Der gestrige Einbruch an den internationalen Aktienmärkten war das Ergebnis mehrerer gleichzeitig wirkender Faktoren, die sich gegenseitig verstärken. Wir klären die Frage: Kommt da noch mehr? Eine Analyse.
Besonders stark gelitten hat die Technologiebörse Nasdaq, an der die hoch bewerteten Technologie- und KI-Gewinner, allen voran Palantir, unter Druck gerieten. Mehrere Bankchefs und Analysten hatten in den vergangene Tagen gewarnt, dass die Bewertungen sich zu weit von den Fundamentaldaten entfernt haben – und genau diese Sorge löste dann eine Welle von Gewinnmitnahmen aus. Sie ging vom Nasdaq aus und pflanzte sich über Nacht nach Asien und am Morgen nach Europa fort. Goldman-Sachs-Chef David Solomon rechnet nun sogar in den kommenden ein bis zwei Jahren mit weiter fallenden Aktienkursen, möglicherweise im Bereich von zehn bis zwanzig Prozent, wie er sagte. Eine sehr pessimistische Prognose - aber hat sie Substanz?
Drei Belastungsfaktoren im Blick
Verschärft wurde die aktuelle Abwärtsbewegung durch den anhaltenden Shutdown der US-Regierung, der inzwischen eine historische Länge erreicht hat und unter anderem große Teile der staatlichen Statistikerhebung lahmlegt. Normalerweise können Investoren fallende Kurse mit dem Blick auf kommende Konjunktur-, Inflations- oder Arbeitsmarktdaten einordnen – doch genau diese Orientierung fehlt aktuell. Sobald aber Daten fehlen, wird Unsicherheit zum dominierenden Faktor, und Unsicherheit führt fast immer zu niedrigerem Risikoappetit - und sinkenden Kursen. Dazu kommt: Je länger Bundesbehörden geschlossen bleiben, desto höher schätzen Ökonomen die realwirtschaftlichen Schäden ein, was wiederum in die Gewinnschätzungen der Unternehmen hineinwirkt. Das Haushaltsbüro des US-Kongresses rechnet je nach Dauer mit einem volkswirtschaftlichen Schaden von sieben bis 14 Milliarden Dollar. Obwohl politischen Börsen in der Finanzwelt „kurze Beine“ attestiert werden: Der längste Shutdown der US-Geschichte stellt sicherlich kein Kaufsignal dar.
Auch an den Krypto-Märkten ging es zum Teil heftig bergab. Ein weiteres Zeichen dafür, dass sich immer mehr Anleger aus riskanten Assets verabschieden.
Genau in dieser Phase stehen nun gleich mehrere wichtige Unternehmensevents an, wie der AMD-Analystentag (11. Nov.) und die Quartalszahlen von Nvidia (19. Nov.). In einer ruhigen Marktlage können starke Zahlen Vertrauen zurückbringen; in einer nervösen Stimmung wird jedoch jedes verfehlte Ziel, jede vorsichtige Prognose und jeder weniger optimistische Ausblick sofort bestraft. Wer diese Risikokonstellation fürchtet, verspürt derzeit verständlicherweise einen relativ geringen Appetit auf Aktien.
Ein dritter Belastungsfaktor ist das immer noch angespannten Handelsverhältnis zwischen den USA und China. Zwar gab es zuletzt Schritte, einzelne Zölle zu senken oder Exportbeschränkungen zu lockern, aber die Unberechenbarkeit von Donald Trump dürfte in Sachen Welthandel auch in Zukunft wenig Euphorie aufkommen lassen. Für die Börsen heißt das: Lieferketten bleiben potenziell störanfällig, Handel mit Hochtechnologie bleibt politisch, und die großen KI- und Chipwerte – ohnehin im Fokus der Korrektur – bergen damit auch ein erhebliches geopolitisches Risiko.
Lediglich Mini-Korrektur beim DAX
Die oben erwähnten Belastungsfaktoren drückten auch den DAX in tiefere Regionen. Allerdings notiert der deutsche Leitindex aktuell lediglich vier Prozent unter seinem Allzeithoch – eine markante technische Korrektur sieht anders aus. Das ist fast schon erstaunlich angesichts der Tatsache, dass auch deutsche Unternehmen im Handel mit den USA unter hohen Zöllen leiden, Marktanteile an chinesische Wettbewerber verlieren und bei Rohstoffimporten aus China massive Nachschub-Probleme haben.
Aus charttechnischer Sicht spricht beim DAX nach dem Verletzen der kurzfristigen 38-Tage-Linie mehr für den Verkauf als für den Einstieg. Sollte die Durchschnittslinie gar nach unten drehen, wäre dies als weiteres Negativsignal zu werten. Derzeit überwiegen die Verkaufssignale. Laut der Charttechnik-Website Tradingview legen zum Beispiel von den insgesamt 26 erfassten Parametern gegenwärtig 14 das „Verkaufen“, zehn das „Halten“ und lediglich zwei das „Kaufen“ des Leitindex nahe. Ein Kursrutsch in Richtung der 200-Tage-Linie (akt.: 23.327 Punkte) lässt sich in der gegenwärtigen Gemengelage nicht mehr ausschließen. Allerdings hat sich in den vergangenen drei Jahren selbst ein Verletzen dieser Durchschnittslinie stets als temporäre Schwäche und nicht als Trendwechsel nach unten erwiesen.
Es ist also noch nicht alles verloren. Angesichts der oben genannten Konstellationen sollten Anleger dennoch erst einmal die kommenden Tage abwarten, um zu vermeiden, dass sie womöglich zu früh in ein fallendes Messer greifen.
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