Der Blick in die historischen Wetteraufzeichnungen verheißt Gutes: Mit dem 10. September ist die statistisch größte Gefahr von Hurrikans und tropischen Stürmen gebannt. Ihren Höhepunkt fand sie Mitte September. In diesem Jahr hat sich das Wetter bislang milde gezeigt, die Folgen der wenigen Hurrikans fielen vergleichsweise glimpflich aus. Für eine komplette Entwarnung ist es jedoch noch zu früh. Ein einziger Hurrikan kann die Bilanz auf den Kopf stellen.

In der Branche löst die erfreuliche Schadensbilanz aus Naturkatastrophen aber nicht nur Begeisterungsstürme aus. "Je geringer die Katastrophenbelastungen dieses Jahr ausfallen, desto schwieriger wird es, im kommenden Jahr die erforderlichen weiteren Preissteigerungen durchzusetzen", sagte Hannover-Rück-Vorstandschef Ulrich Wallin am Rande des Branchentreffens in Monte Carlo. Seit mehr als sechs Jahrzehnten kommen die Rückversicherer jedes Jahr beim "Rendez-Vous de Septembre" im Fürstentum Monaco zusammen, um die Vertragsverhandlungen mit ihren Kunden zum Jahresende vorzubereiten. Nennenswerte Aufschläge in den Prämien sind allerdings auch deshalb nicht in Sicht, weil die Kapitalausstattung der Branche ausgesprochen gut ist. Spätestens seit Pensions- und Hedgefonds immer mehr Geld in sogenannten Katastrophenbonds anlegen.

Schwieriges Zinsumfeld



Auch das seit Jahren anhaltende Niedrigzinsumfeld macht den Rückversicherern zu schaffen. Konnten die Konzerne der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank in den vergangenen Jahren zunächst noch durch lang laufende Papiere trotzen, laufen viele dieser Anleihen allmählich aus. Da die Wiederanlage der frei gewordenen Liquidität im momentanen Umfeld aber nur zu wesentlich schlechteren Zinssätzen möglich ist, suchen immer mehr Versicherungskonzerne ihr Heil in Übernahmen und Fusionen. So setzte der US-Versicherer AIG mit einem 5,56 Milliarden US-Dollar schweren Angebot für den Rück- und Erstversicherer Validus Holding schon zu Jahresbeginn ein Ausrufezeichen. Im März sorgte die Übernahme der amerikanischen XL Group durch den französischen Versicherungsriesen AXA für 15,3 Milliarden US-Dollar für Aufsehen, ehe im August mit dem Zusammenschluss von Navigators und Hartford ein weiterer Milliardendeal folgte.

Jüngstes Objekt der Begierde scheint nun die französische Scor zu sein, für deren Übernahme Großaktionär Covea Anfang September eine Offerte über 43 Euro je Aktie auf den Tisch legte. Das Management von Scor, einem der fünf größten Rückversicherer der Welt, wies das Angebot von 8,2 Milliarden Euro umgehend zurück, weil es den Unternehmenswert nicht ausreichend widerspiegele. Auch das Brokerhaus Jefferies hält zumindest einen Preis von 46 Euro für angemessen. Tatsächlich wirkt der von Covea gebotene Aufschlag von 21 Prozent mit einem zugrunde liegenden Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12,6 etwas knickrig. Die Wahrscheinlichkeit, dass Covea mit einem höheren Kaufgebot einen erneuten Vorstoß unternimmt, scheint hoch. So haben die Franzosen bestätigt, trotz der Zurückweisung an einer Übernahme interessiert zu bleiben.

Im globalen Rückversicherungsgeschäft spielt Scor in etwa der gleichen Liga wie Hannover Rück. Das Unternehmen sieht neben einer moderaten Bewertung mit den frisch markierten Rekordhochs auch charttechnisch interessant aus. Swiss Re ist in diesem Jahr ebenfalls in den Übernahmefokus gerückt, als sich die japanische Softbank um einen 30-prozentigen Anteil bemühte. Die Gespräche wurden allerdings Ende Mai ohne Erfolg beendet.

Grundsätzlich unterstreicht die momentane Übernahme- und Fusionswelle die Attraktivität und das Wachstumspotenzial des gesamten Sektors. Gerade erst stufte JP Morgan diesen von "Neutral auf Übergewichten hoch. Die Schweizer Swiss Re rechnet vor, dass 70 Prozent der von Naturkatastrophen in der zurückliegenden Dekade verursachten Schäden in Höhe von zwei Billionen US-Dollar nicht versichert waren. Nicht nur hier sieht auch Branchenprimus Munich Re Wachstumschancen. Der weltgrößte Rückversicherer will künftig vor allem das noch junge Geschäftsfeld zur Absicherung von Cyberrisiken stark ausbauen. "Die volkswirtschaftlichen Kosten von großflächigen Cyberangriffen sind heute größer als die Schäden, die von Naturkatastrophen verursacht werden", weiß Munich-Re-Vorstandsmitglied Torsten Jeworrek.



Inzwischen nimmt die Sensibilisierung für das Thema Cyberrisiken zu, die Nachfrage der Unternehmen nach Prävention steigt. Entsprechend optimistisch zeigen sich die Analysten des Bankhauses Lampe und rechnen bis 2020 denn auch mit neuen Rekordgewinnen bei den Münchnern. Als Kursziel stellt die Bank 220 Euro in Aussicht. Insgesamt also schöne Aussichten für das "Rendez-Vous de Septembre" im kommenden Jahr.



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