Der Selfmade-Unternehmer schrieb eine der spektakulärsten Erfolgsstorys der Schweizer Wirtschaft: Peter Spuhler, Absolvent der Kaderschmiede HSG in St. Gallen, hatte keine Lust auf eine Karriere als Banker und übernahm als 29-Jähriger einen Familienbetrieb mit 18 Mitarbeitern, den er mit Mut und Härte an die europäische Spitze führte. Heute beschäftigt Stadler Rail rund 10 500 Angestellte, produziert in acht Ländern Schienenfahrzeuge und wird 2020 einen Umsatz von vier Milliarden Franken erwirtschaften.
Spuhler kam 1959 in Sevilla zur Welt. Sein Vater war Koch, seine Mutter leitete eine Unterwäschefabrik. Spuhler war kein guter Schüler, schaffte es aber dennoch in den Schülerrat. Das Abitur legte er an einem Abendgymnasium ab. Anschließend studierte er an der renommierten Hochschule St. Gallen (HSG) Betriebswirtschaft und machte nebenbei Karriere als Eishockeyspieler und als Offizier in der Schweizer Armee. "Beim Militär habe ich viel gelernt", gibt er zu. Spuhler hatte als Hauptmann eine Kompanie von Gebirgsgrenadieren geführt, eine Elitetruppe und ein ziemlich wilder Haufen. Er schlief regelmäßig bei minus 20 Grad mit seinen Grenadieren im Schneebiwak und rühmte sich, mit ihnen jeden Gipfel im Bündnerland bestiegen zu haben.
Nach Abschluss des Studiums entschied er sich gegen eine Karriere in einem Großkonzern. Während eines Praktikums bei einer Großbank war ihm klar geworden, dass er das Teamwork in überschaubaren Gruppen bevorzugte, in einem Betrieb, der ihm die Chance zur Selbstständigkeit bot. Er trat deshalb 1987 seine erste Stelle bei der Stadler Fahrzeuge AG in Bussnang an - er war mit einer Enkelin des Gründers verheiratet. Das Unternehmen konstruierte im kleinen Rahmen Schienenfahrzeuge, vor allem Einzelanfertigungen wie Industrielokomotiven für Fabriken, Gruben oder Kraftwerkstollen, und war nicht mehr als eine "bessere Dorfschlosserei", wie sich ein Journalist mokierte.
Bereits ein Jahr später übernahm er als 29-Jähriger das Unternehmen. Ohne einen eigenen Franken in der Tasche. Es war sicher kein Traumunternehmen für den Absolventen einer Elitehochschule. Umso mehr, weil er keine Ahnung von Zügen und Lokomotiven hatte und die Schweizer Traditionsbranche für Schienenfahrzeuge am Ende schien. Aber es war, wie die "Neue Zürcher Zeitung" später anerkennend anmerkte, der Beginn einer der "aufsehenerregenden Wachstumskarrieren der Schweizer Wirtschaft".
"Die ersten Jahre waren hart", erinnert sich der Patron. "Ich musste mir zuerst Respekt verschaffen." Der Umsatz betrug gerade mal 4,5 Millionen Franken. Nicht Wachstum, sondern wirtschaftliches Überleben war Spuhlers wichtigstes Ziel. Bereits an der Hochschule in St. Gallen habe er gelernt: Wachstum als Strategie an sich ist ein Unsinn, Wachstum soll immer die Folge einer überlegenen Strategie sein.
Die große Marktbereinigung
Mit dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung neuer Märkte war Ende der 80er-Jahre eine völlige Umwälzung der Rollwagenindustrie verbunden: Das DDR-Kombinat Deutsche Waggonbau (DWA) wurde vom kanadischen Bombardier-Konzern übernommen, ABB und Daimler-Benz legten ihre Bahngeschäfte im Joint Venture Adtranz zusammen, das 2001 ebenfalls an Bombardier ging. Der kanadische Hersteller wurde neben der französischen Alstom-Gruppe und Siemens zum dritten großen Anbieter von Rollmaterial. Spuhlers Erfolgsgeschichte begann in der ersten Hälfte der 90er-Jahre, als seine Stadler Rail erste eigene Fahrzeugkonzepte entwickelte. An "uralten Zeichenbrettern", erinnert sich Spuhler, arbeiteten sie im alten Wohn- und Bürohaus der Stadlers. Zu Sitzungen trafen sie sich in der Waschküche. Der innovative Gelenktriebwagen GTW war gleich ein Erfolg: Er war halb so schwer und halb so teuer wie die üblichen Nahverkehrszüge. 605 Exemplare wurden verkauft. Rollmaterial für den Zubringerverkehr auf die Hauptachsen wurde nun zur strategischen Unternehmensausrichtung.
Um die Jahrtausendwende folgte die nächste Innovationsphase. Stadler Rail entwickelte einen leichten Zug für den regionalen und den S-Bahn-Verkehr mit modularem Aufbau, der an die unterschiedlichsten Anforderungen angepasst werden konnte. Ein Bestseller: Ab 2004 wurden 1694 Züge an Bahnen in 18 Ländern verkauft, von Algerien bis Weißrussland.
Außerdem erzielte der beliebte Entrepreneur - Spuhler wurde in der Schweiz mehrfach zum Unternehmer des Jahres gewählt - zunehmend Erfolge als Politiker. Er saß für die bürgerlich-rechtspopulistische Volkspartei SVP im Schweizer Parlament, wo er erfolgreich unternehmerische Anliegen vertrat.
Doch 2012 trat Spuhler nach 17 Jahren von der Politbühne ab: Die Eurokrise und die Stärke des Schweizer Franken drückten die Erträge von Stadler Rail, und die Aufträge in den angestammten Märkten gingen als Folge der Schuldenkrise in Europas öffentlichen Haushalten zurück, das Exportgeschäft stürzte ab. Er verzichtete auf seine politischen Ambitionen, um "die Mannschaft nicht im Stich zu lassen". Nach fünf Jahren war die Firma zurück in der Erfolgsspur.
Spuhler, ein kräftiger und sportlicher Mann, der angibt, nie krank zu sein, und noch heute leidenschaftlich Ski fährt, ist ein Kämpfertyp geblieben. Seine Rhetorik erinnert an seine Militärzeit. Etwa wenn er von den Schweizern als ein "kleines, kriegerisches Bergvolk" spricht.
Nicht gut zu sprechen ist Peter Spuhler unterdessen auf den US-Präsidenten Donald Trump. 2018 stand Stadler Rail vor einer Lieferung von 960 Waggons an die U-Bahn von Teheran. Die Verträge waren unterschriftsbereit, die Finanzierung gesichert. Als Trump neue Sanktionen gegen den Iran verhängte, musste Spuhler den 1,3-Milliarden-Auftrag opfern. Schließlich will er auch in den USA Züge verkaufen und produzieren - er hat ein Werk in Salt Lake City.
Spuhler übergab 2018 den Chefposten an seinen Stellvertreter Thomas Ahlburg und kümmerte sich als Verwaltungsratspräsident um Strategie und Kundenpflege. Ein Jahr später ging Stadler Rail in Zürich an die Börse. Die Aktien stammen alle aus dem Besitz von Spuhler, der bis zum Börsengang 80 Prozent der Anteile hielt, jetzt aber nur noch 39,7 Prozent des Kapitals kontrolliert. Er wurde beim Börsengang zum dreifachen Frankenmilliardär.
Viele seiner Kadermitarbeiter, die vorher einen Teil ihres Gehalts in Form von Aktien ausbezahlt erhielten, wurden zu Millionären. Darunter der CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz, der im Verwaltungsrat des Konzerns sitzt. Sein Paket von 150 000 Stadler-Aktien machte ihn um umgerechnet 5,7 Millionen Euro reicher. Im Mai 2020 trennten sich die Wege von Stadler Rail und Ahlburg überraschend, Spuhler steht nun vorerst wieder an der Konzernspitze.
Peter Spuhler, der in zweiter Ehe mit einer Bauunternehmerin verheiratet ist, hat 2018 in St. Moritz ein Chalet gekauft. Es sei "ein Schnäppchen" gewesen, denn viele Erben würden sich jetzt aus Geldnot von ihren Liegenschaften trennen. So auch die Vorbesitzerin Vanessa von Opel aus der gleichnamigen Autodynastie. Spuhler besitzt in dem Engadiner Nobelkurort bereits den Gourmettempel "Talvo by Dalsass". Russische Investoren wollten das Gebäude aus dem Jahr 1658 kaufen und zu Eigentumswohnungen umbauen. Spuhler, dessen Vater als Küchenchef den "Talvo"-Besitzer ausgebildet hatte, rettete das Traditionslokal.