Das haben selbst alte Haudegen im Ölgeschäft noch nicht erlebt: Nach den tiefen Kursen in den Wochen zuvor rutschte der Preis zu Wochenbeginn auf den niedrigsten Stand seit 2002. Ein Barrel Öl (159 Liter) der Sorte Brent wurde vorübergehend für weniger als 20 Dollar gehandelt. Dann sorgte ein Tweet von US-Präsident Donald Trump Ende der Woche über mögliche Produktionskürzungen von Saudi-Arabien und Russland für einen Preissprung an einem Tag von 40 Prozent. Ob es zu den Fördereinschränkungen kommen wird, steht allerdings noch in den Sternen.

Klar ist aber, dass die Welt derzeit in Öl schwimmt, rund um den Globus werden Lagerkapazitäten abgebaut. Offensichtlich ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Auswirkungen steigern die rivalisierenden Förderländer Saudi-Arabien und Russland die Produktion ihrer Pumpen, während die Weltwirtschaft wegen der Corona-Pandemie in eine Rezession mit viel geringerem Öl- und Treibstoffverbrauch schlittert. In den ersten drei Monaten des Jahres verbilligte sich Öl um mehr als 50 Prozent.

Laut US-Bank Goldman Sachs ist das der stärkste Preiseinbruch in einem Quartal, seit die Entwicklung aufgezeichnet wird. Wegen der Einschränkungen des öffentlichen Lebens in vielen Ländern und der drohenden Rezession erwarten die Marktforscher von IHS Markit für das zweite Quartal einen Rückgang des täglichen globalen Rohölverbrauchs um bis zu 14 Millionen Barrel. Laut den Experten ist das mehr als Chinas täglicher Ölkonsum im vergangenen Jahr.

Händler kaufen deshalb Öl- und Gaskapazitäten auf, um sie an Land und in Schiffen auf See zu lagern und später zu höheren Preisen zu verkaufen. Während der Woche wurde für Öllieferungen im November im Vergleich zu Kontrakten für Mai bis zu 13 Dollar mehr pro Barrel gezahlt.

Der Preissturz ist ein Mix aus schwacher Nachfrage, hohen Fördermengen und geringen Lagerkapazitäten. Besonders schwer trifft er Unternehmen, die Öl und Gas aufwendig und teuer aus Schiefer fördern. Zudem sind viele dieser Unternehmen über riskante Hochzinsanleihen, sogenannte Junk Bonds, stark verschuldet. Schwergewichte in diesem Geschäft wie Occidental Petroleum oder Apache in den USA haben seit Jahresbeginn deshalb mehr als 70 Prozent ihres Börsenwerts eingebüßt. Breiter aufgestellte Ölmultis wie Exxon Mobil und Chevron in Amerika und BP, Total oder Royal Dutch Shell in Europa stecken die heftigen Turbulenzen besser weg. Sie sind weniger stark im Geschäft mit Schieferöl und -gas engagiert, verfügen über ein erhebliches Raffinerie- und Petrochemiegeschäft und sind geringer verschuldet.

Fokus auf sichere Dividenden


Doch auch die Multis sind stark unter Druck. So besorgte sich die britisch-niederländische Royal Dutch Shell soeben Kredite im Gesamtwert von zwölf Milliarden Dollar, um die Dividende in "unsicheren Zeiten" abzusichern. Vor allem die fünf größten Ölkonzerne der Welt wollen Investoren jetzt auf keinen Fall durch Kürzungen ihrer Ausschüttungen verprellen. "Aktien von Ölmultis werden vor allem wegen der nachhaltigen Erhöhungen der Dividenden gekauft. Die Ausschüttungen sind das zentrale Element der Investmentphilosophie", so Allen Good, Experte der Ratingagentur Morningstar.

Die Aktien von Shell wurden auf dem jüngsten Tief während der Panikphase an der Börse vor wenigen Wochen mit einer rekordverdächtig hohen Dividendenrendite von mehr als 14 Prozent gehandelt. Dennoch zog der Kurs erst an, nachdem Royal Dutch Shell, ähnlich wie die anderen Konzerne aus der Topliga, erhebliche Kürzungen bei den Investitionen für dieses Jahr bekannt gegeben hatte (siehe Investor-Info).

Shell investiert mit 20 Milliarden Euro in diesem Jahr ein Fünftel weniger und stellt auch geplante Aktienrückkäufe im Wert von 25 Milliarden Dollar zurück. Durch die in der Ölbranche üblichen milliardenschweren Rückkäufe eigener Aktien, die anschließend eingezogen werden, sinkt die Anzahl der Dividendenpapiere und damit auch die Ausschüttungssumme.

Ölwerte sind derzeit günstig. Gemessen an den Kennzahlen Kurs-Buchwert- (KBV) und Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) notieren die Papiere der Top-Fünf-Konzerne um rund ein Drittel unter ihren langfristigen Durchschnittswerten. Die günstigen Aktienkurse wären eigentlich ein guter Zeitpunkt, um eigene Papiere zu erwerben. Allerdings sind auch die Ölriesen im gegenwärtigen Umfeld gezwungen, auf Sicht zu fahren. Cash in der Bilanz und eine moderate Verschuldung sind deshalb wertvoll.

Die großen Konzerne sind aber nach Einschätzung von Goldman-Sachs-Analyst Michele Della Vigna auf Turbulenzen jetzt "besser vorbereitet als während des Branchenabschwungs 2014". Mit Ausnahme des Primus Exxon Mobil, der einen aufwendigen und teuren Umbau stemmen muss, haben die anderen Unternehmen ihre Break-even-Schwelle seit 2014 "um jeweils 30 bis 60 Prozent gesenkt", schätzt Della Vigna. Gemeint ist damit der Preis für ein Barrel Öl, ab dem aus dem Cashflow Investitionen und Dividenden finanziert werden können. Der Analyst taxiert diese Schwelle für vier der fünf größten Konzerne auf 47 Dollar pro Barrel. Bei Exxon Mobil liege sie wegen des Umbaus dagegen bei 80 Dollar.

Überleben mit Niedrigpreisen


Darüber hinaus betreiben die Konzerne seit 2015 strengere Kostenkontrollen und verzichten auf besonders riskante Projekte. Auch ihre Verschuldung ist niedriger. Das alles verschafft Spielraum, den sie jetzt, wie soeben Shell, für sichere Dividenden nutzen werden.

Die Top Fünf können "zwei Jahre mit Ölpreisen unterhalb von 40 Dollar pro Barrel überstehen, ohne ihre Höchstwerte bei der Verschuldung zu überschreiten", sagt Analyst Della Vigna. Kommt es noch härter, werden die Ölmultis einen Teil ihrer Dividenden wahlweise in neuen Aktien - Scrip Dividends - anbieten. Langfristig engagierte Aktionäre entscheiden sich häufig für diese Alternative.

Investor-Info

Top Five der Ölriesen
Ein Fünftel weniger Budget


Eine nachhaltige Erholung der Ölpreise vom aktuell sehr niedrigen Niveau ist nicht absehbar. Um dennoch Dividenden auf Höhe des Vorjahres finanzieren zu können, kürzen die fünf größten Ölkonzerne die für 2020 geplanten Investitionen um 21 Milliarden Dollar, rund ein Fünftel der Gesamtsumme.Zudem werden Aktienrückkäufe zurückgestellt.

Chevron
Geringe Verschuldung


Die Nettoschulden von Amerikas zweitgrößtem Ölkonzern entsprechen 19 Prozent des eingesetzten Kapitals. Es ist die niedrigste Quote großer Ölkonzerne. Zum Vergleich: Royal Dutch Shell 34 Prozent, Exxon Mobil 28 Prozent, BP 36 Prozent. Auch Chevron hat Investitionen gekürzt und Aktienrückkäufe eingestellt, um die Dividende zu sichern. Chevron gilt als Profiteur bei der voraussichtlichen Konsolidierung der US-Schieferölförderer.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 85,00 Euro
Stoppkurs: 55,00 Euro

Royal Dutch Shell
Hohe Dividende


Insidern zufolge prüft der britisch-niederländische Ölkonzern die Lagerung von Rohöl auf speziellen Schiffen, die einzeln rund sechs Millionen Barrel aufnehmen. Mit geschätzten 15,4 Milliarden Dollar Dividendenzahlungen im laufenden Jahr ist Shell einer der größten Dividendenzahler weltweit und die Nummer 1 in der Branche. Die Ausschüttungen wurden 30 Jahre in Folge nicht gekürzt. Das hat weiter Priorität. Aussichtsreich.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 23,00 Euro
Stoppkurs: 14,00 Euro