Anleihen im Volumen von 120 Milliarden Euro zu kaufen. Ökonomen und Wirtschaftsexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:

HELMUT SCHLEWEIS, SPARKASSEN-PRÄSIDENT:


"Es ist gut, dass die EZB nicht einfach die Zinsen senkt, sondern dass 'schonend' mit den Marktteilnehmern und dem für die Transmission wichtigen Bankensektor umgegangen wird: Zusätzliche Langfristender und das Nachbessern der Konditionen der TLTROs um 25 Basispunkte machen diese Finanzierungen sehr attraktiv. Die Unterstützung der Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen ist von der Zielrichtung her richtig, wenngleich hier derzeit eher die Risikosituation als die Refinanzierung das Problem darstellt.

Wir sollten uns aber davor hüten, zu glauben, dass die Geldpolitik in der aktuellen Lage viel bewirken kann. Mehr Geld für alle hilft nicht gegen Produktionsausfälle infolge von Werkschließungen, bei Lücken in den Lieferketten oder bei vielen besonders betroffenen Dienstleistern, die ihr wegfallendes Geschäft nicht nachholen können. Ich glaube, dass die Politik ihren Handlungsbedarf bereits erkannt hat. Sie kann zielgerichteter helfen und die betroffenen Unternehmen und Branchen mit Überbrückungen stützen. Dass die Geldpolitik ihre Grenzen erreicht hat, ist an den Aktienmärkten ablesbar."

DANIEL HARTMANN, CHEFÖKONOM BANTLEON BANK:


"Angesichts des sich mittlerweile abzeichnenden Wachstumseinbruchs in der Euro-Zone - schwerste Rezession seit der Lehman-Pleite - , gehen wir davon aus, dass die EZB noch nachlegen muss. Es dürfte zumindest eine Leitzinssenkung um 10 Basispunkte noch kommen und auch das QE-Programm sollte noch aufgestockt werden. Selbst den Ankauf von Aktien (über ETFs) wollen wir nicht ausschließen."

CHRISTOPH KUTT, LEITER ZINSSTRATEGIE DZ BANK:


"Insgesamt ist das ein sehr ordentliches Paket, das man schon fast in die Nähe von "Whatever it takes 2.0" stellen kann. Dabei war die EZB klug genug, den Einlagensatz nicht zu senken, womit eigentlich gerechnet wurde. Doch scheint man zu der Erkenntnis gekommen zu sein, dass die Effekte eher nachteilig gewesen wären. Die Marktreaktionen sind relativ enttäuschend. Damit ist letzten Endes das passiert, was wir schon erwartet hatten. Die EZB konnte nur enttäuschen, nachdem der Markt nichts anderes als ein Wunder erwartet hatte. Auch stehen der EZB inzwischen nur noch begrenzte Mittel zur Verfügung - auch darüber scheint sich der Markt nun bewusstzuwerden. Jetzt heißt es, sich der Realität klarzuwerden, dass Geldpolitik keine Grippe heilt. Sie kann nur helfen, den Schlag der Corona-Pandemie abzuschwächen und die Fiskalpolitik sowie Unternehmen über den Bankensektor stützen."

JÖRG ZEUNER, CHEFÖKONOM UNION INVESTMENT:


"Christine Lagarde versteht es, in schwierigen Zeiten rasch und mutig zu handeln. Statt sich zu sinnlosen Zinssenkungen verleiten zu lassen, zielen die heute beschlossenen Maßnahmen darauf ab, die europäischen Unternehmen in der schwierigen Situation zu stützen. Das ist ein ermutigendes Zeichen und sollte helfen, ungewollte Zweitrundeneffekte zu vermeiden. Denn mit ihren Maßnahmen hilft die EZB, konjunkturelle Risiken, die sich im Zuge von Kapitalmarktverwerfungen einstellen könnten, entscheidend abzumildern. Die EZB hätte aber noch mehr tun können: Eine stärkere Risikoübernahme durch eine noch mutigere Erhöhung des Ankaufsprogramms wäre eine große Hilfe gewesen. Auf nachhaltig steigende Kurse kann man erst hoffen, wenn das Corona-Virus wirksam bekämpft werden kann."

OTMAR LANG, CHEFÖKONOM TARGOBANK:


"Beim Coronavirus handelt es sich um einen Angebots- und Nachfrageschock, den die Notenbanken nicht wirklich beeinflussen können. Sie können globale Wertschöpfungsketten nicht retten oder heilen, und sie bringen auch keine Konsumenten in die Reisebüros, um Pauschalurlaube zu buchen. Es wäre grob vermessen, darauf zu setzen, dass Notenbanken aktuell mit ihrer Geldpolitik eine stabilisierende Wirkung auf Finanzmärkte und Wirtschaftsräume ausüben können. Das hat bereits die außerplanmäßige US-Leitzinssenkung vom 3. März gezeigt, die die gewünschte Wirkung völlig verfehlt hat. Das hat die EZB begriffen und ihre Leitzinsen heute unverändert gelassen. Dagegen verkündete sie ein Maßnahmenpaket, um den Banken und Unternehmern als Kreditnehmern unter die Arme zu greifen.

Das alles ist nicht falsch. Aber anders als früher sind Notenbankmaßnahmen aktuell nur schmückendes Beiwerk, das keinen Turnaround bewirken kann. Die klassische Geldpolitik ist damit nicht am Ende - aber sie ist derzeit einfach nicht das richtige Mittel. Heute ist die Fiskalpolitik gefordert, also die Regierungen oder die EU-Kommission.

MARIJA KOLAK, BVR-PRÄSIDENTIN:


"Die EZB erhöht die Liquidität zielgerichtet und unterstützt so die Kreditvergabe an Unternehmen. Das ist eine gute Nachricht, insbesondere für Unternehmen, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen sind. Von der befristeten Ausweitung des Anleihekaufprogramms geht ebenfalls ein positiver Impuls auf die Märkte aus. Dass die EZB auf eine weitere Zinssenkung verzichtet hat, war eine weise Entscheidung. Ein Zinsschritt hätte kaum zusätzliche Investitionen in Gang gesetzt, aber das Zinsumfeld für Privatanleger und die Kreditwirtschaft nochmals verschlechtert."

FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT:


"Das Maßnahmenpaket ist ausgewogen und nutzt die sehr begrenzten verbleibenden Möglichkeiten der EZB, um die unausweichliche Corona-Rezession abzumildern. Die Ausweitung der Anleihekäufe und der langfristigen Finanzierungsinstrumente für die Banken (TLTROs) zielen in ihrer Ausgestaltung vor allem darauf ab, die Kreditvergabe an Unternehmen zu sichern, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind. Dies ist eine sinnvolle Schwerpunktsetzung. Es ist ein kluger Schachzug, dass Christine Lagarde heute keine weitere Zinssenkung verkündet hat. Eine weitere Verschärfung der Negativzinsen hätte den bedrängten Banken nicht geholfen, sondern deren Lage eher noch verschärft.

Wer sich von Christine Lagarde einen 'whatever it takes'-Moment erhofft hatte, hatte ohnehin unrealistische Erwartungen. Die vom Virus ausgelöste Wirtschaftskrise lässt sich mit den Mitteln der Geldpolitik nicht wirksam eindämmen. Der Ball liegt jetzt im Feld der Fiskalpolitiker. Die fiskalisch gesunden EU-Mitgliedstaaten sollten ihren Spielraum nutzen, um das Abgleiten Europas in eine kombinierte Krise von Real- und Finanzwirtschaft zu verhindern. Nach Lagarde muss jetzt Ursula von der Leyen liefern und mit den EU-Regierungen ein europäisches Stabilisierungsprogramm aushandeln."

KLAUS WIENER, CHEFÖKONOM VERSICHERERVERBAND GDV:


"Der Erwartungsdruck der Märkte war hoch. Insofern überrascht nicht, dass die EZB ihre Anleihekäufe erhöht. Der konjunkturelle Effekt dürfte aber gering sein. Sehr sinnvoll ist die zusätzliche Bereitstellung von Liquidität für den Interbankenmarkt. Erfreulich ist auch, dass der Einlagenzins nicht weiter abgesenkt wurde. Eine weitere Absenkung würde sich als kontraproduktiv erweisen. Insgesamt zeigen die Maßnahmen, dass die Möglichkeiten der Geldpolitik begrenzt sind. Dies liegt zum einen an der extrem lockeren Positionierung, die nach der Finanzkrise sehr lange durchgehalten wurde. Die EZB hat im zurückliegenden, langgestreckten Aufschwung die Zinsen nicht ein einziges Mal gestrafft, und selbst in den USA ist im Vergleich zu früheren Krisen nur wenig Pulver trocken.

Erschwerend kommt in der aktuellen Situation aber hinzu, dass die Geldpolitik die Folgen einer Epidemie kaum wirkungsvoll bekämpfen kann. Das Corona-Virus unterbricht globale Lieferketten und veranlasst viele Menschen, zu Hause zu bleiben. Hieran kann eine Lockerung der Geldpolitik nichts ändern. Sie soll es im Grunde auch gar nicht, denn die Ausbreitung des Virus kann nur verlangsamt werden, wenn Unternehmen und Haushalte ihre Aktivitäten für eine gewisse Zeit einschränken."

THOMAS GITZEL, CHEFÖKONOM VP BANK:


"EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich ihre ersten Monate im Amt sicherlich anders vorgestellt. Das Coronavirus stellt die Französin vor ihre erste Feuertaufe. Das Arsenal der EZB ist aber nicht mehr allzu voll. So sehr sich die Notenbank derzeit bemühen ihr Scherflein zur Krisenbewältigung beizusteuern, noch niedrigere Zinsen und noch mehr Staatsanleihekäufe werden nur bedingt ökonomischen Nutzen haben. Es müssen jetzt die richtigen Instrumente benutzt werden. Lagarde hat dies erkannt. Es ist richtig, dass die EZB mehr Unternehmensanleihen kaufen wird. Das hat tatsächlich einen direkten positiven Einfluss auf die Unternehmensfinanzierung. Die EZB setzt mit höheren Käufen von Unternehmensanleihen also an der richtigen Stelle an.

Es bedarf jetzt vor allem aber auch der tatkräftigen Unterstützung der Regierungen. Gerade kleinere und mittlere Betriebe brauchen jetzt Zugang zu Liquidität. Der Bankensektor kann aufgrund von strengen Regularien nicht in allen Fällen helfend zur Seite stehen. Richtig ist deshalb die Entscheidung der EZB, Regelungen für Kapitalquoten der Banken zu lockern. Darüber hinaus gilt aber: Es braucht jetzt flankierende staatliche Sonderkreditprogramme."

UWE BURKERT, LBBW-CHEFÖKONOM:


"Das Paket war kleiner als gedacht. Der Markt hat enttäuscht reagiert. Aber wenn die EZB in dieser Situation die Leitzinsen nicht senkt, dann haben die Leitzinsen wirklich ihren Boden erreicht. Sinnvoll und von uns im Kern erwartet war die Ausweitung des TLTRO-III. Die EZB unternimmt jetzt alles, damit der Bankenkreditmarkt nicht schrumpft. Die zusätzlichen Assetkäufe fallen demgegenüber nicht stark ins Gewicht. Aber das Wertpapierankaufprogramm APP bleibt ein Spielbein der EZB, und wenn es hart auf hart kommt, dann kann die EZB hier immer noch mehr machen. Davon gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt auch aus, denn die Meldungen rund um das Thema Corona werden täglich besorgniserregender. Die EZB wird möglicherweise noch vor dem nächsten Ratstreffen am 30. April nachbessern müssen. Wohlwissend, dass die Geldpolitik in dieser Situation eigentlich nichts ausrichtet - weder gegen das Virus noch gegen den Angebotsschock für die Unternehmen. Aber das letzte, was wir jetzt brauchen können, ist zu all dem auch noch eine Panik an den Finanzmärkten."

RALF UMLAUF, HELABA:


"In den letzten Tagen hat die Spekulation auf ein umfassendes Maßnahmenpaket der EZB zugenommen. Die unveränderten Zinsen sind eine Überraschung, denn die Geldmark-Futures hatten sogar mehr als eine Reduzierung um 10 Basispunkte in den Kursen vorweggenommen. Die EZB ermöglicht aber durch die TLTRO III-Anpassungen eine günstigere Refinanzierung, sogar unterhalb des Einlagenzinses. Die EZB nimmt dadurch Verluste aufgrund von Refinanzierungs-Operationen in Kauf. Dies ist unseres Erachtens ein Novum in der EZB-Geschichte und stellt die entscheidende, stimulierende Maßnahme in diesem Paket dar."

STEFAN SCHNEIDER, DEUTSCHLAND-CHEFÖKONOM DEUTSCHE BANK:


"Die Maßnahmen sollten Wirkung zeigen - besonders die langfristige Refinanzierungsgeschäfte zu extrem günstigen Bedingungen. Auch die zusätzlichen 120 Milliarden Euro an Anleihekäufen sind ganz erheblich. Zusätzlich werden die Banken regulatorisch etwas von der Leine gelassen. Das alles zusammen sollte etwas helfen. Mehr kann die EZB derzeit realistischerweise wohl auch nicht leisten.

Viele dieser Maßnahmen gehen über das Bankensystem an die Unternehmen. Ob die Banken ihre Kreditvergabe erhöhen, nur weil ihre Kosten bei der Refinanzierung sinken, muss man abwarten. Denn gleichzeitig sind die Kreditrisiken in den stark betroffenen Sektoren wie der Reisebranche gestiegen. Hier könnte der Staat mit Kreditgarantien wirkungsvoller helfen."

ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT BANKHAUS LAMPE:


"Auch die EZB beugt sich dem Corona-Virus. Mit ihren Liquiditätshilfen und Wertpapierkäufen setzt sie insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen an der richtigen Stelle an. Gleichzeitig wird dem massiven Verfall der Inflationserwartungen begegnet. Für eine klassische Geldpolitik bestand angesichts des weitgehend leeren Munitionsdepots kaum Spielraum. Hier rächt sich nun, dass die EZB für den Krisenfall wenig gerüstet ist. Je nach Pandemieverlauf wird die EZB weitere Maßnahmen beschließen."

rtr