Puh, Glück gehabt", wird man sich in Amsterdam bei Degiro gedacht und an 2018 erinnert haben. Denn damals musste sich der niederländische Broker lediglich um einen Hauch, nämlich um 0,01 Notenpunkte, der ING geschlagen geben. 2020 nun ist das Glück auf der Seite von Degiro. Mit demselben Minivorsprung verweist Degiro den Neuling Trade Republic auf Rang 2 - und verteidigt den im vergangenen Jahr erstmals eroberten Titel als Onlinebroker des Jahres. Die ING landet dieses Mal auf Platz 3, eine ungewohnte Position für die Direktbank, die in der 21-jährigen Geschichte unserer Umfrage sage und schreibe 14-mal ganz oben stand.
"So knapp war es an der Spitze seit Jahren nicht", sagt Stefan Henrichsmeier vom Aachener Marktforschungs- und Beratungsunternehmen AC Research, der die Studie für BÖRSE ONLINE betreut hat. Lediglich 0,08 Punkte trennen die Top-3-Anbieter beim - für das Klassement entscheidenden - Krite- rium der Gesamtzufriedenheit. Er freut sich über die Rekordbeteiligung: 58 614 Onlinebrokerage-Kunden gaben ihre Bewertung ab.
Auf den Plätzen vier bis sechs liegen Comdirect, deren Tochter Onvista Bank und die Consorsbank, gefolgt vom Sparkassenbroker, der sich vor Flatex und DKB geschoben hat. Flatex’ Ankündigung, ab März Depotgebühren von 0,119 Prozent (inkl. Mehrwertsteuer) zu erheben, hat vielen Kunden wohl nicht behagt. Dass Flatex auch einige Gebühren senkt und die umstrittene Gebühr für Auslandsdividendenzahlungen streicht, war zum Umfragezeitpunkt noch nicht bekannt. Auf den Plätzen zehn und elf folgen mit Commerzbank und Postbank zwei Filialinstitute, die ebenfalls Onlinebrokerage offerieren, sich aber in puncto Preis-Leistungs-Spektrum natürlich nicht komplett mit Direktbanken vergleichen lassen. Interessant: Targobank und Maxblue schafften es abermals nicht ins Ranking, da sie die notwendigen300 Bewertungen nicht zusammenbrachten.
Manuel Suckart, Deutschland-Chef von Degiro, zeigt sich zufrieden (siehe Interview unten) und will 2021 den Titel verteidigen. Vergleichsweise schwach bewertet ist sein Haus unterdessen noch in Sachen Produktangebot, was nicht verwundert, da es weder Sparpläne noch außerbörslichen Handel offeriert.
Degiro-Übernahme durch Flatex
Gespannt sind viele Kunden darauf, was die Degiro-Übernahme durch Flatex mit sich bringen wird - der Name jedenfalls soll erhalten bleiben. "Ziel ist es, den Kunden von Degiro und Flatex das Beste aus beiden Welten anzubieten", erklärt Suckart. Flatex offeriert seinen Kunden bereits Late Trading und Zugang zur Börse Tradegate. Das sollen dann auch Degiro-Kunden voraussichtlich ab 2021 nutzen dürfen. Wahrscheinlich werde es möglich sein, Einlagen bei der Flatex-Bank zu deponieren. "Umgekehrt bietet Degiro schon heute den Handel von Optionen und Futures sowie Leerverkäufe. Davon können in Zukunft dann Flatex-Kunden profitieren", so Suckart. Wichtig zu wissen: Als Auslandsbroker behält Degiro keine Abgeltungsteuer für deutsche Kunden ein. Daran ändert die Übernahme vorerst nichts. Anleger müssen sich selbst um die korrekte Angabe ihrer Kapitalerträge beim Fiskus kümmern.
Newcomer auf Anhieb auf Platz 2
Die große Überraschung ist Trade Republic geglückt: Erst Anfang 2019 gestartet, hat der Anbieter die Szene gehörig aufgemischt. Trade Republic ermöglicht es Privatanlegern, per Smartphone für null Euro Provision plus einem Euro Fremdkosten zu handeln, aber nur über das elektronische Handelssystem Lang & Schwarz Exchange (LSX) an der Börse Hamburg. Der Anbieter finanziert sich größtenteils über Rückvergütungen von Handelspartnern. "Schon bald dürfen wir voraussichtlich den 100 000. Kunden begrüßen", so Christian Hecker, einer der drei Gründer. Kein Wunder, dass die Bank auf Anhieb das Quorum von 300 Stimmen bei unserer Umfrage schaffte. Anderen - später gestarteten - Billigstbrokern wie Justtrade oder Gratisbroker gelang das noch nicht.
Die Kampfansage Heckers an die etablierte Konkurrenz ist deutlich: "Fünf Millionen Menschen in Deutschland zahlen zu viel fürs Brokerage, die möchten wir alle ansprechen." Sein Haus habe "die gesamte Technologie einer Bank komplett neu gebaut und alles, was möglich war, automatisiert. Diesen Vorteil der Digitalisierung geben wir an unsere Kunden weiter." Für 2020 stellt Hecker "weitere Sparprodukte für die langfristige und nachhaltige Geldanlage" in Aussicht. Es werde außerdem an Produkten gearbeitet, "die es im deutschen Markt in dieser Form noch nicht gibt". Mehr verrät er noch nicht.
Müssen Anleger schlechtere Kurse hinnehmen, da sie nur über einen Marktplatz handeln können? "Das ist ein Dinosaurierargument", meint Hecker. "Der Spread und der Preis, den ich zahle, sind entscheidend. Unser Partner LSX ist bei der Kursstellung immer an einen Referenzmarkt, zum Beispiel an Xetra, gebunden. Wir sehen keinen Vorteil darin, 15 Börsenplätze angebunden zu haben."
Degiro-Mann Suckart sieht das etwas anders: "Erst nach einem Jahr wird man sagen können, wie teuer die neuen Broker wirklich sind. Denn die Geld-Brief-Spanne zählt nach der EU-Richtlinie Mifid II ebenfalls als Kostenfaktor, der zu veröffentlichen ist. Gerade wenn die Referenzbörsen geschlossen sind, ist davon auszugehen, dass die Geld-Brief-Spanne größer wird."
Seriensieger auf Rang 3
Die ING folgt auf Platz 3. Dieses Jahr schafft es Deutschlands größte Direktbank, sogar fünf der sechs Teilkategorien für sich zu entscheiden - was für die hohe Qualität des Angebots spricht.
Doch bei der Kategorie "Kosten und Zinsen" belegt sie nur noch Platz 5. "Dieses Teilkriterium erachten aber sehr viele Befragte traditionell als besonders wichtig: Wer hier nicht mehr so gut bewertet wird, hat auch kaum Chancen auf den Top-Platz bei der Frage nach der Gesamtzufriedenheit", sagt Studienleiter Henrichsmeier.
"Qualität kostet, gleichwohl sind wir erheblich günstiger als die Filialbanken", meint Thomas Dwornitzak, Leiter des Bereichs Sparen und Anlegen der ING. "Bei uns führen diejenigen ein Depot, die Wert auf ein stabiles und seröses Angebot legen, und nicht die Leute, die nur mal etwas zocken wollen."
Kürzlich kündigte die ING an, dass ihr Girokonto nur noch bei einem regelmäßigen Geldeingang von mindestens 700 Euro pro Monat kostenlos bleibt - es sei denn, man ist jünger als 28 Jahre alt oder führt ein Basiskonto. "Rund drei Viertel unserer Girokontokunden erfüllen bereits die Kriterien. Für sie ändert sich nichts", bekräftigt Dwornitzak. Die anderen zahlen ab Mai 2020 dann monatlich 4,90 Euro. Im zweiten Halbjahr will die ING komplettes Neuland betreten und erstmals Beratung in digitaler Form anbieten - "mit der Zusatzmöglichkeit, dass man mit einem Coach an der Hand das Produkt- universum und die für einen passenden Produkte analysiert", so Dwornitzak.
Nachhaltigkeit wird von Anfang an eine wichtige Rolle in der Beratung spielen. Und dann darf man gespannt sein, wie die Kundschaft die Leistung der Broker im Jahr 2020 goutiert.
Börse Online: Herr Suckart, Glückwunsch zur Titelverteidigung - aber das war knapp. Und den Nimbus als Preisführer hat Degiro an Verfolger Trade Republic verloren. Wie leben Sie damit?
Manuel Suckart: Wir freuen uns darüber, dass wir uns in allen anderen Teilkategorien klar verbessert haben. Degiro hat ein Alleinstellungsmerkmal im Markt: Im Vergleich zu den etablierten Direktbanken haben wir viel günstigere Konditionen, gegenüber den neuen Brokern punkten wir mit einem weitaus größeren Produktangebot: Wir offerieren echten Börsenhandel, und das an vielen Weltbörsen, sowie den Handel an internationalen Terminbörsen. Wir bieten auch viele kostenlose ETFs als Basisinvestments an. Und den US-Handel werden wir schon bald besonders günstig gestalten.
Was bedeutet das im Klartext?
Bei uns handeln schon heute sehr viele Anleger US-Aktien. Ab Frühsommer können Sie für monatlich einmalig 2,50 Euro an NYSE und Nasdaq so oft handeln, wie sie wollen.
Das klingt wie ein Spotify für den US-Handel. Aber reicht das für die Titelverteidigung 2021? Degiro hatte schon mal mit Gratisbrokerage geliebäugelt, kommt das jetzt doch?
Gratisbrokerage ist für uns derzeit vom Tisch, auch wenn wir die Entwicklung in den USA mit Interesse verfolgen. Zum Februar haben wir jedoch unsere Gebühren gesenkt. Der Xetra-Handel, den die neuen Broker gar nicht anbieten, kostet bei uns jetzt zwei Euro plus 0,018 Prozent. Vorher lag die variable Gebühr bei 0,026 Prozent. Außerdem ist unser neues Wissenscenter mit vielen Erklärvideos auf unserer Website verfügbar.
Wie lief 2020 bisher für Sie?
In den ersten zwei Monaten haben wir gut 51 000 Neudepots eröffnet. Und wir sind ohne technische Probleme durch die letzten, wegen der Corona-Krise turbulenten Wochen gekommen. Das kann nicht jeder Brokerage-Anbieter in Deutschland von sich behaupten. Aber klar: Die Brokerwahl 2021 wird spannend.