von Dirk Müller, cashkurs.com
Der Einbruch der Ölpreise erfreut unsere Wirtschaft und die Autofahrer, die Auswirkungen auf das sensible Geflecht der Weltwirtschaft sind aber weit komplexer. Wo Gewinner sind, gibt es auch meistens Verlierer, und diese sitzen derzeit in den US-Fracking-Zentren und besonders in den Schwellenländern und auf der arabischen Halbinsel.
Viele arabische Staaten brauchen zur Finanzierung ihrer Märchenwelten einen Ölpreis im Bereich von 80 Dollar für einen ausgeglichenen Haushalt. Mit jedem Monat niedrigerer Preise wird die Lage kritischer, da oft 90 Prozent der Staatseinnahmen aus Ölverkäufen stammen. Wer nicht genug einnimmt, muss Tafelsilber verkaufen. Das machen viele Ölstaaten, die ihre Währungsreserven angreifen müssen und seit Monaten große Mengen europäischer, besonders aber amerikanischer Staatsanleihen auf den Markt werfen. Cash ist King.
Es ist ein Mythos, die OPEC-Staaten müssten nur die Förderung drosseln, dann würde der Preis schon wieder steigen. Die Märkte sind voller Öl aus den US-Frackingbetrieben und den weltweit sprudelnden Quellen. Nichts ist zu sehen von Peak-Oil oder Ölknappheit - dafür von einer abkühlenden Weltwirtschaft, die immer weniger Öl braucht. Dazu kommen dynamische Schwenks der G 7-Staaten weg von Öl und Gas hin zu Erneuerbaren.
Mit jeder Solarzelle und jedem Windrad wird Öl substituiert. Das Öl wird uns nicht ausgehen - wir werden in absehbarer Zeit keines mehr benötigen. Nur etwa 25 Prozent der Produktion werden weiterverarbeitet zu chemischen Produkten oder Dünger. Der weit überwiegende Teil geht in die Wärme- und Energieerzeugung sowie in den Transport. Derzeit läuft der Kampf darum, wer in den nächsten Jahren die letzten nachgefragten Fässer fördern und verkaufen wird. Nach dem Ölboom zwischen den 40er- und 70er-Jahren haben die USA ihre Förderung massiv reduziert. Ein Grund war die strategische Schonung der eigenen Reserven für "The Day After" - also den Zeitpunkt, an dem der Welt das Öl knapp werden würde. Dieser war seit Jahrzehnten angekündigt und kam doch nie.
Die Welt schwimmt derzeit in Öl. Doch diese strategischen Überlegungen spielen seit Kurzem keine Rolle mehr. Es wird versucht, so schnell wie möglich so viel wie möglich aus dem Boden zu holen, als gäbe es kein Morgen. Selbst die strategischen Ölreserven der USA werden derzeit von der US-Regierung reduziert. Der Pokerspieler kennt das unter "All-in", wenn im letzten Spiel alle Reserven riskiert werden. Was jetzt nicht gefördert wird, wird in einigen Jahren schlichtweg nicht mehr benötigt.
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Innere Ordnung in Gefahr
Die saudischen Staaten können es sich gar nicht leisten, die Förderung zu drosseln. Vermutlich wäre der Preiseffekt überschaubar, aber sie würden noch weniger Geld in der Kasse haben. Die Sparmaßnahmen beginnen an allen Enden. Mit jedem Monat wird die Lage für die OPEC-Staaten kritischer. Das ist eine große Gefahr für die innere Ordnung der arabischen Ölstaaten, die sich bislang faktisch ihre Untertanen durch eine Vollfinanzierung des Lebensunterhaltes kaufen. Wird der Gürtel enger geschnallt und das Gewohnte reduziert, ist der Unmut über all die bislang erduldeten Repressalien schnell geschürt. Erste, ungewohnte Sparmaßnahmen dieser Staaten machen inzwischen die Runde. Dass das nicht nur eine vage Interpretation ist, zeigt der Beschluss der G 7-Staaten in Elmau zur Dekarbonisierung. Welche Auswirkungen eine solche Entwicklung auf Russland und die künftige geostrategische Entwicklung haben wird, lässt sich nur erahnen.
Auch für den Investor heißt es: Finger weg vom Ölsektor. Es gibt dort derzeit keinen Grund für nachhaltig steigende Preise. Öl ist ein auslaufender Rohstoff, der aktuell in großen Mengen vorhanden ist und von dem immer mehr auf den Markt strömt. Ein Markt, der durch die Abkühlung der Weltwirtschaft und die Substituierung durch neue Energiequellen sowie neue Verbrauchsszenarien (Solarheizung statt Ölheizung, Elektroautos statt Benziner) langsam, aber stetig und beschleunigend, immer weniger Öl benötigt.
Kurzfristig kann es durch Marktverwerfungen oder militärische Entwicklungen, zum Beispiel um die Straße von Hormus, zu extremen Gegenbewegungen kommen, das ist aber kaum prognostizierbar. Für den kühl kalkulierenden Investor bleibt nur eine Logik: Finger weg. Nicht alles, was billig ist, ist auch preiswert.
Das hat Warren Buffett erkannt, der sich von seinen Ölbeteiligungen bereits vor Monaten getrennt hat und in großem Stil auf Erneuerbare setzt. Selbst das Herz der US-Ölindustrie, die Rockefeller-Foundation, hat im Herbst 2014 den Ausstieg aus Ölinvestitionen und den Schwenk zu Erneuerbaren Energien erklärt. Hier liegt das Potenzial der Zukunft. Die Energiekonzerne von morgen tragen Namen wie First Solar oder SolarCity. Die Rockefellers des 21. Jahrhunderts werden Musk heißen - Elon Musk, der zunächst genauso belächelt wurde wie John D. Rockefeller, als er 1863 eine kleine Erdölraffinierie in Cleveland gründete. Selbst alte Riesen wie Eon versuchen die 180-Grad-Wende und spalten (nicht nur wegen der Atomkraft) die konventionellen Energien ab, um sich voll auf die neuen Technologien zu konzentrieren. Bleibt die Frage, ob die großen Tanker beweglich genug sind oder ob die neuen, wendigen Firmen von Elon Musk und Co schnell genug eine für die Etablierten gefährliche Größe bekommen.
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Der Überlebenskampf der Dinosaurier
Die größten Unternehmen der Branche wie Royal Dutch Shell oder BP versuchen, dem Preisverfall mit Sparmaßnahmen und Konsolidierungen entgegenzuwirken. Ausrüster, die beispielsweise die notwendige Technologie in Form von Bohrtürmen und -inseln bereitstellen, leiden noch mehr, da die Nachfrage nach ihren Produkten in Schwächephasen deutlich dynamischer nachgibt. Shell hingegen nutzt die vermeintliche Gunst der Stunde und hat jüngst die Bestätigung zur Übernahme des britischen Gasförderers BG Group erhalten. Rund 64 Milliarden Euro muss man dafür berappen. Wie lange die in der Vergangenheit hohen Dividenden bezahlt werden, können bleibt abzuwarten.
Mittel- und langfristig ist es der richtige Zeitpunkt, um es Warren Buffett gleichzutun und sich auf die Unternehmen der Erneuerbaren Energien zu konzentrieren. Leider (oder für den spekulativen Investor zum Glück) gibt es in diesem Segment noch keine Firmen mit langer Gewinnhistorie. Die erste übertriebene Hype-Welle der Solar- und Windaktien ist ausgelaufen, die Preise haben sich normalisiert und der Markt ist bereinigt. Jetzt zeichnen sich jene Unternehmen ab, die langfristig das Geschäft machen werden. Starke Partner wie Elon Musk sind da sicher hilfreich.
Aufgrund der fehlenden erfolgreichen Historie ist die Bewertung schwieriger und riskanter, aber jährliche Wachstumsraten jenseits der 50 Prozent wie bei SolarCity lassen Raum für die Fantasie spekulativer und visionärer Anleger. Inwieweit der niedrige Ölpreis den Siegeszug der Erneuerbaren verlangsamt, lässt sich noch nicht abschätzen. Aufhalten wird er ihn nicht mehr.