DAS IST LOS BEI MTU:
Nach dem herben Geschäftseinbruch vor gut einem Jahr hat sich MTU wieder gefangen. Schaut man auf die Pläne des Vorstands, könnte der Umsatz 2021 sogar fast wieder das Niveau aus dem Rekordjahr 2019 erreichen. Doch das liegt vor allem an der Triebwerkswartung, die weniger Gewinn abwirft als das Geschäft mit Antrieben und Ersatzteilen.
"Es wird Jahre dauern, bis der Luftverkehr - und damit die Grundlage unserer Aktivitäten im Serien- und Instandhaltungsgeschäft - wieder das Niveau der Vorkrisen-Jahre erreichen wird", hatte Vorstandschef Reiner Winkler schon vergangenen Sommer gesagt. Im Herbst klassifizierte er die folgenden Jahre als "Phase des Neustarts". Der Konzern wolle seine "Technologieführerschaft, Innovationskraft und Flexibilität" nutzen, um seine gute Ausgangsposition auszubauen - und "ab 2024 wieder überproportional am Wachstum der Branche teilzuhaben".
Das Geschäft von MTU hängt davon ab, dass Fluggesellschaften neue Flugzeuge von Airbus, Boeing oder Embraer (Embraer SA) kaufen, an deren Antrieben der Münchner Konzern mitarbeitet.
Dabei kann sich MTU glücklich schätzen, stärker mit Airbus im Geschäft zu sein als mit Boeing. Denn der US-Konzern hat noch immer mit dem Debakel um seinen Mittelstreckenjet 737 Max zu kämpfen, der nach zwei tödlichen Abstürzen rund 20 Monate lang weltweit nicht mehr abheben durfte. Mit dem Antrieb des Jets hat MTU nichts am Hut.
Während Boeing die Produktion seiner 737-Reihe Anfang 2022 auf 31 Maschinen pro Monat hochfahren will, peilt Airbus für seine Konkurrenzreihe A320 und deren Neuauflage A320neo schon Ende dieses Jahres monatlich 45 Maschinen an - und liebäugelt mit einer Rekordproduktion von bis zu 75 Jets pro Monat im Jahr 2025. MTU baut zusammen mit Partnern - vor allem der Raytheon-Technologies-Tochter (Raytheon Technologies) Pratt & Whitney - an einem Antrieb für die A320neo-Reihe mit und betreibt in München eine Endfertigungslinie für dieses sogenannte Getriebefan-Triebwerk.
Boeings Probleme gehen jedoch nicht ganz an MTU vorbei. Schon zum Jahreswechsel verbuchten die Münchner eine Sonderbelastung von 70 Millionen Euro, weil der US-Konzern die Erstauslieferung seines runderneuerten Großraumjets 777X um drei Jahre verschieben musste. Und wegen der Qualitätsprobleme bei Boeings Langstreckenjet 787 "Dreamliner" verzögern sich die Auslieferungen fertiger Maschinen. Der Hersteller musste zudem die Produktion noch stärker drosseln, als er es wegen der Notlage vieler Fluggesellschaften in der Pandemie ohnehin getan hatte. MTU ist an den Triebwerken von General Electric für die 777X und den "Dreamliner" beteiligt.
Für 2021 hat die MTU-Führung einen Umsatz von 4,2 bis 4,6 Milliarden Euro als Ziel ausgegeben. Das wäre im Höchstfall fast so viel wie im Rekordjahr 2019. Vom Umsatz sollen 9,5 bis 10,5 Prozent als bereinigter operativer Gewinn vor Zinsen und Steuern (bereinigtes Ebit) übrig bleiben. Damit dürfte die Marge deutlich unter den 16,4 Prozent von 2019 bleiben.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Von MTU selbst bis 19. Juli befragte Branchenexperten bewegen sich mit ihren Schätzungen im Schnitt innerhalb der Unternehmensprognose - allerdings im oberen Bereich. So rechnen die Analysten mit einem Jahresumsatz von 4,46 Milliarden Euro. Der bereinigte operative Gewinn dürfte nach ihren Berechnungen mit 462 Millionen Euro deutlich niedriger ausfallen als im Jahr vor der Pandemie. Der Wert entspricht einer bereinigten operativen Marge von 10,4 Prozent - was schon fast am oberen Ende der Prognose des Vorstands liegt.
An diesem Freitag (30. Juli) legt der Konzern seine Zahlen zum zweiten Quartal vor. Analysten erwarten im Schnitt einen Umsatz von 1,02 Milliarden Euro, nachdem er zu Beginn der Corona-Krise ein Jahr zuvor auf 776 Millionen abgesackt war. Der bereinigte operative Gewinn dürfte sich nach ihrer Schätzung auf 99 Millionen Euro mehr als verdoppeln. Dies entspräche 9,7 Prozent des Umsatzes.
Mit Blick auf die MTU-Aktie rät die Mehrheit der Experten zum Abwarten. Von den 17 von dpa-AFX erfassten Analysten, die ihre Einschätzungen seit der Vorlage der Quartalsbilanz Ende April erneuert haben, raten nur drei zum Kauf und vier zum Verkauf des Papiers. Zehn Experten plädieren für Halten.
Dazu passt, dass die Analysten im Schnitt ein Kursziel von knapp 204 Euro auf dem Zettel haben - und damit nur knapp unterhalb des jüngsten Kursniveaus liegen. Allerdings ist die Spanne der Kursziele groß: So hat Warburg-Analyst Christian Cohrs mit 160 Euro das niedrigste Kursziel ausgegeben, während sich die Experten der Investmentbank Kepler Cheuvreux mit 242 Euro am optimistischsten zeigen.
Der wieder anziehende Reiseverkehr dürfte in den Ausblicken der Luftfahrtbranche positive Spuren hinterlassen, schrieb Analyst Benjamin Heelan von der Bank of America, der mit einem Kursziel von 240 ebenfalls zum Kauf der Aktie rät. In dem für MTU wichtigen Ersatzteil- und Wartungsgeschäft erwartet er jedoch eine nur begrenzte Umsatzsteigerung. Hier dürfte aber eine Besserung für den weiteren Jahresverlauf signalisiert werden.
Sein Kollege David Perry von der US-Bank JPMorgan sieht die Dinge skeptischer. So seien Aktien aus der Flugbranche Ende Juni aus Furcht vor dem Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus unter Druck geraten, obwohl das Sitzplatzangebot der Luftfahrt derzeit das höchste Niveau seit März 2020 erreiche, schrieb er Ende Juni. Alles weitere sei schwer vorhersehbar. Er bestätigte in den vergangenen Monaten mehrfach sein Kursziel von 191 Euro.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die pandemiebedingte Luftfahrtkrise hat den jahrelangen Höhenflug der MTU-Aktie jäh beendet. Im vergangenen Jahr ging es vom Rekordhoch bei 289,30 Euro Ende Januar binnen weniger Wochen bis auf 97,76 Euro nach unten. Seither hat sich der Kurs wieder ein gutes Stück berappelt. Zuletzt wurde das Papier zu knapp 209 Euro gehandelt - und ist damit etwa so teuer wie Mitte 2019. Damals war MTU noch im MDAX notiert, dem Index der mittelgroßen Werte. Erst im September desselben Jahres stieg das Unternehmen in den Leitindex Dax auf.
Der Finanzinvestor KKR hatte MTU im Jahr 2002 vom damaligen DaimlerChrysler-Konzern übernommen und das Unternehmen im Jahr 2005 zum Preis von 21 Euro je Aktie an die Börse gebracht. Wer das Papier seitdem im Depot hält, hat seinen Einsatz trotz der derzeitigen Krise in etwa verzehnfacht. An der Börse wird MTU derzeit mit rund 11 Milliarden Euro bewertet und gehört damit zu den kleinsten Werten im deutschen Leitindex.
dpa-AFX