"Goldman Sachs regiert die Welt" schrieb die "FAZ" im Dezember 2016, nachdem Donald Trump mehrere ehemalige oder noch aktive Mitarbeiter der führenden Investmentbank der Wall Street zu Ministern gemacht oder in seinen engsten Beraterkreis aufgenommen hatte. Trumps "Goldmänner" haben zentrale Schaltstellen der Macht in Washington übernommen. Zum Beispiel der Hardliner Stephen Bannon, Trumps Chefberater, der sechs Jahre lang für die Investmentbank gearbeitet hat. Oder Finanzminister Steven Mnuchin, der 17 Jahre lang in den Diensten der Bank stand.
Ein Geldhaus im Rampenlicht - und auf dem Höhepunkt seiner Macht. Da stellt sich die Frage, wie es damals begann, vor fast 150 Jahren, als ein armer deutscher Emigrant in New York die Gunst der Stunde nutzte und ins Finanzgeschäft einstieg.
Mark Goldmann kam 1821 im oberfränkischen Trappstadt als Sohn eines jüdischen Viehhändlers zur Welt. Schon als Junge lernte er auf den Viehmärkten, wie man erfolgreich um die besten Preise feilscht. Beim Englischunterricht in der Synagoge von Würzburg freundete er sich mit dem 19-jährigen Joseph Sachs an, dem Sohn eines armen Sattlers.
In dieser Zeit verließen über eine halbe Million Deutsche ihre Heimat, die meisten suchten ihr Glück in Amerika. Hauptursachen dieser Völkerwanderung waren Arbeitslosigkeit, Missernten, Hungersnöte und die Angst vor militärischen Zwangsrekrutierungen, aber auch die Folgen der gescheiterten Revolution von 1848, mit der politische Freiheiten durch demokratische Reformen durchgesetzt werden sollten. In einigen Fürstentümern herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände.
Schweren Herzens entschied sich damals Vater Goldmann, Mark und seinen jüngeren Bruder Simon nach Amerika emigrieren zu lassen, in der Hoffnung, dass sie dort ein besseres Leben haben würden. 1848 verließen die Brüder Trappstadt, im Gepäck 150 Gulden und einen Apfelkuchen ihrer Mutter.
Es war eine schwierige Überfahrt. Die Brüder reisten im Zwischendeck, die Zustände dort waren grauenvoll: Die Verpflegung war karg, Kinder starben an Hunger, Krankheiten grassierten. Nach zwei Wochen dockte der Dampfer in Philadelphia an. Simon reiste gleich weiter nach Kalifornien, wo der Goldrausch schnellen Reichtum versprach. Mark aber blieb in Philadelphia. Zufällig traf er dort seinen alten Freund Joseph Sachs wieder.
Mark Goldmann war jetzt 27. In seinen ersten drei Jahren arbeitete er als Hausierer. Dann zog er erst zu Fuß, später mit Pferd und Wagen durch die Straßen von Philadelphia und verkaufte Haushaltsartikel. Er arbeitete hart, oft 14 Stunden am Tag, heiratete eine 18-jährige deutsche Auswanderin und mietete sich mit ihr in einer Zweizimmerwohnung ein.
Immer mehr Deutsche zog es jetzt in die Stadt. Goldmann erkannte, dass diese Menschen dringend billige neue Kleider brauchten. Seine Frau Bertha, eine gelernte Näherin, kaufte für fünf Dollar eine Nähmaschine - und die Goldmanns eröffneten ein Bekleidungsgeschäft. Mark anglisierte seinen Vornamen auf Marcus und ließ beim Nachnamen ein n weg.
Der perfekte Zeitpunkt
1869 verkaufte er sein Geschäft und zog nach New York. Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs schwächte sich das Wirtschaftswachstum in Philadelphia ab, dafür entwickelte sich New York zur neuen Boomtown. Warum sich Goldman nun als Banker versuchte, ist nicht klar. Aber mehrere Faktoren machten die späten 1860er-Jahre zu einem perfekten Zeitpunkt, um in New York eine Karriere in der Finanzwirtschaft zu starten: Ein ständiger Zustrom von Auswanderern führte zu einer wachsenden Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, das Fehlen von Industriestandards und Lizenzvorschriften sorgte für leichte Marktzugänge, und die Stadt verfügte bereits über eine erfolgreiche deutsch-jüdische Banker-Community. Viele der prominentesten Banker jener Zeit, wie die Seligmans oder die Lehmans, hatten, genau wie Marcus Goldman, als Hausierer im Hinterland begonnen, bevor sie ins Investmentbanking einstiegen.
Goldman mietete 1869 in der Pine Street 30 in Manhattan einen kleinen Raum neben einer Kohlenhandlung und hing an die Eingangstür ein Schild mit der Aufschrift: "Marcus Goldman, Banker and Broker". Er heuerte als Hilfskraft einen alten Buchhalter an, der nebenbei noch in einem Bestattungsinstitut arbeitete, und zog jeden Morgen zu Fuß los, immer im Gehrock und Zylinder. Er besuchte die vielen, meist jüdischen Leder-, Tabak- und Diamantenhändler in Manhattan, hielt nach möglichen Kunden Ausschau, denen er ihre Schuldscheine abkaufen konnte.
Bankkredite waren damals kurz nach dem Bürgerkrieg knapp und teuer. Aber Goldman bot seinen Kunden eine Alternative: Er kaufte ihnen ihre Schuldscheine ab und verkaufte sie gleichentags gegen die bescheidene Kommission von einem halben Prozent an die großen Geschäftsbanken weiter. Goldman war damit einer der Pioniere des Geschäfts mit Wertpapieren, die später den Namen Commercial Papers erhielten. Die Schuldscheine trug er unter dem Schweißband seines Zylinders, bis dieser ausbeulte. Damals machte das Bonmot die Runde, dass der Erfolg eines Bankers täglich an der Höhe seines Huts abzulesen war.
Das Geschäft lief blendend. Bereits nach einem Jahr hatte er Papiere für fünf Millionen Dollar (entspricht heute rund 86 Millionen) verkauft. Mitte der 1880er-Jahre verfügte das Unternehmen bereits über ein Kapital von 100 000 Dollar. Die Goldmans blieben die ganze Zeit über mit der Familie von Joseph Sachs eng befreundet. Man traf sich oft am Sonntag zum Essen und sang deutsche Volkslieder. Zwei Goldman-Töchter heirateten zwei Sachs-Söhne. An seinem 60. Geburtstag nahm Marcus seinen Schwiegersohn Samuel Sachs als Partner ins Geschäft auf - Goldman Sachs war geboren.
1900 zog sich Marcus Goldman aus der Firma zurück. Er hatte es noch erlebt, dass sein großer Traum in Erfüllung ging - dass Goldman Sachs Mitglied der New Yorker Börse wurde. Das war 1896, und das Unternehmen verfügte über ein Kapital von mehr als 500 000 Dollar. Die Bank ging nun dazu über, neues Beteiligungskapital für Unternehmen zu erschließen, und da der Kundenstamm immer größer wurde, eröffnete sie Niederlassungen in Chicago, Boston, Philadelphia und St. Louis. 1897 nahm sie Geschäftsbeziehungen zu den großen europäischen Hauptstädten auf und erweiterte das Produkt- und Dienstleistungsangebot um Devisen, Akkreditive, den An- und Verkauf von Gold sowie Arbitrage.
1904 starb der Patriarch mit 83 Jahren in seinem Sommerwohnsitz am Strand von New Jersey als reicher Mann. Im Oktober 2016 setzte ihm die Investmentbank eine Art spätes Denkmal, als sie ihre neue Online-Kreditplattform "Marcus" nannte. Zum ersten Mal seit der Gründung öffnete sich das Geldhaus, das lange Zeit nur Unternehmenskunden und Superreiche als Klienten akzeptierte, nun auch für Normalverdiener. Marcus Goldman hätte sich sicher darüber gefreut.