Noch lässt der überlegene Wahlsieg von Sebastian Kurz die Investoren an der Börse Wien kalt. Was vermutlich daran liegt, dass sich die Koalitionsverhandlungen hinziehen dürften. Zudem ist zu befürchten, dass mögliche Regierungspartner - aktuell die Grünen oder die ­Sozialdemokraten - den Preis für eine Regierungsbeteiligung hochtreiben werden.

Für die nächsten Jahre stünde Österreich eine stabile und skandalfreie Regierung gut zu Gesicht. Denn es gibt viel zu tun. Auch die Alpenrepublik muss Reformen angehen. Da ist eine viel zu hohe Staatsquote, ein großer Schuldenberg, zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern und eine opulente Altersversorgung. Unterentwickelt ist dagegen im internationalen Vergleich das Verhältnis von Bruttoinlands­produkt und Marktkapitalisierung: Das liegt in Österreich bei 36 Prozent, im EU-Durchschnitt sind es 69 Prozent.

Immerhin schaffte das Land im vergangenen Jahr erstmals seit 1974 einen Haushaltsüberschuss. Profitiert hat dabei die geplatzte bisherige ÖVP-FPÖ-Regierung vom starken Wirtschaftsaufschwung in den zurückliegenden beiden Jahren sowie von der Steuerreform der Vorgängerregierung im Jahr 2016.

Umstrittene Staatsholding


Irritierend ist, dass Wien Anfang des Jahres mit der neuen Staatsholding Österreichische Beteiligungs AG die Anteile an börsennotierten Konzernen stärker unter seine Kontrolle brachte - ordentliche Postenschacherei inklusive. Da geht es um allerhand: Zu den Beteiligungen der Holding zählen wirtschaftlich starke Unternehmen wie der Öl- und Gaskonzern OMV, Telekom Austria, der Energiekonzern Verbund, die Österreichische Post und Casinos Austria. Nach Auskunft des Finanzministeriums beträgt der Wert der Beteiligungen knapp 20 Milliarden Euro.

Dass sich der Staat jetzt mehr einmischt, macht aber sicher noch keine bessere Konjunktur. Vermutlich bewirkt es eher das Gegenteil. Und so mancher Wirtschaftsforscher sieht bereits einen wirtschaftlichen Abschwung kommen. Dennoch wird Österreich stärker als der Euroraum und als sein wichtigster Handelspartner Deutschland wachsen. Was sicher auch an den guten Drähten nach Osteuropa liegt - für Österreich ein wichtiger Markt. Doch auch dort lässt das Wachstum nach.

Fakt ist, Österreichs Wirtschaft legte im abgelaufenen zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal nur noch um 0,3 Prozent zu - was vor allem am schwachen Export lag, der private Konsum nahm dagegen zu. Dennoch ist die Stimmung nicht allzu schlecht: Die Unternehmen und die Konsumenten gehen davon aus, dass die Zeiten bald wieder etwas besser werden.

Wenig Marktkapitalisierung


Vielleicht auch für den Aktienmarkt Wien, wo 76 heimische Unternehmen gelistet sind. Insgesamt bringen sie es auf eine Marktkapitalisierung von etwas über 110 Milliarden Euro. Das ist weniger als das, was das DAX-Schwergewicht SAP hierzulande auf die Waage bringt. Dafür sind die Aktien im Schnitt günstiger: Notiert das Kurs-Gewinn-Verhältnis beim DAX bei etwa 14,0 so ist der österreichische Leitindex ATX schon für 9,7 zu haben. Doch die Struktur ist anders: Der ATX wird fast zur Hälfte von Finanzwerten wie Erste Group und Energie-Aktien - namentlich von der OMV - dominiert.

Ein spannender Wert im ATX ist die umtriebige Lenzing Gruppe, ein weltweit agierendes Unternehmen, das aus Holz Textilfasern herstellt, die beispielsweise in Schutz- und Arbeitskleidung zum Einsatz kommen. Hier stimmen die langfristigen Aussichten. Die Spezialfasern gewinnen konstant Marktanteile dazu. So gibt es ein neues Projekt in Indien. Dort steigt man mit dem schon bewährten Konzept eines botanischen Schuhs in den Bekleidungsmarkt ein. Gutes Timing, denn die indische Regierung hat sich verpflichtet, die Verwendung von Einwegkunststoffen in den kommenden Jahren einzustellen. Dazu passt die Bestätigung eines unabhängigen Forschungslabors, dass Lenzing-Fasern in Süßwasser vollständig biologisch abbaubar sind. Außerdem plant man in Thailand den Bau der größten Lyocellfaseranlage der Welt. Lenzing hat im ersten Halbjahr 2019 ein kleines Umsatzplus erzielt, höhere Kosten und der Preisverfall bei Standardviskose belasteten aber den Gewinn.

Ebenfalls eine Empfehlung wert ist Mayr-Melnhof. Das Unternehmen, das Kartonagen produziert, ist auch für seine stetige Dividendenpolitik bekannt. Ab nächstem Jahr gehört man zum elitären Klub jener Gesellschaften in Europa, die zehn Jahre in Folge die Dividenden angehoben haben - aktuell steht die Dividendenrendite bei 3,0 Prozent.

Eine Turnaroundchance bietet sich bei Agrana. Das Unternehmen mit dem deutschen Großaktionär Südzucker litt lange unter dem Ende der EU-Zuckermarktverordnung 2017, die fast 50 Jahre lang Produktionsquoten und Mindestpreise für Zuckerrüben bestimmt hatte. Der starke internationale Wettbewerb sorgte jedenfalls dafür, dass Gewinn und Umsatz einbrachen und die Aktie allein 2018 mehr als 40 Prozent an Wert verlor. Doch man hat sich bei Agrana darauf eingestellt: Inzwischen wird schon die Hälfte des Umsatzes mit Fruchtsaftkonzentraten erwirtschaftet. Wie Mayr-Melnhof ist man auch in Sachen Dividenden top: In 16 Jahren gab es keine einzige Kürzung! Aktuell liegt die Rendite bei sechs Prozent.