Die Börsenentwicklung seit Beginn der Corona-Krise lässt sich bisher in zwei Phasen einteilen. Phase 1 war von Panik geprägt, als die Volkswirtschaften weltweit heruntergefahren wurden. Daran schloss sich eine Phase der Hoffnung an, gestützt von einer Flut fiskalischer und geldpolitischer Anreize und der Zuversicht, dass sich durch den allmählichen Neustart der Wirtschaft so etwas wie Normalität einstellt. Aktuell stehen wir wohl vor Phase 3. Offen ist aber, was diese prägen wird. Entscheidende Fragen sind dabei: Wird der Neustart erfolgreich sein? Welche Effekte hat der Kampf gegen Covid-19? Kehrt der Handelskonflikt zwischen den USA und China zurück? Wird es eine Insolvenzwelle geben?
Tatsächlich gibt es in vielen Ländern Anzeichen dafür, dass sich die Verbreitung des Virus verlangsamt. Allerdings ist der dadurch mögliche Neustart der ökonomischen Aktivitäten nicht gleichbedeutend mit einer Normalisierung. Eine Analyse des US-Geldverwalters Guggenheim Investments zeigt, dass die Volkswirtschaften wohl noch länger mit einer großen Produktionslücke zu kämpfen haben, also mit einer erheblichen Differenz zwischen dem tatsächlich erreichten und dem potenziellen Bruttoinlandsprodukt.
Ein weiterer Risikofaktor ist der bereits erledigt geglaubte Handelskonflikt zwischen den USA und China. Das Problem ist, dass China wegen der Krise weit hinter den vereinbarten Importzielen zurückbleibt. Unterhändler beider Seiten diskutierten das Problem bereits und gaben eine Erklärung ab, dass "gute Fortschritte erzielt werden". US-Präsident Donald Trump gibt sich aber skeptischer. Er will bis spätestens Ende des Monats entscheiden, ob er Sanktionen verhängen will. Doch dies wäre sicherlich das Letzte, was die Welt derzeit brauchen kann. Gerade im Pharmabereich sind die globalen Lieferketten komplex und eine Störung würde sich negativ auf die Entwicklung, Produktion und Verteilung von Medikamenten und Impfstoffen auswirken.
Phase 3 der Börsenentwicklung könnte auch entscheidend geprägt sein von einer Insolvenzwelle. In der Vergangenheit war es jedenfalls immer so, dass die Kreditausfallraten stark mit der Arbeitslosenquote korrelierten. Diesmal ist dies noch nicht der Fall. Die Arbeitslosigkeit nahm zwar extrem zu, erstaunlicherweise blieben die Volkswirtschaften aber von einer starken Zunahme an Insolvenzen bisher verschont. Dies mag an der Liquiditätsflut der Notenbanken liegen. Was aber, wenn die Liquidität in Zukunft weniger wird? Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, dass Larry Fink, der Chef des weltgrößten Geldverwalters Blackrock, eine Welle von Insolvenzen erwartet. Was ebenso gravierend sein dürfte, wären deutlich steigende Steuern. Schließlich müssen all die staatlichen Hilfsprogramme finanziert werden. Keine gute Nachricht für die Unternehmenswelt.
Fakt ist: Die Welt steckt in einer Rezession, und normalerweise benötigen die Börsen länger als nur ein paar Wochen, um sich nachhaltig zu fangen - unabhängig davon, wie sehr die Notenbanken oder die Politik die Wirtschaft ankurbeln. Der Aktienmarkt hat sich in Phase 2 erholt, aktuell scheinen sich Bullen und Bären die Waage zu halten. Doch angesichts der Umstände und der hohen Bewertung - der breite US-Markt wird mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20,4 gehandelt - wird die nächste Börsenphase wohl eher eine bearishe Tonalität aufweisen.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com