Comebacks sind die emotionalen Highlights im Musikgeschäft. Kaum jemandem gönnt das Publikum mehr Applaus als den Stars, die schon in der Versenkung verschwunden schienen und dann erneut im Rampenlicht glänzen. Beispiele gibt es viele. Gitarrenlegende Eric Clapton etwa eroberte 1992 nach dem tragischen Unfalltod seines Sohnes die Weltbühnen mit dem anrührenden Song "Tears in Heaven" zurück und landete nach tiefem Absturz einen Millionenhit. Der norddeutsche Rock ’n’ Roller Udo Lindenberg startete vor der Pandemie im zarten Alter von 73 Jahren eine umjubelte Tour in deutschen Arenen und schaffte es soeben auf Platz 2 der deutschen Album-Charts.
Doch der größte Phönix aus der Asche ist die Musikindustrie selbst - ausgerechnet in Zeiten von Corona, da mit Live-Auftritten die wichtigste Erlösquelle der Musikschaffenden ausgefallen ist. Applaus spenden jedoch nicht die Massen in den Stadien, sondern ein eher nüchternes Publikum: Die Finanzwelt hat die Musik wiederentdeckt.
Dem weltgrößten Musikverlag, der Universal Music Group (UMG), in der einstige Label-Berühmtheiten wie Motown oder Geffen Records in einem jahrzehntelangen Konsolidierungsprozess aufgingen, wurden gerade hitverdächtige 40 Milliarden Dollar Börsenwert zugestanden. US-Hedgefondsmanager Bill Ackman hängt Berichten zufolge das Preisschild für die Tochter des französischen Vivendi-Konzerns so hoch. Die Verhandlungen laufen, Ackman soll bereit sein, rund vier Milliarden Dollar für zehn Prozent zu zahlen. Das Paket will der Finanzmann seiner SPAC namens Pershing Square Tontine Holdings einverleiben. In der börsennotierten Blanko-Gesellschaft könnte der UMG-Anteil an die New Yorker Börse gelangen.
Der Preis hat sich damit mehr als verfünffacht. 2013 bot die japanische Finanzbeteiligung Softbank gerade mal 6,5 Milliarden Euro für UMG. Dabei hat Universal Superstars wie Lady Gaga, Drake oder Taylor Swift unter Vertrag und hält Lizenzrechte an einem riesigen Titelkatalog, zu dem auch die weltberühmten Songs der Beatles zählen.
Fanfare nach langer Pause
Den Boom der Musikverlage brachte Warner Music, Nummer 3 des Globus hinter UMG und Sony Music, im Sommer 2020 ins Rollen. Künstler wie Popstar Bruno Mars oder der britische Barde Ed Sheeran zählen zu den Aushängeschildern der Amerikaner. Mitten in der Pandemie schaffte Warner Music ein fulminantes Börsendebüt: 1,9 Milliarden Dollar kamen in die Kasse. Zeichner sowie auch Anleger, die kurz nach der Emission einstiegen, wurden bis dato mit Kursgewinnen belohnt.
Die Liebe der Finanzwelt für das lange geschmähte Business hat eine simple Ursache: Die Umsätze mit dem Vertrieb von aufgenommener Musik steigen wieder kräftig. Zwar sind die Verkäufe physischer Tonträger wie CDs oder DVDs nach wie vor rückläufig - auch wenn der eine oder andere audiophile Fan wieder weitaus öfter zu Vinyl-Scheiben greift. Der Weltmarkt für "Recorded Music" aber wuchs laut Zahlen des Branchenverbands IFPI im vergangenen Jahr um 7,4 Prozent auf 21,6 Milliarden Dollar - ein Rekord seit 2002.
Vor Jahrzehnten erlebten die glamourösen Majors ihre große Blüte. Vor allem in den 70er- und 80er-Jahren scheffelten die wenigen großen Verlage viele Millionen mit dem exklusiven Vertrieb von Tonträgern. Raubkopien spielten noch eine untergeordnete Rolle, da die Qualität etwa von Kopien auf Kassetten wesentlich schlechter war. Mit der Digitalisierung änderte sich alles. Digitale Kopien unterschieden sich qualitativ nicht mehr vom Original, Kopier- und Tauschplattformen im Internet wie das berühmte Napster erodierten die Geschäftsgrundlage.
Dass der Umsatz seit einigen Jahren die Talsohle durchschritten hat, liegt an den neuen Hörgewohnheiten des Publikums. Vor allem in der Pandemie griffen viele Menschen viel öfter als zuvor zu Smartphone und Kopfhörer, um ihre Lieblingsstücke zu streamen. Die Musikindustrie, die als eine der ersten Branchen von der Digitalisierung überrollt worden war, feiert dank der Erfindung des digitalen Abo-Modells ihre Wiedergeburt. Streamingdienste wie Spotify oder Apple Music erleben einen Zustrom an Neukunden, weil sie Nutzern beinahe jeden Titel und Interpreten in Sekundenschnelle verfügbar machen.
Mit 13,4 Milliarden Dollar Umsatz machte das Streaming im vergangenen Jahr beinahe schon zwei Drittel des gesamten Branchenumsatzes abseits des Geschäfts mit Live-Konzerten. Streaming wächst zudem dynamischer als der Gesamtmarkt, der Bereich legte 2020 um ein Fünftel zu.
Die Lizenzgebühren, die die Streamingportale für ihr umfangreiches Angebot zahlen, gehen teils an Künstler, denen sie in Zeiten ausfallender Konzerte zumindest als bescheidene Einkommensquelle dienen. Das Gros kommt aber den Musikverlagen zu, den Rechteinhabern, die die Streamingdienste mit breiten Song-Bibliotheken versorgen. Mit 722 Millionen Dollar brachte dieses Geschäft Warner Music fast 60 Prozent des gesamten Umsatzes im ersten Quartal, der Bereich wuchs um beeindruckende 23 Prozent.
Digitale Kanäle lassen auch die Zahl der Künstler rapide steigen, schließlich können sie sich heute etwa über Videoportale wie Youtube oder soziale Netzwerke wie Instagram auch selbst vermarkten. Hierdurch schwillt die Zahl veröffentlichter Songs Tsunami-artig an: Rund 55.000 neue Titel feiern heute jeden Tag ihre Premiere im Web, rechnet Ex-Spotify-Manager Will Page vor - die gleiche Zahl neuer Songs erschien 1984 im gesamten Jahr.
Trotz dieser enormen Fülle konzentriert sich das Interesse des Auditoriums jedoch auf wenige Stars. Deshalb gewinnt, wer die Rechte an den Titeln der Mega-Acts im Portfolio hat. Wie wertvoll solche Top-Kataloge sind, machten zuletzt etliche Musikrechte-Deals transparent. So verkaufte etwa Songwriter-Urgestein Bob Dylan im Dezember seine kompletten Rechte für rund 300 Millionen Dollar an UMG.
Rock ’n’ Roll-Kauz Neil Young, der sich früher jeglicher kommerzieller Vermarktung widersetzte, trat Anfang des Jahres 50 Prozent seines Werks gegen eine unbekannte Millionensumme an den britischen Lizenzfonds Hipgnosis ab - frei nach dem Dylan-Klassiker "The times they are a’changin". Young dürfte ein hübsches Sümmchen eingestrichen haben. Fleetwood-Mac-Sängerin Stevie Nicks hatte zuvor für 80 Prozent ihres Werks rund 100 Millionen Dollar vom Rechteverwerter und Musiker-Dienstleister Primary Wave kassiert.
Skaleneffekte erhöhen Margen
Das Rechtegeschäft ist für die Verlage schließlich besonders lukrativ. Es muss nichts produziert werden, um Lizenzgebühren einzunehmen - lediglich die Kontrolle muss funktionieren. Weitere Geldquelle ist sodann das sogenannte Publishing, die Veröffentlichung der Titel in Filmen oder Serien sowie bei Veranstaltungen oder Shows. Auch dieses Geschäft wächst. In der Pandemie entdeckten die Verlage überdies virtuelle Konzerte als neue Einnahmequelle.
Angesichts der guten Stimmung bei den Finanzprofis grübelt Vivendi-Patron Vincent Bolloré unterdessen intensiv über die optimale Verwertung der UMG-Anteile nach. Bei dem einen SPAC-Deal mit Ackman dürfte es wohl kaum bleiben: Ende März ließ Bolloré von den Vivendi-Aktionären ein Spin-off abnicken, bis spätestens Ende des Jahres soll die Gewinnperle in Amsterdam aufs Parkett. Das Publikum applaudiert schon rhythmisch: Nach Veröffentlichung der Börsenpläne im Frühjahr schoss die Vivendi-Aktie nach oben.
INVESTOR-INFO
Vivendi
Lässiger Hitlieferant
Wohl im September soll die Musiktochter UMG, die rund die Hälfte des Konzernumsatzes erwirtschaftet, per Spin-off in Amsterdam gelistet werden. UMG ist dank des Streamingbooms die Ertragsperle der Franzosen. Bis zu 60 Prozent an der Tochter könnten so Vivendi-Aktionären ins Depot gebucht werden. Die Aktie ist angesprungen, weitere Kursgewinne sind drin, denn durch das Spin-off wird der Wert der Musiktochter offenbar. Mögliches Update zum Spin-off auf der Hauptversammlung am 22. Juni. Günstig.
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Kursziel: 33,00 Euro
Stoppkurs: 24,90 Euro
Warner Music Group
Dynamische Nummer
Warner besitzt ein umfangreiches Rechteportfolio. Der Konzern setzt stärker als UMG auf unbekanntere Musiker und betreibt eine Dienstleistungssparte, die Newcomern etwa beim Marketing hilft. Die Nummer 3 der Branche dreht dank des Streamingbooms nach einem schwachen 2020 wieder ins Plus: Analysten von JP Morgan rechnen mit gut 350 Millionen Euro Nettogewinn nach 475 Millionen Verlust im Vorjahr. Das Ergebnis soll 2022 auf 530 Millionen Euro klettern. Attraktiv.
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Kursziel: 32,00 Euro
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Spotify
Poppiger Trendsetter
Der Streamingprimus gewann allein im ersten Quartal bei stark steigendem Gewinn drei Millionen Neukunden. Die Schweden kommen auf 158 Millionen Abonnenten und rund 200 Millionen Gratisnutzer, die Werbeumsätze bringen. Spotify investiert in eigene Shows, etwa in Podcasts, um mit Skaleneffekten die Margen zu steigern. Lizenzen und Investitionen kosten, Analysten rechnen erst 2023 mit Gewinn. Hoch bewertet.
Empfehlung: Kaufen
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Stoppkurs: 168,00 Euro